Darf ich Sie heute mit drei kleinen Predigten verwöhnen – und herausfordern? Sie können sie einzeln hören und dann abschalten – oder, wenn Sie mögen, auch verbinden. Erstens: Ein kleiner Mann muss aufsteigen. Zweitens: Zwei Augen im Blätterdach. Drittens: Das vierfache Glück.
Ein kleiner Mann muss aufsteigen
Die erste Predigt. Fangen wir einfach einmal an. Ein kleiner Mann muss aufsteigen. Wie groß der Zöllner ist, wird zwar nicht erzählt, nur, dass er sehr klein war. Ob es hier auf die Körper- oder Konfektionsgröße ankommt? Ich vermute, dass es um sehr viel mehr geht: Für die Leute ist er nicht nur ein Lump und Ganove, sondern gesellschaftlich-menschlich aussortiert. Als Pächter einer Zollstelle verdient er zwar nicht schlecht, aber als Kollaborateur der verhassten Römer ist er ein Niemand. Klein ist, wer nicht geachtet wird. Dass der Zöllner dann regelmäßig mehr kassiert, als im Tarif vorgesehen ist, häuft Hass und Abneigung auf ihn. Klein ist, wer seinen guten Namen verloren hat. Hat er je einen guten Namen gehabt? Es ist alles offen. Zur Charakterisierung reicht die Berufsangabe – und dass er „sehr klein“ ist. Die Steigerung ist perfekt. „Sehr klein“.
Was macht ein Mensch, der „sehr klein“ ist? Er könnte sich verkriechen. Er könnte einen großen Bogen um die Menschen machen. Er könnte sich eine Sonnenbrille aufsetzen. Er könnte … Was aber der Zöllner macht, ist genial: Er steigt auf einen Baum. So ist er mitten im Geschehen, ohne anzuecken – und geschützt ist er auch. Eine sichere Warte. Wer klein ist, darf aufsteigen. Das ist eine ebenso kluge wie bezaubernde Zumutung. Komm heraus aus deinem Loch!
Wussten Sie schon, dass die sichere Warte auch geneidet werden kann? Lukas verschwendet keinen Gedanken daran. Er erzählt, liebevoll und detailverliebt, dass der Zöllner – ohne Namen – einfach vorausläuft. Das ist jetzt seine Stunde. Ein Lump kommt nach oben.
Provokante Worte laden ein, sich über sie zu ärgern – oder über sie nachzudenken. Die Zeit dafür können Sie sich jetzt nehmen.
Oder aber ein Ohr haben für die – zweite Predigt: Zwei Augen im Blätterdach.
Zwei Augen im Blätterdach
Der Typ auf dem Baum will Jesus sehen. Was er davon hat? Was es ihm bringt? Wir können nur rätseln. Wir können aber auch ein wenig stauen. Staunen darüber, dass ein – nach außen abgebrühter – Mensch mit dem Blick auf Jesus eine neue Sicht auf sein Leben gewinnt. In dieser Sicht wird die Vergangenheit noch einmal sehr lebendig. Die Menschen, die von außen schauen, sehen nur die Ergebnisse – und liegen im Streit mit ihnen. Der Zöllner auf dem Baum bringt aber seine ganze Geschichte mit. Vielleicht die Sehnsucht, ein gemachter Mann zu sein, seine Schäflein im Trockenen zu haben, seinen Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen, vielleicht auch einfach nur den Wunsch, eine Herausforderung anzunehmen … Lukas verrät nichts. Nur: Hier schauen zwei Augen im Blätterdach auf Sehnsüchte, Träume – und auf Jesus.
In dem Wort „sehen“, „schauen“ schwingt mit, dass nicht alles blind, zugestellt, versteckt wird. Eine große Offenheit breitet sich aus. Der ungeschminkte Blick auf das eigene Leben ebenso wie die Gewissheit, noch etwas Neues zu erblicken. Auch die Hoffnung, sich selbst noch einmal neu sehen zu können. Vielleicht braucht ein Mensch dafür nicht nur die sichere Warte, sondern auch die Sicht von oben… Ganz sicher!
Zwei Augen im Blätterdach: eine kleine Welt wird sehr weit.
Ich möchte Sie am liebsten jetzt einladen, auch „von oben“ einmal Ausschau zu halten. Aber das werden Sie wohl auch ohne Empfehlung machen – wenn doch schon das Evangelium diese Spur legt.
Richtig gemütlich ist der Maulbeerfeigenbaum nicht. Wie lange ich es hier noch aushalte? Im Baumhaus war ich auch schon lange nicht mehr … Vielleicht jetzt noch die – dritte Predigt? Das vierfache Glück
Das vierfache Glück
Die Geschichte ist schneller erzählt, als mir lieb ist. Jesus bleibt unter dem Baum stehen und holt mit – Kennermine – den Zöllner von oben herunter. „Komm schnell herunter“ – es ist, als ob keine Zeit ist. Keine Zeit bleibt. Jetzt! Schnell! „Ich muss heute bei dir einkehren“! Muss! Keine Wahl, keine Ausflucht, kein „oder“.
Das ist einfach Glück. Für den Zöllner. Und für uns auch. Was die Leute jetzt sehen, zu sehen meinen – egal. Was die Leute jetzt sagen, tuscheln – egal. Die Frommen sind entsetzt: Jesus setzt sich mit diesem Subjekt an einen Tisch, isst mit ihm, lacht mit ihm. Für sie ist die Welt nicht in Ordnung. Sie war ja eigentlich noch nie in Ordnung. Sie wird auch nie in Ordnung kommen. Diese Prophezeiung erfüllt sich von selbst. Diese Prophezeiung hat sich immer schon von selbst erfüllt. Ohne einen Finger zu krümmen, ohne ein Wort zu sagen. Nicht in Ordnung! Urteil und Verhängnis zugleich.
Für Jesus ist das so ziemlich das Größte, aus dieser beklemmenden Enge herauszufinden – und herauszuführen. Immer wieder kommt Lukas in seinen Erzählungen darauf zurück, variiert das in vielen Wendungen und Bildern: Jesus nimmt sich der Sünder an, Jesus hat einen gütigen Blick auf die, die schuldig werden – oder schuldig gesprochen werden, Jesus holt Menschen in das Leben zurück!
Wie aus dem einfachen Glück ein vierfaches Glück wird? Ich bin Ihnen wohl noch eine Antwort schuldig. Der Zöllner gibt vierfach zurück! Ich weiß nicht, wer jetzt glücklich, wer jetzt glücklicher ist: der Zöllner – oder die Menschen, die ihn noch einmal sehen. Ihn noch einmal anders sehen. Ihn noch einmal anders sehen sollen.
Jetzt ist das Wort „sehen“ wieder im Spiel. Was dem Zöllner widerfahren ist, lässt sich sehen. Soll gesehen werden. Vierfaches Glück. Vervielfältigtes Glück. Vielfältiges Glück.
Ist der Zöllner jetzt immer noch „sehr klein“?
Ich wollte Sie heute mit drei kleinen Predigten verwöhnen – und herausfordern.
Ich wünsche Menschen, deren Namen ich nicht nennen darf, eine sichere Warte,
einen weiten Blick von oben – und ein vierfaches Glück.
Möge den Gaffern die Augen übergehen:
Jesus ist gekommen, zu suchen und zu retten, was verloren ist.
Wenn Sie dafür einen Baum brauchen: nichts wie hinauf.
Sie könnten aber auch den Tisch decken …
Heute darf gefeiert werden!
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.