Zwei Lernende
Fremd sein - das ist eine Erfahrung, die herausfordern kann. Sei es, dass ich selber fremd bin oder dass ich als Einheimischer fremden Menschen begegne. Fremdsein - das macht vielleicht zuerst Angst, ist Bedrohung. Denn es stellt das Eigene auch in Frage. Doch es gibt auch die andere Seite: Fremdsein, Fremden zu begegnen, das kann bereichern. Es kann mein Denken erweitern. Ich kann vom Fremden lernen.
Lernen kann ich sehr viel von der kanaanäischen Frau - sehr viel. Ihre Tochter ist krank. Da ist es selbstverständlich, dass sie alles versucht, dass ihr Kind gesund wird. Alles setzt sie ein. Wir hören es ja im Evangelium sie schreit so lange hinter den Jüngern her, bis diese Jesus endlich bitten, er möge ihre Bitte erfüllen. Welch eine Liebe zeigt sich hier. Welch einen Einsatz für die eigene Tochter. Diesen Mut, diese Hartnäckigkeit, dieses Vertrauen in Jesus ist eines, was ich von der kanaanäischen Frau lernen kann.
Doch es kommt für sie ganz scharf. Sie hat auf Jesus viel Hoffnung gesetzt. Denn sie hört die Worte: "Es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und dann den Hunden wegzuwerfen!" Diese Worte zeigen Jesus von einer anderen Seite als wir ihn uns sonst vorstellen. Da ist nicht der liebe Jesus, der für alle ein offenes Herz hat. Jesus ist mir hier ziemlich fremd in seiner Schroffheit, in seinen scharfen Worten. Was Jesus hier sagt, hätte die Frau auch als Beleidigung auffassen können. Mit "Hunde" bezeichneten die Juden damals alle Menschen aus anderen Völkern und damit alle Heiden. Sie glaubten, dass das Heil, das von Gott kommt, nur den Juden galt und eben nicht den Heiden. Damit hatten die Menschen in den Augen vieler Juden nicht die selbe Würde. Auch Jesus scheint das zu denken, wenn er sagt: "Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt!"
Doch jetzt kann ich durch die kanaanäische Frau ein weiteres lernen. Sie lässt sich nicht einfach von Jesus abtun. Sondern sie wird sich ihrer eigenen Würde bewusst. Sie hat vielleicht gedacht: Ich gehöre zwar nicht dem Volke Gottes an. Doch auch ich selbst habe meine Würde. Mein Kind hat seine Würde. Auch die Menschen meines Volkes haben ihre Würde. Mag sie auch nicht so groß sein wie die Würde derer, die dem Volk Israel angehören. Dieser Gott Israels muss auch ein Herz haben für die Menschen anderer Völker und Nationen. Tief davon überzeugt sagt sie dann zu Jesus: "Ja, du hast recht, Herr! Aber selbst die Hunde bekommen von den Brotresten, die vom Tisch ihrer Herren fallen!" Nur wer so einen Glauben hat wie die Frau, der kann so sprechen. Und dieser große Glaube, diese Hoffnung, ist das nächste, was ich von der Frau aus dem fremden Volk lernen kann. Da weiß ich mich, wenn ich dieses Evangelium lese, in guter Gesellschaft mit Jesus.
"Frau, dein Glaube ist groß!" Jesus lobt diesen Glauben. Er hat gelernt, dass nicht nur in seinem Volk Glauben vorhanden war, sondern auch in Menschen anderer Völker. Er hat gelernt, dass Gott sein Heil nicht nur den Israeliten schenken wollte, sondern allen Menschen.
Wechselseitige Bereicherung
Das Heil - das ist nicht nur einer bestimmten Gruppe vorbehalten, nicht nur bestimmten Menschen. Ich darf mir nicht einbilden, das Heil, die Liebe Gottes nur deswegen zu bekommen, weil ich katholisch bin, dazu noch römisch katholisch. Ich habe das Heil, die Liebe Gottes nicht einfach nur dadurch, dass ich jeden Sonntag den Gottesdienst besuche. Das ist jetzt keine Binsenweisheit. Vielmehr müssen wir aufpassen, nicht in das Denkschema zu verfallen, nur der eigene Weg, die eigene Konfession, das eigene Denken sei richtig. Nur wir leben in der wahren Kirche.
Wer sich mit den anderen Religionen befasst, wird sehen, wie wertvolles und wie viel richtiges in ihnen enthalten ist. Man kann über die Glaubensinhalte der anderen Religionen diskutieren, sie in Frage stellen. Eines ist in ihnen immer wieder zu sehen: Eine ehrliche Suche nach Gott, eine ehrliche Suche, nach dem Sinn, und auch eine ehrliche Suche, diese Welt immer im Sinn Gottes zu gestalten. Natürlich brauchen auch wir Christen und Christinnen uns nicht verstecken. Auch wir dürfen Menschen anderer Religionen bereichern.
In Gesprächen mit Menschen, die einem anderen Glauben angehören, die zu einer anderen Konfession gehören, sogar mit denen, die nicht glauben, spüre ich oft ganz ehrliches Fragen. Ich werde in meinem Glauben bereichert. Ich glaube fest: Gott wendet sich auch diesen Menschen zu. Gott hat so viele Wege wie es Menschen gibt. Diese Menschen sind geliebt, ganz gleich wem oder was sie angehören. Alle Menschen beruft Gott zum Heil. In jedem Menschen kann Gott mir etwas mitteilen, mir sagen. Überall kann der Glaube groß sein, hartnäckig, überall kann ich viel Liebe entdecken. Dort, wo ich das Suchen und Fragen entdecke, wo ich ehrliche Liebe zu einander sehe, dort ist dann auch Kirche zu entdecken, dort wirkt Gottes Geist. Das ist doch eine wunderbare Erkenntnis. Wie oft haben sich Menschen bekämpft, weil sie glaubten, nur ihr Weg, ihre Religion, ihre Kirche, sei das richtige, alle anderen seien falsch, schlechter, weniger wert.
Suchen wir weiter aufeinander zuzugehen. Gehen wir dem, was uns fremd erscheint, nicht aus dem Weg. Gott bringt uns weiter, bereichert uns, vielleicht gerade durch das Fremde, die Fremden, denn ich bin fest überzeugt: allen Menschen ist das Heil geschenkt.