Hinführung:
Im Angesicht der Zerstörung Jerusalems spricht der Prophet Jeremia seinem Volk neue Hoffnung zu. Gott bleibt seinen Verheißungen treu. Wo die einen nur Untergang sehen, dürfen die Glaubenden bereits den Neubeginn erhoffen.
Lesung aus dem Buch Jeremia.
Siehe, Tage kommen - Spruch des HERRN - ,
da erfülle ich das Heilswort,
das ich über das Haus Israel
und über das Haus Juda gesprochen habe.
In jenen Tagen und zu jener Zeit
werde ich für David einen gerechten Spross aufsprießen lassen.
Er wird Recht und Gerechtigkeit wirken im Land.
In jenen Tagen wird Juda gerettet werden,
Jerusalem kann in Sicherheit wohnen.
Man wird ihm den Namen geben:
Der HERR ist unsere Gerechtigkeit.
Neubeginn in Zeiten des Untergangs
Mit dem Untergang der Stadt Jerusalem im Jahre 587 v.Chr. wurde auch die Dynastie Davids vom Thron gestürzt. Sie hat etwa vier Jahrhunderte die Geschicke Jerusalems bestimmt. Große Hoffnungen waren mit ihr verbunden gewesen, immerhin hatte der Prophet Natan einst David verheißen, sein Königtum werde auf ewig bestehen bleiben (2 Sam 7,16). Lange Zeit schien sich das auch zu bewahrheiten: Während das Nordreich Israel unterging, trotzte das Südreich Juda den Stürmen der Zeit. Nun war auch seine Stunde gekommen. Allzu selbstsicher hatte man darauf gebaut, es werde Jerusalem schon nichts zustoßen - als wäre der Glaube eine Garantie für ein sorgloses Leben. Doch plötzlich ist alles anders. Die Belagerer stehen vor der Tür. Bald liegt der Tempel in Trümmern, das Volk verliert sein Land und muss ins Exil und über Jerusalem herrschen fremde Fürsten.
Das Neue beginnt zu sprießen
In diese Stunde hinein ist uns die heutige Lesung geschenkt. Als die Not in Jerusalem am größten ist und die Belagerer bereits vor der Tür stehen, verkündet Jeremia: Dies ist nicht das Ende. Zeit seines Lebens hat er Unheil verkündet. Nun, da das Angesagte eingetroffen ist, spricht er den Menschen Mut zu. Er ruft ein gutes Wort in Erinnerung, das in ähnlicher Weise schon einmal zu hören war (vgl. Jer 23,5f). Es gilt nicht nur Juda, sondern auch dem längst untergegangenen Israel, also dem gesamten Gottesvolk. Die Rede ist von einem gerechten Spross, den Gott aufsprießen lässt. Wer aber soll das sein?
Blicken wir auf Jer 23,5, entsteht der Eindruck, es handle sich um einen gerechten König. In Jer 33,14-16 wird das Bild neu gedeutet. Nicht der König, sondern Jerusalem ist dieses Zeichen der Hoffnung. Der Ehrenname „Der Herr ist unsere Gerechtigkeit“ (Jer 25,6; 33,16) bezieht sich nun auf die Gottesstadt. Recht und Gerechtigkeit, die klassischen Aufgaben des Königs, sind jetzt das Kennzeichen des gesamten Volkes Gottes. Wie ein Schößling rasch emporsprießt, wird sich diese Verheißung bald erfüllen. So wird die Bevölkerung der Hauptstadt zum lebendigen Zeichen dessen, dass Gott seinem Volk in Treue zur Seite steht. Sie wird zu einem messianischen Zeichen. Liest man beide Texte des Propheten Jeremia zusammen, wird deutlich, dass es den messianischen König nicht ohne die messianische Gesellschaft gibt.
Hoffnung und Wachsamkeit
Während die alttestamentliche Lesung, der erste Bibeltext, den wir im heurigen Advent hören, die Vorfreude weckt, bringt das Evangelium eine andere Seite ans Licht. Für jene, deren Leben von Bedrängnis getrübt ist, mag der Advent eine Zeit erhoffter Veränderung sein. Doch was ist mit jenen, die das unheilvolle Getriebe dieser Welt befeuern? Für sie ist das kommende Heil eine schmerzliche Form der Veränderung. So tritt zur Vorfreude die Forderung, zu wachen und zu prüfen, auf welcher Seite wir eigentlich stehen.
Klaus Einspieler
© Diözese Linz. Team Bibelwerk Linz und Glaubenskommunikation
Der Prophet Jeremia gehört zu den vorexilischen Propheten aus dem Südreich Juda. Er bekam kurz vor seinem Tod die Zerstörung des Tempels vermutlich noch mit. Andere Quellen belegen aber auch, dass er zuvor nach Ägypten verschleppt und dort gesteinigt wurde.
In der vorliegende Perikope sieht Jeremia die Zerstörung Jerusalems voraus. Doch auch darüber hinaus hat Israel eine Zukunft - wenn es auf seinen Gott setzt.
Die Perikope stellt eine Sammlung von Einzelsprüchen dar, die das kommende Heil betreffen. Sie sind bewusst als "Spruch des Herrn" ausgewiesen, als Jahwewort.
Die Rede vom "Spross" aus dem Haus Davids verweist auf den Titel des künftigen Herrschers, den Messias; sie geht zurück auf Jes 10,28-34, einem Drohwort, dass Juda "wie mächtige Bäume" gefällt wird; aus den Baumstumpf aber erwächst ein junger Trieb (Jes 11,1). Sach 6,12: "Da ist ein Mann, Spross ist sein Name; denn wo er steht, wird es sprossen, und er wird den Tempel des Herrn bauen."
Die Rede von "Recht und Gerechtigkeit" ist mit dem Wirken des Königs verbunden.
Vers 16 "Der Herr ist unsere Gerechtigkeit" verweist auf den letzten König, Zidkija (= "Jahwe ist meine Gerechtigkeit").
Die Kapitel 26 bis 35 des Jeremiabuches, denen die erste Lesung des Ersten Adventsonntags entnommen ist, enthalten Drohworte und Verheißungen an Jerusalem und Juda. In ihrem Kern sind sie in den Auseinandersetzungen vor dem Zusammenbruch Judas entstanden. Die Worte des Jeremia waren vielen Juden in der babylonischen Gefangenschaft Verheißung und Trost. Die Verse der Lesung sind Teil eines verhältnismäßig späten Nachtrags zu den Trost- und Verheißungsworten des Propheten.
Im V. 15 wird ein Spross für David verheißen. Dies zu einer Zeit, in der das Haus David völlig darniederlag. Das Wort "Spross" spielt auf ein Bild des Propheten Jesaja (Jes 10:33) an, in dem er Juda mit einem Wald vergleicht, dessen mächtige Bäume gefällt werden.
Aufgabe des Königs ist es, für Recht und Gerechtigkeit zu sorgen. Der verheißene König wird im Gegensatz zu König Jojakim, dem Jeremia das Gericht ankündigte, dieser Aufgabe nachkommen.
Bibelwerk der Diözese Linz (2018)
Martin Stewen (2012)
Johann Pock (2000)
Hans Hütter (1997)