Leidensgeschichte - Leidensgeschichten
Wir lesen heute die Passion unseres Herrn Jesus. Es ist Palmsonntag. Die Karwoche beginnt. Eine Woche Leidensgeschichte, Lebensgeschichte, Hoffnungsgeschichte.
Geschichte reiht sich an Geschichte. Jesus feiert mit seinen Jüngern das Passahmahl. Die Jünger streiten sich, wer von ihnen der Größte sei. Auf dem Ölberg ist Jesus alleine – seine Jünger schlafen. Jesus wird verleugnet, Jesus wird verraten. Von seinen eigenen Leuten. Jesus wird gefangen genommen, verspottet und verhört. Es ist, als ob sich alle gegen ihn verschworen haben. Das Todesurteil steht schon lange fest. Es geht durch alle Instanzen. Der Mob reißt die öffentliche Meinung mit. Jesus wird gekreuzigt.
Geschichte reiht sich an Geschichte. Wenn wir heute – Etappe für Etappe – mit Jesus mitgehen, sollten wir nicht die Wissenden spielen. Auch nicht die, die alles schon kennen. Schon gar nicht die, die in der Ferne stehen bleiben.
In jeder Szene sehen wir Menschen, die es sich einfach machen – und nicht groß nachdenken. Die einen Schuldigen ausfindig machen – und finden. Die ihre Solidarität aufkündigen – und ihre Hände in Unschuld waschen. Wir sehen verletzten Stolz, wir nehmen die Angst vor anderen, vor fremden Menschen wahr, wir spüren abgrundtiefen Hass, der sich selbst in der Vernunft versteckt.
Heute müssen wir darüber reden, wie Mitmenschlichkeit in Stacheldrähten hängen bleibt, wie Worte und Bilder zu scharfen Geschützen werden, wie Wahrheit im Gestrüpp der Vorurteile gefangen wird. Die Würde von Menschen wird verletzt, Angst wird gemacht, Hass wird gesellschaftsfähig. Wenn wir nichts sagen. Wenn wir schweigen.
Liebe, die den Tod überwindet
Geschichte reiht sich an Geschichte. Jesus feiert mit uns das Mahl und schenkt sich uns. Das ist mein Leib, sagt er, wenn wir das Brot teilen. In der Verlorenheit auf dem Ölberg findet Jesus seinen Weg. Und die Kraft Gottes. Die schlafenden Jünger werden nicht fallengelassen, Petrus nicht, auch Judas nicht. Den Schau-Prozess hält Jesus aus. Das Urteil nimmt er an. Wenn Liebe Liebe bleiben will, muss sie auch im finsteren Tal der Versuchung widerstehen, groß herauszukommen. Sich in Szene zu setzen. Anderen die Schuld zuzuweisen. Ich bewundere den Evangelisten: Er reiht Geschichte an Geschichte – und lässt mich das Geheimnis der Liebe sehen. Diese Liebe wird dann – tatsächlich – den Tod überwinden.
Die bösen Mächte, die immer noch Menschen zu Freiwild machen und rationale Gründe lächelnd nachreichen, werden aber, Szene für Szene demaskiert . Keine gute Miene zum bösen Spiel! Jeder weiß, jeder kann wissen, jeder soll wissen, was hier gespielt wird.
Am Ende ist es der römische Hauptmann, der sieht, was geschehen ist: Er preist Gott und sagt: „Das war wirklich ein gerechter Mensch.“
Ich habe jetzt keine Angst. Ich möchte darüber reden, was Menschen Menschen antun. Ich möchte mich auf die Seite Jesu schlagen. Mit seinen Augen das Leben sehen lernen. Ohne seine Liebe kann ich nicht leben. Wir lesen heute die Passion unseres Herrn Jesus. Wir sind noch ganz am Anfang.
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.