Lesung aus dem Buch Ezechiel.
So spricht der Herr:
Ihr sagt: Der Weg des Herrn ist nicht richtig.
Hört doch, ihr vom Haus Israel:
Mein Weg soll nicht richtig sein?
Sind es nicht eure Wege, die nicht richtig sind?
Wenn ein Gerechter
sich abkehrt von seiner Gerechtigkeit und Unrecht tut,
muss er dafür sterben.
Wegen des Unrechts, das er getan hat, wird er sterben.
Wenn ein Schuldiger
von dem Unrecht umkehrt, das er begangen hat,
und nach Recht und Gerechtigkeit handelt,
wird er sein Leben bewahren.
Wenn er alle seine Vergehen, die er verübt hat,
einsieht und umkehrt,
wird er bestimmt am Leben bleiben.
Er wird nicht sterben.
Die Lesung spiegelt eine Auseinandersetzung wider: Das „Haus Israel“ – gemeint ist das Volk Gottes – beansprucht mehr Spiel- und Ermessensräume, Jahwe aber erwartet ein Verhalten, das seiner Treue entspricht.
Wer das rechtschaffene Leben aufgibt und Unrecht tut, muss die Folgen tragen: den Tod. Es gibt so keine Zukunft, kein Leben. Aber wer umkehrt und nach Recht und Gerechtigkeit handelt, wird sein Leben bewahren. Gottes Wort lässt sich auch in Ausnahmesituationen oder in Einzelfällen nicht aussetzen oder Zweckmäßigkeiten anpassen.
Ezechiel, der die Geschichte der Menschen und seines Volkes gut kennt, sieht Leben und Zukunft nur da, wo Gottes Wort ernst genommen wird. Aktueller Anlass für die Auseinandersetzung, die mit allen Mitteln geführt wird, ist die Erfahrung der Niederlage, der Verbannung und der Machtlosigkeit. Das Volk Gottes sieht sich im babylonischen Exil aufgerieben und verlassen.
Der erste Satz offenbart, dass die Menschen Gott die Schuld geben, modern: ihm Unverhältnismäßigkeit der Mittel vorwerfen.
„Ihr sagt: Das Verhalten des Herrn ist nicht richtig. Hört doch, ihr vom Haus Israel: Mein Verhalten soll nicht richtig sein? Nein, euer Verhalten ist nicht richtig.“
Die Lesung lenkt den Blick auf das rechte Verhalten – und auf das, was Zukunft und Leben verspricht.
Betrachtet man das Buch des Propheten Ezechiel als Ganzes, so kann man eine Dreiteilung festmachen, wie wir sie auch im Protojesaja, im griechischen Jeremia und bei Zefanja finden:
A) Gericht über Israel.
B) Gericht über andere Völker.
C) Zusicherung von Heil für Israel.
Unsere Lesung befindet sich im ersten Teil, wobei die Verkündigung des Gerichts einhergeht mit dem Heil für die Opfer von Übeltätern und die Gerechten.
Die Wegführung nach Babylon (598 v. Chr.) schien die düstere Prognose der Gerichtspropheten zu bestätigen: Jahwe straft die Sünden des Volkes durch die Zerschlagung der Nation. Für die Exilanten wird diese Deutung der Verbannung als Strafe für die auf Israel lastende Sündenschuld zu einem religiösen Problem: die unschuldigen Söhne büßen der Frevel der schuldigen Väter. Aus dem Spottvers aus Ez 18,1 ("Die Väter essen saure Trauben und den Söhnen werden die Zähne stumpf“) wird in Vers 25 zur anklagenden Behauptung: Der Weg Jahwes ist nicht richtig!
Der Prophet bringt nun eine belehrend Zurechtweisung, um die durch vielfaches Leid verhärteten Menschen aufzurütteln. Er stellt klar, daß es weder einer Übertragung der Schuld noch eine Vererbung der Gerechtigkeit von einer Generation auf die andere gibt. Jahwe befragt jeden einzelnen Menschen auf sein Tun hin.
Konkret betrachtet heisst dies: Der Mensch ist hineingestellt, aufgrund des gegenwärtigen Gerichtes seine eigene Schuld zu bedenken. Im Vorspann unserer Lesung finden wir exakte Beispiele von einem gerechten und auch von einem ungerechten Leben. Die nächste Generation ist dabei nicht in die Schuld ihrer Vorfahren verstrickt: was zählt, ist das Tun von Recht und das Unterlassen von Unrecht. Jeder einzelne hat sein Tun selber zu verantworten.
Unsere Sonntagsperikope ist ein Ausschnitt aus der Zurechtweisung des Ezechiel. Auf dem Hintergrund des Gnadenangebots Gottes, der aus die Bekehrung des Sünders wartet, sichert Jahwe dem Umkehrwilligen das Leben zu. Leben, das ist mehr als nur die Sicherung und Erhaltung der nackten Existenz, sondere die Wiederaufrichtung der durch das Gericht gebeugten, die neue Hineinnahme in die Lebensgemeinschaft mit Jahwe.
Der, der Schuld auf sich geladen hat, hat die Möglichkeit, aus seiner Schuldhaftigkeit herauszukommen, hat die Möglichkeit der Umkehr. Wer aber das Leben in Gerechtigkeit aufs Spiel setzt und es verliert, der hat für immer verloren. Mit dieser Radikalität fordert dies JHWH ein, um sein Volk in die Verantwortung zu rufen: sein Volk, dass seine Schuld auf seinen Gott abzuschieben scheint: "Mein Verhalten soll nicht richtig sein?" (V25 und V29). Der Abschnitt endet mit dem dringenden Appell, mit dem Spruch des Herrn, der die letztliche Absicht Gottes aufzeigt: "Kehrt um, damit ihr am Leben bleibt."
Hintergrund des heutigen Abschnittes aus dem Alten Testament ist die Erfahrung des Volkes Israel im babylonischen Exil (6. Jht. v. Chr.). Es waren Jahre der Krise des Gottesglaubens. Was ist das für ein mächtiger Gott, der die Söhne für die Schuld der Ahnen sterben läßt? Ist ein solcher Gott nicht ungerecht? Aber ein ungerechter Gott ist doch kein Gott.
Der Prophet stellt eindeutig richtig: Gott kennt keine Kollektivschuld. Jahwe ist kein Rachegott. Gott hat nur die persönliche Schuld eines jeden Menschen im Auge. Die Folge daraus: Der Prophet fordert zur persönlichen Buße auf. Umkehr führt zur Befreiung und zu einem neuen Leben. Für Ezechiel steht fest: Gott will, daß der Mensch lebe! Und er gibt damit einem innerlich erneuerten Volk eine große Zukunftschance.
Manfred Wussow (2005)
Gabi Ceric (1999)
Lorenz Walter Voith (1996)