Karrieresprung
Wie spannend doch Lebensläufe sind! Gestern waren sie noch am See Genezareth, heute kennen und rühmen wir sie in der ganzen Welt - als Apostel. Dass aus einfachen Fischern, ohne höhere Schulbildung, ohne gewandtes Auftreten, ohne Imagekampagne, Menschenfischer werden - wer hätte das gedacht! Kein Wort davon, dass sie eine Fortbildung gemacht hätten, durch besondere Leistungen aufgefallen seien, einen Wahlsieg davon getragen hätten. Einfach so - ein Karrieresprung. Wenn ich dann weiter frage, was sie auszeichnet, qualifiziert und heraushebt: nichts. Nicht einmal eine kleine Spur. Ich bin überrascht - und entsetzt.
Aber das sollte ich Ihnen vielleicht doch erklären. Überrascht bin ich, dass so etwas überhaupt möglich ist. Schaut sie euch doch an: Simon und Andreas, Jakobus und Johannes. Zwei Brüderpaare. Zusammen groß geworden, zusammen klein geblieben. Fischer - womöglich seit Generationen. Ihre Welt hört da auf, wo der See Genezareth endet. Der Weg von Simon und Andreas, Jakobus und Johannes ist vorgezeichnet. Es ist ihr See - und ihr Leben.
Ich bin aber auch entsetzt. Können Menschen, die Fische fangen, Tage und Nächte schweigsam auf einem Boot verbringen, abhängig von Wetter und Fangzahlen - Menschen fangen?
Mit Netzen lassen sich Menschen nicht fangen, eher mit Parolen, Propaganda und Versprechungen. Dafür geben sich kluge Köpfe her - oder haben sich hergegeben. Die einfachen Leute sind immer reingefallen - wurden hereingelegt. Sie wurden um ihre Hoffnungen - und um ihr Erspartes betrogen. Sie durften als Kanonenfutter auf den Schlachtfeldern für ihr Vaterland fallen. Sie können bis heute die Suppe auslöffeln, die ihnen andere eingebrockt haben. Nein, ich kann mir Simon und Andreas, Jakobus und Johannes nicht als Menschenfänger vorstellen, schon gar nicht als - Rattenfänger.
Kommt her
Wisst ihr, wer mich jetzt schon die ganze Zeit anschaut? Markus. Der Evangelist. Er schaut durchaus verständnisvoll. Beim Wort "Rattenfänger" nickt er sogar mit dem Kopf. Ganz verhalten. Er weiß, wie viel Unheil schon angerichtet wurde - und wird. Nein, wenn jemand das Leben kennt - dann die einfachen Leute. Wie Simon und Andreas, Jakobus und Johannes. Fischer. Ganz bodenständig. Sie wissen, was alles kostet - sie wissen auch, was es heißt, nichts zu fangen. Leer auszugehen. Sie kennen auch die großen Worte und die falschen Versprechungen. So klein der See Genezareth ist - in ihm spiegelt sich die Welt. Auch die große.
Markus hat das unnachahmlich einfach und schlicht erzählt:
"Nachdem man Johannes den Täufer ins Gefängnis geworfen hatte, ging Jesus wieder nach Galiläa; er verkündete das Evangelium Gottes und sprach: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!"
Da steht die große Welt im Hintergrund: Johannes im Gefängnis. Willkür und Macht, unheilvoll gepaart. Es wird nicht lange dauern, da wird aus einer Laune heraus sein Haupt auf dem silbernen Tablett serviert. Ein Einzelschicksal, aber symptomatisch für die vielen geopferten, fallen gelassenen Menschen.
Wie mit solchen - bedrückenden und hilflosen - Erfahrungen umgegangen werden kann, bewegt Menschen bis heute, stumpft sie freilich auch ab. Wir sehen zu viel. Wir sagen: wir können nichts machen. Wir hören schon gar nicht mehr zu, wenn schon wieder Menschen auf der Strecke bleiben. Es gibt nicht genug silberne Tabletts - um menschliche Geschichten zu bergen.
Siehst du, sagt Markus, darum holt Jesus Simon und Andreas, Jakobus und Johannes zu sich: "Kommt her, folgt mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern machen."
Das Reich Gottes muss wirklich sehr nahe sein! Man kann die Leute nicht laufen lassen. Die Welt sich selbst überlassen. Und Schuster bei ihren Leisten, sorry, Fischer bei ihren Fischen.
Menschen fischen
Was Simon und Andreas, Jakobus und Johannes bewegt, Jesus zu folgen? Ich finde keine Spur. Kann es kaum glauben. Markus erzählt nur, dass sie aufbrechen - sofort. Sie hören ab jetzt, was Jesus sagt, sie sehen, was er tut. Spannende Jahre. Markus erzählt von ihnen, in immer wieder neuen Anläufen. Jünger wird man nur durch Beobachtung und Nachahmung, durch Zuhören und Mitgehen. Jünger wird man in einer Lebensgemeinschaft. Jünger wird man auf einem Weg.
Als Jesus gekreuzigt wird, fliehen auch Simon und Andreas, Jakobus und Johannes - der Auferstandene holt sie wieder zurück. Er schickt sie dann tatsächlich in die Welt und vertraut ihnen seine Botschaft an. Er verspricht ihnen, bei ihnen zu bleiben. Er gießt seinen Geist über sie aus. Er reißt sie mit - über so ziemlich alle Grenzen, die sie kannten. Ob sie oft an den kleinen See dachten, an dem er sie aufgabelte? Sie hatten Fische gefangen - jetzt bringen sie Menschen zusammen, bilden Gemeinschaften, geben Hoffnung - und, zur Überraschung aller, können sie Menschen mobilisieren und begeistern: nur mit dem Wort, das sie von Jesus haben. Unrecht wird beim Namen genannt, die Angst gebannt und Schweigen durchbrochen. Heute stellen wir staunend fest: Das Evangelium von der Liebe Gottes ist bis zu uns gekommen. Wenn wir Jesu Mahl feiern, ist der Auferstandene mitten unter uns. Das hätten sich Simon und Andreas, Jakobus und Johannes nie träumen lassen. An jenem Tag, als sie Jesus zum ersten Mal begegneten.
An eine Geschichte muss ich jetzt denken. Die Geschichte von Jona. Wir haben sie vorhin gelesen. Jona will nicht nach Ninive. In diese große und gottlose Stadt. Da soll Gott doch sagen, was er will. Er würde sich nicht lächerlich machen. Aber dann macht der aufmüpfige Jona die Entdeckung seines Lebens: sein Wort bewegt die Menschen so sehr, dass sie sogar umkehren. Mit dieser Möglichkeit hatte er nicht einmal gerechnet. Er hatte die Stadt, die Menschen, ja, sogar sich selbst schon aufgeben. Es gab auch keine Beispiele, an die er sich hätte klammern oder wenigstens anlehnen können. Jona wird geradezu überschwemmt, mitgerissen, fällt von einer Überraschung in die nächste. Der kleine Jona - und die große Welt! Von Ninive sagte man gar, sie sei der Nabel der Welt.
In der Bibel begegnen uns an vielen Stellen Menschen, die nicht reden können - und die Welt dann doch mit ihrem Wort verzaubern. Menschen, die nichts zu sagen haben - und die Welt sogar retten. Menschen, die sich aus allem heraushalten - und die Welt wieder zusammenbringen. Das Getrennte, Verlorene, fallen Gelassene. Wenn es nur ein Mensch ist, der wieder leben kann - dann ist dem Tod die Welt genommen.
Ob Simon und Andreas, Jakobus und Johannes von Jona wussten? Jetzt halten ihre Netze Menschen, wenn sie fallen, ihre Netze geben Geborgenheit, Anerkennung und Liebe - ihre Netze sind ein Bild für die Gemeinde, in der Menschen einander vergeben, neu anfangen und sich gemeinsam auf den Weg machen. Dass Netze auch gefangen nehmen, verschlingen und erdrücken können, haben die vier gewusst - erfahrene Fischer, die sie waren. Aber bei Jesus haben sie gelernt, behutsam und liebevoll menschliches Leben zu bergen. Geschichten, Erinnerungen - Schuld, Zweifel - Sehnsucht, Hoffnung.
Karriere machen
Haben Simon und Andreas, Jakobus und Johannes eine Karriere gemacht? Gelegentlich hören wir von ihnen. Simon - zum Beispiel. Von Jesus "Fels", Petrus, genannt, verleugnet er ihn in einer nächtlichen Stunde, distanziert sich gar von ihm. Von den markigen Worten bleibt nichts. Was Jesus nicht hindert, gerade ihm anzuvertrauen, die "Brüder" und "Schwestern" in Anfechtungen und Zweifeln aufzurichten. Stark zu machen. Ob Simon auch nur einmal gefragt hat, was ihm die Nachfolge Jesu bringt? Am Ende, so erzählen alte Geschichten, sei er mit dem Kopf nach unten gekreuzigt worden.
Ich bin sehr dankbar, dass sich diese vier - Simon und Andreas, Jakobus und Johannes - auf das Wagnis eingelassen haben, Jesus nachzufolgen. Wie arm wären wir, wenn sie bei ihren Netzen am See Genezareth geblieben wären? Bewundere ich erst ihren Mut, kann ich es ihnen gleichtun und mich rufen lassen. Für das Reich Gottes zu werben, ein Netz zu knüpfen für Menschen, die fallen - und Worte zu finden, die das Böse bannen. Wenn wir ein Bild für Gottes Reich suchen: im "Netz" finden wir es. Das Netz, das nicht zerreißt, Spannungen aushält, Luft zum Atmen lässt. Mit Netz gelingen sogar Drahtseilakte.
Wie spannend doch Lebensläufe sind! Gestern waren die vier noch am See Genezareth, heute kennen und rühmen wir sie in der ganzen Welt - als Apostel. Ein Karrieresprung. Wenn ich dann weiter frage, was sie auszeichnet, qualifiziert und heraushebt: nichts. Nur, dass sie Jesus gefolgt sind. Jetzt kann ich meine Geschichte dazu tun. Gott hat einen Traumjob für mich. Ab heute wird Karriere - gemacht.
Und der Friede Gottes,
der unsere kleine Welt groß macht,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus, unserem Herrn.
Martin Leitgöb (2000)
Hans Hütter (1997)