Kirche als Bauwerk
Die vielen Kirchengebäude, ebenso wie Gebetsstätten anderer Religionen (Moscheen, Tempel, Synagogen) prägen das Erscheinungsbild unserer Städte und Ortschaften. Sie stellen Zeichen, Hinweise dar, die nicht selten allein wegen ihrer Schönheit und der Harmonie der Formen und Farben die Blicke der Menschen auf sich richten. Wer ein solches Gebäude aus welchen Gründen auch immer betritt, der ist oftmals beeindruckt vom Raum, von der Stille, von der Welt, die sich da auftut. Auch Menschen, die gar nicht (mehr) an Gott denken, fühlen vielleicht, dass der Raum, den sie betreten haben, in ihnen eine Art von Geborgenheit erwachen lässt. Auch wenn der Besucher gar nicht betet, weil er nicht beten kann oder nicht beten will, kann es doch sein, dass der sakrale Raum als bergende Hülle erfahren wird, und es mag eine Form von wohltuender Besinnung stattfinden. Der Raum lädt ein zum Verweilen, zum Nachdenken, zum In-Sich-Gehen. Vielleicht wächst in manchem Besucher das Bewusstsein, dass er in seinem bisherigen Leben auf einer Flucht war und noch ist. Flucht nicht nur vor irgendetwas oder irgendjemandem, sondern eine Flucht vor sich selbst. Der hl. Augustinus, selbst lange Zeit ein Suchender, hat dieses Geschehen folgendermaßen beschrieben: "Ich war mir selbst entlaufen und fand mich selber nicht" (Confessiones V, 2,2).
Kirche als Gemeinschaft von Menschen
Wenn wir von Kirche, Gotteshaus sprechen, so meinen wir nicht nur das Gebäude, selbst wenn darin Jesus im Heiligen Altarssakrament gegenwärtig ist. Kirche ist immer und in erster Linie ein geistiges Haus, das von Menschen gebildet wird, die durch Taufe und Firmung in eine Gemeinschaft mit Gott gerufen wurden. Das griechische bzw. hebräische Wort für Kirche bedeutet ja die Gerufenen, die Eingeladenen, die gemeinsam zum Tisch des Wortes und des Brotes geladen sind. Wir sind geladen, als lebendige Steine eine Kirche als geistiges Haus aufzubauen: "Lasst euch als lebendige Steine zu einem geistigen Haus aufbauen" (1 Petr 2, 5).
Zeugen der Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes
"Viele Male und auf vielerlei Weise" (Hebr 1,1) hat Gott zu den Menschen gesprochen. Eine der vielen Formen der Rede Gottes ist das lebendige Zeugnis der Gemeinschaft der Glaubenden. Sie sollen durch ihr Leben und Tun zum Ausdruck bringen, dass das Antlitz Gottes dem Menschen zugewandt ist. Viele vermögen freilich in den Bedrängnissen ihres Lebens dieses Antlitz eines liebenden Gottes nicht zu erkennen; es bleibt ihnen verborgen, und Gott ist für sie der große Unbekannte. Die Prophezeiung des Propheten Jesaia, wonach das im Dunkeln wandernde Volk ein helles Licht sieht (vgl. Jes. 9, 1), hat sich im Leben vieler (noch) nicht zugetragen; was bleibt, ist vielleicht Hoffnung. Die Kleinen, Verletzten, Hilfesuchenden, in mehrfacher Hinsicht Obdachlosen sind weiter den vielen Dunkelheiten, den ungelösten Spannungen ihres Lebens ausgeliefert.
"Mich erbarmt des Volkes" - keiner, der Christus begegnet, soll hungrig weggeschickt werden (vgl. Mk 8, 2). Diejenigen, die selbst Kirche sind, auch wenn sie den Rätseln des eigenen Lebens noch ausgeliefert sind, sollen den Anderen, den Ärmeren, die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes (Tit 3,4) vorzeigen und vorleben.
Hände und Füße Gottes
Es gab und gibt immer wieder Menschen, die das Negative auf Seiten der Institution Kirche aufzeigen und mit einer gewissen Häme hervorkehren. "Bashing" wird dieser Vorgang genannt, bei dem vermeintliche und auch wirkliche Skandale, die von kirchlichen Amtsträgern begangen wurden, genüsslich ausgebreitet werden. Wenngleich in solchen Fällen lückenlose Aufklärung und Schuldeingeständnisse erforderlich sind, so muss doch auch auf die vielen positiven Zeichen der Kirche hingewiesen werden, wo vielen Bedürftigen materiell und geistig geholfen wird, wo Zeichen der Hoffnung gesetzt werden. Gott bedient sich unserer Hände und unserer Füße, wie Mutter Teresa einmal gesagt hat, um das uns zugewandte Antlitz Gottes zum Leuchten zu bringen. Es muss darauf hingewiesen werden, dass die Kirche als Organisation wie auch viele einzelne Gläubige sich schon seit Jahrhunderten der Armen und Verlassenen annehmen, dass die Kirche bereits zu einer Zeit Spitäler, Armen- und Waisenhäuser gegründet und unterhalten hat, als staatliche Institutionen noch nicht im entferntesten daran dachten, sich dieser Aufgabe zu widmen. So sei z.B. an die Heilig-Geist-Spitäler des Mittelalters erinnert.
Auch heute erbringt die Kirche erstaunliche Leistungen im Bereich der Caritas und anderer Hilfsorganisationen; sie weiß um vielfältige geistige und materielle Not und versucht, so gut sie kann, abzuhelfen. Und immer wieder sind es Einzelne, die von der Liebe des Guten Hirten nicht nur reden, sondern sich mit ihrer ganzen Kraft denen zuwenden, die wie Schafe ohne Hirten sind und sich vielfach verlaufen haben.
Von der Kirche reden muss auch heißen, von ihren Großtaten reden, ohne die die Welt ärmer wäre als sie es tatsächlich ist. "Freude und Hoffnung, Bedrängnis und Trauer der Menschen von heute, besonders der Armen und Notleidenden aller Art, sind zugleich auch Freude und Hoffnung, Trauer und Bedrängnis der Jünger Christi" (Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils, 1). Kirche ist freilich eine Gemeinschaft von Heiligen und Sündern - auch die Heiligen sind ja zugleich Sünder - aber sie ist auch ein "Haus voll Glorie".
Kirchweihe, Ereignis und Zeichen
Kirchweihe ist, wie bereits gesagt, Erinnerung an das historische Ereignis des Baues und der Segnung eines Gebäudes. Es ist aber zugleich ein Mahnmal, ein Zeichen, dass es in dieser Kirche ein Grundgesetz gibt, den Armen eine frohe. befreiende Botschaft zu verkünden (Lk 4, 18) und dass jeder von diesem Gesetz in die Pflicht genommen wird.
Martin Leitgöb (2008)