Not hat viele Gesichter
Ich gebe es zu: wenn ich die Nachrichten im Fernseher schaue, dann gehe ich ziemlich schnell zur Tagesordnung über. Das ist jetzt kein Schuldeingeständnis. Bitte verstehen Sie es auch nicht als eine zur Schau getragene Bescheidenheit. Zu vieles beschäftigt uns. Es warten noch einige Verpflichtungen, Aufgaben, die es dringend zu erledigen gilt. Da kann ich nicht jedes Leid an mir heran lassen. Während ich diese Gedanken niederschreibe, liegt neben mir auch mein Handy. Denn zur Zeit habe ich Rufbereitschaft als Notfallseelsorger. Wenn also in diesem Moment ein Anruf aus der Leitstelle kommt, dann muss ich aus verschiedensten Gründen los. Das Leid in der Welt, die Not hat viele Gesichter.
Doch ein besonders hässliches Gesicht zeigt mir das Leid in der vergangenen Zeit immer wieder. Immer häufiger hören wir, wie Kinder getötet werden. Sie werden mit in den Tod genommen. Erschüttert hat mich das Geschehen in Becknang, wo Kinder ums Leben kamen. Diese sind die unschuldigsten, die Menschen, die am meisten Schutz brauchen, die am meisten angewiesen sind auf unsere Hilfe. Jesus hat Kinder als Vorbild vor Augen gestellt, wenn er sie segnet, wenn er ein Kind in die Mitte stellt und sagt: wer so ein Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf. Wer so werden kann, wie ein Kind, der kommt in das Himmelreich. Die Menschen sind dann am zornigsten und sehr betroffen. Doch gerade bei diesen Fällen spüren wir unsere Machtlosigkeit. Ich spüre die Sinnlosigkeit von Gewalt. Das Leben kennt Leid und Sterben, es kennt Ungerechtigkeiten, gerade gegen Schwächsten.
Karfreitag – eine Absage
Der Karfreitag ist eine Absage gegen die Spaßgesellschaft. Lasst uns essen und trinken, morgen sind wir tot. Lasst uns fröhlich sein und feiern. Diese Haltung ist uns nur erlaubt, wenn wir bereit sind, zur rechten Zeit uns wieder den Problemen, den Ängsten und Sorgen dieser Welt zu widmen. Wir müssen bereit sein, alles in unseren Kräften Stehende zu tun, alle Ungerechtigkeit in dieser Welt zu lindern.
Der Karfreitag ist auch eine Absage gegen die Leistungsgesellschaft. Wir Menschen wollen aufsteigen. Da heißt es stark zu sein, besser, möglichst perfekt zu sein. Der Mensch definiert sich über seine Siege. Dabei sein ist alles - der olympische Gedanke. Aber schöner ist es doch zu siegen. Was nimmt der Mensch nicht da alles auf sich, welche Wege, auf denen sich der Menschselbst zerstört, geht er.
Der Karfreitag ist eine Absage gegenüber einer Mentalität, die wegschaut, die einfach zur Tagesordnung übergeht. Warum? Aus dem einfachen Grunde, weil Gott nicht wegschaut. Weil der Mensch mehr ist als seine Leistung. Weil das Leben nicht einfach in oberflächlichem Spaß besteht. Es ist sicher schön, wenn die eigene Mannschaft oben steht in der Tabelle, wenn sie einen Pokal gewinnt. Doch wie leicht können da wichtigere Frage, Angelegenheiten untergehen.
Dem Leid nicht ausweichen
Gott hat in Jesus Christus das Leid der Welt getragen. Dem Leiden in der Welt und auch dem Leiden im eigenem Leben dürfen wir nicht ausweichen. Der Glaube an Jesus bringt uns nicht ein bequemes und angenehmes Leben, sondern er ist eine Herausforderung, sich einzusetzen. Er ist eine Herausforderung, auch das anzunehmen, was in unseren Augen nicht schön ist. Gott nimmt alles an. Wir dürfen das glauben, weil es in der Bibel geschrieben steht. Die Texte aus den beiden Lesungen machen und Mut und Hoffnung. Sie wollen Kraft geben, Mut das Leiden zu bejahen. Sicher: eine Antwort nach dem Warum geben auch diese Lesungen nicht. Aber sie zeigen: das Leid der Menschen ist Gott eben nicht gleichgültig. Gott ist gerade bei den Leidenden, er ist in den Leidenden zu finden, bei den Menschen am untersten Rand. Gott geht nicht einfach zur Tagesordnung über, sondern er bleibt bei den Menschen.
Um unserer Sünden willen?
Schauen wir uns Jesaja an. Gegensätze prallen aufeinander. Der Knecht hat Erfolg, hoch erhaben. Doch seine Gestalt ist hässlich, doch viele hören auf ihn. Ein Mann voller Schmerzen. Doch alles erträgt er um unserer Sünden willen. Alles, was dieser Mensch erleidet, geschieht wegen unserer Verbrechen.
Ich bin doch kein Verbrecher. Überhaupt ist der Begriff "Sünde" überholt. Das gibt es doch gar nicht. Das ganze Leid, besonders das der getöteten Kinder zeigt uns da was anderes. Es gibt sie: die Sünde, den Egoismus, die Habgier. Nicht alles ist mit Krankheit zu erklären. Jesus ist nicht gestorben, weil die Menschen alle gut sind, nein, es gibt viel Lüge, viel Betrug, viel Verrat unter den Menschen, viel an Ungerechtigkeiten. Der leidende Gottesknecht wir ausgegrenzt. Doch am Ende wird er siegen, weil Gott zu ihm steht. Dieser Knecht trägt die Sünden der vielen. Für uns Christen ist damit eindeutig Jesus gemeint, der unsere Schuld trug. Für jüdische Ohren ist das eine Verheißung, eine Versprechung: Gott nimmt das Leid nicht aus der Welt, doch lässt er seinen Knecht auch nicht im Stich. Er wendet es zum Heile hin.
Der Weg der Liebe
Genau das ist die Botschaft des Karfreitages. Gerne klammern viele das Leiden eben aus. Ein liebender Gott kann nicht mit Leiden in Verbindung gebracht werden. Wäre Gott nicht viel stärker gewesen als alle Menschen, die Jesus auslieferten, die heute noch auf Kosten anderer Menschen leben. Das schon. Doch wir wollen lieber den starken Gott. Gerne klammern wir das Leiden aus. In den vergangenen Tagen habe eine Lebensbeschreibung des Heiligen Franz von Assisi gelesen. Darin heißt es sinngemäß: "Bleibt zu betonen, dass es nicht nur die angenehmen Dinge sind, denen er sich als Bruder anbietet, wie etwa den wärmenden Sonnenstrahlen. Er dichtet seinen Sonnengesang während eines Augenleidens. Er fügt die Strophe vom Bruder Feuer hinzu, als ihn eine schmerzhafte Operation mit einem glühenden Eisen erwartete... und er nennt in den letzten Stunden seines Lebens den Tod seinen Bruder." Franz von Assisi war nicht nur der fröhliche Heilige, sondern er kannte dunkle Stunden. Sie verdrängte er nicht.
Wenn wir das Leiden Jesu herunterspielen, dann klammern wir einen wichtigen Teil aus. Jesus hat das Leiden gekannt. Auch ihn führte es zu einem tiefen Verhältnis zu Gott. Der Brief an die Hebräer beschreibt Jesus als einen, der uns verstehen kann. Freiwillig ist er Mensch geworden. Jesus hat Ängste gekannt. Er hat zu Gott gefleht: Vater, wenn es möglich ist, dann lass diesen Kelch an mir vorüber ziehen, aber nicht wie ich will, sondern wie du willst..."
Jesus ist seinen Weg nicht gegangen, weil Gott das gebraucht hätte. Er hat seine Antwort gegeben. Es war der Weg der Liebe. In der Passionsgeschichte spüre ich immer wieder. Wenn Jesus auch als Angeklagter vor Pilatus steht, wenn er zu verlieren scheint, so ist er doch, der das Geschehen beherrscht. Im Leiden Jesu haben Menschen Kraft gefunden, weil sich Jesus mit den Leidenden, mit den Unterdrückten eins gemacht hat. Es waren die religiösen Führer, die sich in Frage gestellt fühlten, die Religion als Macht missbrauchten, die meinten, Gott im Griff zu haben. Er hat es auf sich genommen, das Leiden, um zu zeigen: diese Welt, diese Zeit sie hat ihren Sinn, auch dann, wenn wir es noch nicht verstehen.
Eines tut Gott nicht - einfach zur Tagesordnung übergehen. Er geht unseren Weg mit, als Jahwe, der Ich bin der Ich bin da, als der Immanuel, der Gott mit uns. Klammern wir als das Leiden, das einfach dazu gehört, nicht aus.