In jenen Tagen, schaute ich das Aussehen der Gestalt der Herrlichkeit des Herrn. Und ich fiel nieder auf mein Angesicht. Da hörte ich die Stimme eines Redenden. Er sagte zu mir: Menschensohn, stell dich auf deine Füße; ich will mit dir reden. Da kam Geist in mich, als er zu mir redete, und er stellte mich auf meine Füße. Und ich hörte den, der mit mir redete. Er sagte zu mir: Menschensohn, ich sende dich zu den Söhnen Israels, zu abtrünnigen Völkern, die von mir abtrünnig wurden. Sie und ihre Väter sind von mir abgefallen, bis zum heutigen Tag. Es sind Söhne mit trotzigem Gesicht und hartem Herzen. Zu ihnen sende ich dich. Du sollst zu ihnen sagen: So spricht Gott, der Herr. Sie aber: Mögen sie hören oder es lassen — denn sie sind ein Haus der Widerspenstigkeit —, sie werden erkennen müssen, dass mitten unter ihnen ein Prophet war.
Das Buch Ezechiel beginnt mit einer Gotteserscheinung, deren Ende die heutige Perikope darstellt. Der Schauende stellt immer wieder erstaunt fest, dass das, was ihm erscheint, Ähnlichkeit mit ihm Bekannten - etwa mit einer Menschengestalt - besitzt. Der Erscheinende hingegen anerkennt den Propheten ganz und gar als Mensch. Und das meint auch in den Grenzen seines Menschseins, wenn er ihn mit “Menschensohn” anspricht. Trotz dieser Begrenztheit traut Gott dem Propheten zu, das abgefallene Volk Israel zu retten. Der Erscheinende zeichnet dazu aber keinen ganz einfachen Weg. Auch lässt die ganze Szene der Erscheinung den Propheten wissen: Gott ist mit dir. Und so ruft er dem Propheten, der noch voll Ehrfurcht am Boden liegt, zu, aufzustehen und aufrecht den Weg eines Propheten zu gehen.
Ezechiel wird von Jahwe als "Menschensohn" angesprochen, von ihm auch "aufgehoben" und auf die Füße gestellt. Es gehört zu den prophetischen Berufungsgeschichten, klein zu werden, auf die Erde zu fallen und nicht auf Augenhöhe zu bleiben.
Gesandt wird der Prophet zu den "abtrünnigen Söhnen Israels", die hier erscheinen als Menschen, die immer wieder und bis zum heutigen Tag abgefallen sind von Jahwe und seinem Willen. Sie werden als "widerspenstiges Volk" charakterisiert "mit trotzigem Gesicht und hartem Herzen". Die Konkretion fehlt jedoch, lässt sich aber aus dem prophetischen "Buch" des Ezechiel erschließen. Es ist der Ungehorsam, der das Volk von Jahwe trennt. Sie werden, so heißt es am Schluss des Abschnittes, erkennen müssen, dass mitten unter ihnen ein Prophet war. Was das heißt, erschließt sich auch erst aus dem "Buch" des Ezechiel: der Prophet deutet eine Unheilsgeschichte.
Zum Fortgang der prophetischen Verkündigung gehört auch, dass Jesus als "Menschensohn" vorgestellt wird, der das Volk Gottes errettet.
Der Name Ezechiel birgt im Kern die Botschaft: "Gott möge Kraft geben." Und diese Kraft braucht das Volk Israel, weil Ezechiel seinem Volk den Untergang des Reststaates Israel (Juda und Jerusalem) verkünden muss. Auf die Füße gestellt, d.h. vor Gott stehend als vertrauter Diener und Bote, empfängt er die Botschaft an das Haus Israel. Für den Propheten ist nicht der Erfolg oder Misserfolg, Annahme oder Ablehnung der Botschaft entscheidend, sondern nur die Erfüllung des Auftrags Gottes.
Antwortpsalm - Ps 123,1-4
Kv: Unsere Augen sind erhoben zum Herrn, unserm Gott, bis er uns gnädig ist. – Kv Oder GL 307,5
Ich erhebe meine Augen zu dir, * der du thronst im Himmel. Siehe, wie die Augen der Knechte auf die Hand ihres Herrn, / wie die Augen der Magd auf die Hand ihrer Herrin, * so sind unsere Augen erhoben zum Herrn, unserem Gott, bis er uns gnädig ist. – (Kv)
Sei uns gnädig, Herr, sei uns gnädig! * Denn übersatt sind wir von Verachtung, vom Spott der Selbstsicheren ist übersatt unsere Seele, * von der Verachtung durch die Stolzen. – Kv
Lesung aus dem zweiten Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korínth.
Schwestern und Brüder! Damit ich mich wegen der einzigartigen Offenbarungen nicht überhebe, wurde mir ein Stachel ins Fleisch gestoßen: ein Bote Satans, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe. Dreimal habe ich den Herrn angefleht, dass dieser Bote Satans von mir ablasse. Er aber antwortete mir: Meine Gnade genügt dir; denn die Kraft wird in der Schwachheit vollendet. Viel lieber also will ich mich meiner Schwachheit rühmen, damit die Kraft Christi auf mich herabkommt. Deswegen bejahe ich meine Ohnmacht, alle Misshandlungen und Nöte, Verfolgungen und Ängste, die ich für Christus ertrage; denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark.
Paulus schreibt an seine Gemeinde in Korinth, die in einer heiklen Glaubensverfassung ist: Sie wollen als junge Kirche ihm die Gefolgschaft verwehren. So wendet er sich an die Christgläubigen in demütiger Haltung und erklärt ihnen all das Leid, das er für seine Überzeugungen erlitten hat. Der “Stachel im Fleisch” wird der Überzeugung der Exegeten folgend wohl eine veritable Krankheit gewesen ein. Mit welcher Diagnose wir es zu tun haben, bleibt Spekulation.
Paulus spricht in seinem Brief an die Gemeinde in Korinth seine gesundheitliche/körperliche Schwäche an, die ihm - wie zwischen den Zeilen zu entnehmen ist - auch vorgeworfen wird. Erwartet wurde ein strahlender, siegesgewisser, herausragender und redegewandter Apostel, der mit seiner Erscheinung die Wahrheit des von ihm Verkündigten überzeugend darstellt.
Paulus sieht sich genötigt, zwei Einsichten zu vermitteln: 1. damit er sich nicht überhebt (überheblich wird), ist ihm ein Stachel ins Fleisch gegeben - bildlich gesprochen: die Flügel gestutzt - und 2. seine Stärke ist darin begründet, dass er schwach ist. Damit geht einher, dass die auch in Korinth gepflegten Vorstellungen von Stärke die Prüfung nicht bestehen.
Schon in 1 Kor 1 - 3 hatte Paulus das Wort vom Kreuz so entfaltet, dass jeder Ruhm, den ein Mensch für sich verbuchen möchte, ausgeschlossen ist. Paulus wehrt sich auch nicht einfach mit rhetorischen Mitteln, sondern mit einer christologischen Argumentation: Er verweist auf ein Wort des Kyrios: Meine Gnade genügt dir, denn sie erweist ihre Kraft in der Schwachheit.
Den Anspruch, "seine" Wahrheit überzeugend darzustellen, legt Paulus somit in die Hände des Kyrios, gibt dafür in Korinth aber eine offen ausgesprochene Rechenschaft.
In seinem "Willen zur Macht" hat F. Nietzsche Widerworte gegen den "Gekreuzigten" formuliert und auf die menschliche Selbstbehauptung gesetzt:
"Dionysos gegen den 'Gekreuzigten': da habt ihr den Gegensatz. Es ist nicht eine Differenz hinsichtlich des Martyriums, - nur hat dasselbe einen anderen Sinn. Das Leben selbst, seine ewige Fruchtbarkeit und Wiederkehr bedingt die Qual, die Zerstörung, den Willen zur Vernichtung. Im anderen Falle gilt das Leiden, der "Gekreuzigte als der Unschuldige", als Einwand gegen dieses Leben, als Formel seiner Verurteilung. - Man errät: das Problem ist das vom Sinn des Leidens: ob ein christlicher Sinn, ob ein tragischer Sinn. Im ersten Falle soll es der Weg sein zu einem heiligen Sein; im letzteren Fall gilt das Sein als heilig genug, um ein Ungeheures von Leid noch zu rechtfertigen. Der tragische Mensch bejaht noch das herbste Leiden: er ist stark, voll, vergöttlichend genug dazu; der christliche verneint noch das glücklichste Los auf Erden: er ist schwach, arm, enterbt genug, um in jeder Form noch am Leben zu leiden. Der Gott am Kreuz ist ein Fluch auf das Leben, ein Fingerzeig, sich von ihm zu erlösen; - der in Stücke geschnittene Dionysos ist eine Verheißung des Lebens: es wird ewig wiedergeboren und aus der Zerstörung heimkommen."
Aus: Der Wille zur Macht. Versuch einer Umwertung aller Werte, Stuttgart 1964, S. 687f.
Die einzigartige Offenbarung, von der Paulus spricht, macht ihn eigentlich zu einem besonderen Menschen. Doch nun erlebt er sich selber schwach und ohnmächtig, vielleicht gar von einer Krankheit bedrängt. Paulus versucht dies mit der damaligen Vorstellung zu erklären, dass hinter all dem der Einfluss Satans stehen müsse, der ihn so vor Überheblichkeit bewahre. Das Böse als Werkzeug Gottes und Hilfe für Paulus.
Paulus erfährt keine Erhörung seiner Bitte um Befreiung von dieser Schwäche trotz dreimaligen Flehens, aber er bekommt als Antwort Gottes die Gnade als Kraft in der Schwachheit zugesagt. Daraus folgert er, dass seine Schwäche Sinn macht, weil dadurch die Kraft Christi in ihm den Menschen verdeutlicht werden wird.
Ruf vor dem Evangelium - Jes 61,1ab (Lk 4,18)
Halleluja. Halleluja. Der Geist des Herrn ruht auf mir. Der Herr hat mich gesandt, den Armen die frohe Botschaft zu bringen. Halleluja.
Vom Stutzen der Flügel oder wie man Leute festnagelt auf ihre Herkunft und warum dann Wunder nicht möglich sind.
Was damals in Nazareth geschehen ist – Jesus wurde als Zimmermannsohn abgelehnt – geschieht auch heute noch, weil wir auf Grund unserer Vorurteile einander nichts zutrauen. Das ist fatal für Menschen mit falscher Wohngegend, falschem Nachnamen, falscher Nationalität. Ein konkretes Beispiel zeigt, dass es auch anders geht, dass auch heute "Wunder" möglich sind.
Schuster bleib bei deinen Leisten...
Manche Dinge scheinen sich auch in 2000 Jahren nicht geändert zu haben. Da erlaubt sich doch damals ein Zimmermann, passender wäre als Berufsbezeichnung wohl Bauarbeiter, auf gut österreichisch ein „Hackler“, die Schriftrollen in seinem Heimatdorf so auszulegen, dass alle staunen. Einer von uns, ein ganz Normaler, einer der nicht studiert hat ... Woher hat er diese Weisheit? So ganz ohne Titel und entsprechender Bildungslaufbahn? Und Wunder geschehen durch ihn und rund um ihn? Aber wir kennen doch seine Sippe, seine Eltern, Schwestern und Brüder? Soll das mit Gott zu tun haben? Soll das wirklich in unserem Kaff Nazareth möglich sein? Oder wollen wir das nicht lieber glamouröser, wunderbarer haben? Sollte das nicht was Außergewöhnliches sein, was anderes, Fremdes, Überwältigendes?
Reichen uns wirklich die Erfahrungen mit diesem so normalen einfachen Mann? Und wenn uns das reichen würde, ja hieße das vielleicht auch, es wäre uns auch möglich, die eingetretenen Pfade zu verlassen? Das hieße ja sogar, dass auch uns neue Wege offen stünden, dass wir uns nicht festnageln lassen müssten auf das alltägliche Bekannte. Wir könnten die Spuren der Altvordern mal verlassen wenn wir den Eindruck haben, dass auch anderswo was Heilsames, Besseres möglich wäre? Ja, wenn .
Aber wie auch Jesus resignierend feststellt: der Prophet zuhause, der gilt nichts! Die altbekannte Stimme mit neuem Inhalt, die muss zum Schweigen gebracht werden. Es bleibt die alte Ordnung bestehen: Schuster, bleib bei deinen Leisten! Finde dich ab mit deiner kleinen Welt, grase nicht raus, begnüge dich mit dem Alltäglichen, und sei es auch noch so mickrig.
Kindern das Träumen austreiben
Der ungarische Schriftsteller Szilard Borbely beschreibt in seinem verstörenden Roman „Die Mittellosen. Ist der Messias schon weg?“ die selbst erlebte Enge eines solchen Dorfes im Ungarn der 50er und 60er Jahre. Keiner darf ausbrechen und Träume entwickeln. Fast noch schlimmer aber ist, wie die Bauern den Kindern das Träumen austreiben. Ist das betreffende Kind eingeschlafen, schaffen die Bauern ein schwarzes Kätzchen herbei, nähen es in einen Sack und schlagen es neben dem Kind mit Kirschholzstöcken tot. Ganz leise, damit das Kind nicht aufwacht, die Qualen des Tieres aber im Schlaf hört. Die Todesangst der Katze soll so in das Kind übergehen und den Traum verjagen.
Und nun wörtlich: „Wenn die Katze ausgelitten hat, glätten sich die Gesichtszüge des Schlafenden. Na, jetzt kommt der Traum aus ihm heraus, flüstern sie einander zu. Gott sei Dank. Die Mütter beruhigen sich. Nun wird das Kind endlich keine Probleme mehr machen. Von nun an müssen sie sich im Dorf nicht mehr seinetwegen schämen (...)“ Nun funktioniert das Kind, erfüllt die Rolle, die ihm Familie, Sippe und dörfliche Gemeinschaft vorgeben, es spricht nicht mehr von seinen Träumen und es träumt auch nicht mehr.
Es scheint, als wäre unter uns Menschen immer etwas Missgünstiges, Hemmendes, wenn mal wer abzuheben droht, wenn wer einen anderen Weg einschlägt. Das Wunderbare hätten wir schon gerne, aber wenn das bei uns, unter uns beginnt, aufblüht? Tausend Argumente dagegen: die Heimat, die Verwandtschaft, die Familie - den, die kennen wir doch! Da kann ja nichts draus werden! Keine Träume!
Und deshalb akzeptieren viele stillschweigend das alltägliche Elend und resignieren: da kann man halt nichts machen! Und deshalb haben z. B. heute in unserer Gesellschaft Leute mit anderer Hautfarbe, anderem Nachnamen oder vornehm gesagt: mit Migrationshintergrund eher wenig Chancen abzuheben. Und deshalb bleiben viele Jugendliche sitzen, und geben sich im Vorhinein auf. Und werden dann auch oft noch darin bestätigt von ihrer Umwelt. Akzeptiere das kleinere Unglück, lass das Fliegen und Träumen, finde dich drein in die Rolle ...
Falsche Wohngegend, falscher Nachname, falsche Nationalität - so ist das eben in unseren Breiten. Und unsere inneren Filme werden schon abgespult, wenn einer Kevin oder eine Fatima heißt und sie auch ein gutes Leben haben wollen ... was meinen wir nicht alles zu wissen, bevor wir noch ein Wort gesprochen haben mit dieser oder jenem ... Dagegen ist wohl niemand von uns gefeit. Wir haben unser Urteil schon gefällt, wenn wir den Hintergrund betrachten, und wer davor steht, das nehmen wir kaum noch wahr.
Evangelium aber hieße: lass den Hintergrund mal weg, lass dich ein auf den Menschen vor dir, akzeptiere, dass du zuerst einmal gar nichts weißt über diesen Menschen und traue ihm alles Gute zu! Vertraue ihm, und wenn du das ausstrahlst, dann wird dein Gegenüber vielleicht sogar Wunder vollbringen. Anders geht es nicht! Bedauernd werden dann die Köpfe geschüttelt, wenn die Jugendlichen es wieder nicht packen, keine Stelle bekommen, aus allen Bezügen rausfallen, und einen Abbruch nach dem anderen hinlegen. Oft aber erfahren die kritisch beäugten Problemjugendlichen (in Österreich sind schätzungsweise 75.000 Jugendliche und junge Erwachsene weder in Ausbildung, noch in der Schule oder im Beruf) kein Vertrauen, kein Zutrauen in ihrem Umfeld und auch nicht in der Gesellschaft. Und sie verhalten sich dann auch dementsprechend, und bestätigen die Vorurteile.
Das aber geschieht nicht von selber oder weil die eben so sind, wie sie sind. Nein, Nazareth und sein Beharren auf das scheinbar Unvermeidliche ist ein Dauerbrenner, das Dorf, das Leute am Abheben verhindert, das existiert auch heute noch. Heute nennen wir es vielleicht Problemviertel oder sozialer Brennpunkt oder Prekariat. Aber eigentlich hat sich da nicht viel geändert.
Wie wird Unmögliches möglich?
Aber in Jesus haben wir einen, der das widerlegt hat. Zur Ermutigung für uns alle, uns nicht flügellahm machen zu lassen. Glauben wir daran, dass Gott auch auf krummen Zeilen gerade schreiben kann? Lassen wir das zu? Das fällt uns nicht leicht, weil wir ja auch gerne das ganz andere Wunder hätten, den Star von außen, das Abgehobene. Aber nein, in unserer Mitte wird die Geschichte anders geschrieben oder ansonsten gar nicht.
Dazu noch eine ermutigende Gegen-Geschichte zum vorher zitierten Beispiel aus dem Jahr 2015: stellen Sie sich vor, Sie leben in einem Großstadtviertel. 25.000 Einwohner, ein Viertel davon arbeitslos, fast die Hälfte der Erwachsenen beziehen Mindestsicherung, viele Menschen mit Migrationshintergrund. Soweit, so entmutigend. Aber stellen Sie sich auch vor, dort gibt es wache Frauen und Männer, die es unter der Ägide ihres Pfarrers geschafft haben, vor Ort für Wunder zu sorgen. Zum Beispiel dieses: in der Hauptschule vor Ort werden Jahr für Jahr für die Schüler der Abschlussklasse Bewerber-Bücher erstellt, schön gestaltete Bücher, in denen sich die Schüler mit ihren Stärken, Wünschen und Porträtfotos präsentieren können. Sie erstellen dazu ein Profil, das eben nicht für Facebook gilt, sondern eines mit den Begabungen, die sie selber sehen bzw. zu deren Wahrnehmung sie ermutigt worden sind. Und diese Bücher werden hundertfach an die Firmen vor Ort verteilt als Zeichen: wir sind da, wir können was, aus uns kann was werden, wenn ihr uns eine Chance gebt! Einmal wurden sogar im ganzen Viertel Plakate mit den Fotos und Beschreibungen der Schüler an die Wände geklebt - Motto: seht her, da sind wir, das wollen wir für unser Leben .
Und seitdem das so gemacht wird, haben sich die Ausbildungsplätze für die Schulabgänger verdreifacht. Ja, das ist kein Märchen, sondern ein Beispiel, wie die Idee von Pfarrer Franz Meurer in der Pfarre Köln Höhenberg Vingst das Evangelium von heute umsetzt: ja, aus Nazareth, aus unserem Viertel, aus unserm Kaff, da kann was Gutes kommen! Da sind Wunder möglich! Und wenn einem, einer etwas zugetraut wird, dann können andere Geschichten geschrieben werden, ja sogar Wunder-Geschichten.
Hinter der Redeweise "den kennen wir doch!" können unterschiedliche Bedeutungsnuancen stecken, negative und positive. Oft enthält sie einen Vorwand, sich mit einer Person nicht weiter auseinandersetzten zu müssen. Der Evangelist will den Leser/Hörer einerseits dazu führen, Jesus wirklich kennenzulernen, andererseits ihn dafür öffnen, dass ein Mensch sich in positiver Weise verändern und weiterwachsen kann.
"Den kennen wir doch!"
Den kennen wir doch! – so ließe sich einer der Hauptgedanken des heutigen Evangelium wiedergeben. „Na klar“, sagen die Leute in Nazaret, „er ist der Zimmermannssohn des Josef und der Maria. Zu seinen Versandten zählt die Familie mit den vier Söhnen: Jakobus, Joses, Judas und Simon.“
„Ich kenne dich!“, eine Redewendung, die Verschiedenes bedeuten kann: - Ich kenne dich! Wir sind uns vor Jahren begegnet. Freude über ein Wiedersehen nach so langer Zeit schwingt im Unterton mit. - Ja, ja, ich kenne dich: Deine Vorlieben und Eigenheiten. Und ich habe erlebt, wie viel guten Willen und Eifer du oft mitbringst und investierst. Wohlwollen und Anerkennung klingen in diesen Worten an. - Es kann aber auch das Gegenteil zum Ausdruck kommen: Red' nicht, ich kenne dich – und in Gedanken fügen wir hinzu: mit deiner Hinterhältigkeit, deiner Arroganz, deiner Feigheit, deinem Schöntun. Mir machst du nichts mehr vor. Ich habe dich durchschaut. Mit dir muss ich mich nicht mehr weiter befassen und auseinandersetzen. Über dich habe ich mir mein Urteil längst gebildet. Gelegentlich Auffallendes oder Spektakuläres von deiner Seite bringen mich von meiner Meinung nicht ab.
Bleibt mit dem Staunen und Gerede auf dem Teppich! Hebt ihn nicht in den Himmel; er ist der Zimmermannssohn. Diese innere Einstellung und Haltung Jesus gegenüber hatten offensichtlich viele Leute aus Nazaret, der Heimatstadt Jesu. Die Weisheit, mit der Jesus im Tempel auftritt, ist zwar neu und versetzt sie zunächst in ein gewisses Staunen. Außerdem soll er Wunder gewirkt haben, ist ihnen zu Ohren gekommen. Aber das Staunen ist mehr ein oberflächliches Augenblicks-Staunen, das so schnell verfliegt, wie es gekommen ist. In ihr Herz dringt es nicht vor. Sie bleiben bei ihrer alten Einstufung: Er ist der Zimmermannssohn, nicht Besonderes. Obendrein fühlen sie sich in ihrer mehr abwertenden Haltung auch noch dadurch bestärkt, dass selbst die Verwandten Jesu seit seinem öffentlichen Auftreten ihre Schwierigkeiten mit ihm haben und sich zum Teil von ihm distanzieren. So kommt bei den Bewohnern Nazarets die Frage nicht auf, ob mit Jesus seit seinem Besuch am Jordan bei Johannes dem Täufer etwas Besonderes mit ihm vorgegangen oder geschehen sei. Über diese Möglichkeit wird von ihnen nicht nachgedacht. Sie sind überzeugt und sich sicher: Sie kennen ihn.
Über das eigene Image hinausgewachsen
Markus hat mit seinem Bericht vom öffentlichen Auftreten Jesu in Nazaret ganz sicher die Absicht, uns mitzuteilen, warum es Jesus schwer hatte, in seiner Vaterstadt Fuß zu fassen und Anerkennung zu finden. Zu Jesus und seinem Wesen findet man aber nur, so will Markus zeigen, wenn man sich offen und aufmerksam auf ihn einlässt. Das ist das eine Anliegen des Markus.
Ein zweites und ebenbürtiges Anliegen des Evangelisten ist die Herausforderung an uns, grundsätzlich unsere innere Haltung unter die Lupe zu nehmen. Mit Jesus werden wir nicht die Schwierigkeiten haben, die die Bewohner Nazarets am Anfang seines Auftretens mit ihm hatten. Wir wissen um den gesamten Verlauf des Lebens Jesu, besonders um seine Auferstehung. So werden wir schneller ein Ja zu seinem Wesen sagen können als die Leute von Nazaret. Aber wie sieht es mit unserem Verhalten unseren Mitmenschen gegenüber aus? Wie beurteilen wir sie; wie stehen wir ihnen gegenüber?
Das von Wohlwollen getragene „Ich kenne dich mit deinen schönen und schwachen Seiten, mit deinen Anläufen und deiner Mühe, mit deinen Wünschen und erlittenen Enttäuschungen“, diese liebevolle Zuwendung, kommt dem Verhalten und Handeln Jesu sehr nahe. Damit uns diese Herzlichkeit und liebevolle Haltung durchgängig gelingt, will uns der Evangelist auf eine Falle aufmerksam machen, in die viele Bewohner von Nazaret tappten. Markus will uns wachrütteln, damit wir ihren Fehler nicht auch begehen. Die Bewohner von Nazaret unterließen die Frage: Was ist mit diesem Zimmermannssohn geschehen, dass wir ihn jetzt so anders erleben? Diese Frage gilt es, uns zu stellen, wenn wir bei Menschen Veränderungen im Denken, Handeln oder Verhalten feststellen. Nur dann können wir ihnen gerecht werden. Denn wenn ein Mensch sich grundlegend und sichtbar ändert, ist in seinem Herzen etwas Wichtiges geschehen. Ihn von vornherein als Spinner abzutun, nur weil er mit unseren bisherigen Vorstellungen nicht mehr völlig auf unserer Linie liegt, ist zu einfach.
Positive Veränderungen wahrnehmen
Wie viel Gutes, Wertvolles, Neues würde in Gang kommen und zum Segen werden, wenn wir Veränderungen bei Menschen in unserer Umgebung bewusst wahrnähmen und das Positive anerkennten, unterstützten und mittrügen. Erspüren wir, dass uns Markus hierzu einladen und herausfordern möchte. Den anderen nach einem Erstaunen über ihn nicht gedankenlos wieder in die alte Schublade stecken, sondern die positive Veränderung an ihm wahrnehmen und mittragen, das sollen wir anstreben.
Im Blick auf das heutige Evangelium können wir uns außerdem noch zu einer weiteren Frage bewegen lassen. Wahrscheinlich sagen wir uns in so mancher Situation: Ich kennen mich. Und wir meinen damit: Ich weiß wo meine Stärken und meine Schwächen liegen. Im Großen und Ganzen wird unsere Selbsteinschätzung stimmen. Aber auch hier könnten wir in eine Art Falle tappen. Mit diesem Satz „Ich kenne mich“ laufen wir schnell Gefahr, alles in den bisherigen Bahnen zu belassen. Wir trösten oder beruhigen uns damit „Das ist eben meine Schwäche“ und unterlassen damit neues, leidenschaftliches sich Aufbäumen gegen vorhandene Schwächen, die wir mit entsprechender Energie auch immer wieder einmal überwinden könnten.
Selbst das Gute und Positive an uns, das uns ehrt, dürfen und sollten wir hinterfragen: Habe ich das mir Mögliche schon ausgeschöpft oder wäre mir ein noch Mehr möglich? Markus möchte uns gern sagen: Mach dir Beine! Schau in dich hinein und erkenne, was neben dem Bisherigen sonst noch veränderbar ist und verstärkt werden kann, wenn du Hand anlegst. Wie Jesus am Jordan haben auch wir den Heiligen Geist empfangen. Dieser will nicht über uns schweben, sondern in uns wirken. Und er wird es tun, sobald wir uns befragen: Was ist alles in mir? Was könnte ich entflammen, welche kleinen Wunder könnte ich heute und morgen wirken?
Nehmen wir den Bericht des heutigen Evangeliums vom Verhalten der Bewohner in Nazaret mit in unseren Alltag. Markus will uns einerseits warnen, noch mehr aber ermutigen, nicht unbeweglich, stur oder behäbig in unserem bisher gewohnten Denken zu verbleiben. Dies gilt im Blick auf uns selbst und die Menschen um uns. In jedem Herzen ist Aufbruch und weitere Veränderung möglich. Und das gelingt, wo wir es erstreben oft so großartig und wunderbar, dass wir nur regelrecht staunen können über uns selbst und so manchen unserer Mitmenschen.
Wenn Propheten den Mund aufmachen
Gastautor*in (2015)
Die Botschaft Jesu wird auch heute noch so verkannt wie damals in Nazareth. Er erleidet auch heute ein Prophetenschicksal.
Jesus in unserer Stadt, in unserem Dorf
Nazareth ist hier in xy. Jesus kommt hierher in unseren Ort – und kann nur wenige Wunder tun. Warum? Da ist einer, der sagt: „Ach, den kennen wir schon, ist was für Kinder.“ „Ja“, pflichtet eine zweite bei, „den kennen wir. Im Religionsunterricht hab ich die ganzen Geschichten von ihm gehört. Aber was hat das bitte mit mir zu tun?“ Ein dritter mischt sich ein und sagt: „Ich tät schon an ihn glauben, aber so, wie ich ihn kennengelernt habe in der Kirche, ist er mir unsympathisch.“ Immer weiter geht die Diskussion. Ein Enttäuschter spricht davon, dass er so viel gebetet habe und trotzdem habe ihn Jesus mit einer schweren Krankheit gestraft. Ein Kind erzählt, dass seine Eltern ihm verboten haben, Jesus kennen zu lernen, ein Arbeiter meint, das mit Jesus sei ja schön und gut, er habe aber keine Zeit für ihn, und außerdem sei Christentum etwas aus der Mode. Er habe lieber eine Buddha-Statue bei sich daheim als ein Kreuz an der Wand. Abschließend meint die Frau vom Anfang: „Diesen Jesus kennen wir, von dem haben wir nichts zu erwarten.“
„Und Jesus konnte dort keine Wunder tun. Nur einigen Kranken legte er die Hände auf und heilte sie.“ – Die gab es nämlich auch, die voller Sehnsucht auf ihn warteten und sich von ihm beschenken ließen. Es waren solche wie Paulus aus der Lesung aus dem zweiten Korintherbrief, die nicht auf ihre Kräfte, nicht auf ihre Genialität, nicht auf ihre Unverwundbarkeit bauten sondern die wie Paulus bekannten: „Wenn ich schwach bin, dann bin stark.“ Weil dann Gottes Kraft in mir wirken kann, weil dann alles in Gottes Händen liegt, weil dann alles auf ihn ankommt.
Prophetenschicksale
Der heutige Sonntag lädt uns dazu ein, das Evangelium neu zu hören. Es ist eben nichts Altbackenes, es ist neu und hat unserer Welt so viel zu geben. Seit Jesus kann jeder Mensch wissen: "Du bist unendlich geliebt." Seit Jesus hat jeder Mensch eine königliche Würde, die ihm auch in schwerer Krankheit oder Armut nicht genommen wird. Seit Jesus kommt uns der Himmel nahe in den Zeichen von Brot und Wein.
Im Evangelium erlitt Jesus ein übliches Prophetenschicksal, nämlich Ablehnung, so wie auch Ezechiel in der ersten Lesung von Gott zu ihm feindlich gesonnen Menschen geschickt wird. Propheten sind unbequeme Menschen, weil sie wunde Punkte berühren und deshalb reflexhaft Widerstand hervorrufen.
Ein Beispiel ist für mich der für den 19. September von verschiedenen christlichen Gruppen geplante Marsch für das Leben in Berlin. In einer Pressemitteilung bezeichnet die Linke alle, die sich für den Schutz des menschlichen Lebens einsetzen, als religiöse Fundamentalisten mit mittelalterlichen Parolen. (Katja Kipping am 29.6.15). Da sind wir als katholische Kirche in Deutschland angelangt, dass man uns für unsere Haltung als mittelalterliche Fundamentalisten diffamieren kann. „Und Jesus konnte dort keine Wunder tun.“
Traurig gestimmt hat mich eine Aussage von Anton Hofreiter von den Grünen. In der Diskussion um das Thema Sterbehilfe gab er im letzten SPIEGEL zu Protokoll: „Ich glaube nicht an einen Himmel. Der Sinn des Lebens ist das Leben selbst. Warum darf man dann nicht bestimmen, wann es vorbei sein soll?“ (Der Spiegel 27/2015 auf Seite 55)
Und auch die Rezeption der Umweltenzyklika von Papst Franziskus irritiert mich: Jeder und jede kann herauspicken, was gefällt. – So wird die prophetische Schrift des Papstes um ihre Kraft gebracht. So ist das mit Propheten: Sie stören, damals und heute. Der heutige Sonntag lädt daher auch dazu ein, den Propheten unserer Tage aufmerksam zuzuhören, sonst kann es auch von uns heißen: „Er konnte dort keine Wunder tun.“
Vor gut 400 Jahren hatte eine Frau, Mary Ward ihr Name, eine Vision. Sie hatte die Vision, dass Mann und Frau gleichwürdige und damit gleichwertige Geschöpfe sind. Weil sie von ihrer Vision überzeugt war, darum förderte sie junge Frauen, ihre Talente und Fähigkeiten. Viele Schulen in der ganzen Welt haben in dieser Vision der Mary Ward, ihren Ursprung. Wenn heute, zumindest vom Kopf her, vielen Menschen bewusst ist, dass Frauen für Tätigkeiten ebenso geeignet sind, wenn sie gleichberechtigt sind, dann war Mary Ward sicher ein sehr wichtiger Schritt von vielen Schritten. Mary Ward handelte und dachte ganz anders als viele Menschen ihrer Zeit.
Menschen werden oft festgelegt auf die Erwartungen ihrer Umwelt aufgrund ihrer Herkunft. So war es über Jahrhunderte Frauen ergangen. Jesus - das hören wir heute im Evangelium - ist das nicht anders ergangen. Er ist in Nazareth aufgewachsen. Mit vielen jungen Männern ist er zur Schule gegangen. Er hatte wie die meisten jungen Männer ein Handwerk gelernt. Wie bei allen anderen Menschen hatten die Menschen seiner Umgebung auch an Jesus Erwartungen. Doch Jesus entwickelt sich ganz anders. Er hatte seine Berufung. Jesus aber muss feststellen: sehr leicht legen wir einander fest auf Erfahrungen, auf das, was man von einem anderen zu wissen glaubt. "Ist das nicht der Sohn des Zimmermanns, wohnen nicht seine Verwandten unter uns? Und sie lehnten ihn ab!" Jesus kann keine Wunder tun. Er ist blockiert, gehemmt in seinem Verhalten. Als Konsequenz muss er seinen Heimatort verlassen. Dass Gott in diesem gewöhnlichen Menschen spricht, das ist einfach unvorstellbar.
Alles soll weitergehen wie bisher
Ich sehe eine ganz wichtige Ursache in dem Verhalten der Menschen. Sie haben sich ihr Leben eingerichtet. Alles läuft mehr oder weniger gut. Sie haben sich aber so gut eingerichtet, dass sie vom Leben eben nichts mehr erwarten. Es kann ruhig so weitergehen wie bisher. Auch im religiösen Leben kann es so weitergehen. Wir gehen ja regelmäßig in die Synagoge, heute gehen wir ja in die Kirche. Da hören wir das Wort Gottes. Anschließend gehen wir zu unseren Alltagsgeschäften zurück. Ganz ehrlich - erwarten wir noch etwas von Gott. Erwarten wir von Gott, dass er zu uns spricht, dass Gott uns noch begegnet?
Wir sind eben in dieser Gefahr, dass wir nicht nur unsere Mitmenschen auf unser Urteil, auf das Bild, das wir uns einmal von ihnen gemacht haben, festlegen, sondern eben auch Gott. Gott ist der ganz andere. Wir in Europa kennen Jesus, wir kennen die Bibel, wir haben unzählige Religionsstunden absolviert, viele Predigten gehört. Wir können damit leben, dass wir in der Bibel Forderungen lesen, wie Feindesliebe. Ich selbst aber bin ganz ehrlich: bei nicht wenigen Stellen in der Bibel schalte ich entweder ab oder höre ich nur noch halbherzig hin. Denn so manche Stelle ist zu bekannt, als dass sie noch spannend ist. Da greife ich noch einmal den Gedanken heraus, dass mir einige Stellen der Bibel so bekannt sind, dass ich schon gar nicht mehr richtig hinhöre. Wie oft machen Menschen aber auch diese Erfahrung: man hört jahrelang eine Bibelstelle, ein Wort, einen Spruch und plötzlich geht einem auf, was das Wort bedeuten kann.
Veränderung?
Nein - ich bin nicht besser als die Menschen in der Heimatstadt Jesu. Ich staune über die Worte, finde vieles auch gut, aber Hand aufs Herz: glaube ich selbst noch, dass mich ein Wort Jesu verändern kann, wo es für mein Leben notwendig wäre. Doch genau das hat Jesus mit seinen Worten immer gewollt. Er wollte die Menschen froher machen. Richtet euch euer Leben ein, aber vergesst Gott nicht. Mein Leben muss dabei nicht immer spektakulär sich verändern. Es müssen auch nicht immer bekannte und prominente Menschen sein. Es braucht auch nicht immer eine sehr gute Predigt zu sein, die ich höre. Es gibt viele Wege, auf die Gott zu mir sprechen kann. Ich muss nur bereit sein, zu hören.
Hinderliche Selbstbilder
Nun habe ich die ganze Zeit darüber gesprochen, dass wir Gott und die Mitmenschen auf unser Bild festlegen können. Wir können zeit unseres Lebens Gott niemals ganz erfassen. Wir werden einen Mitmenschen auch nie ganz kennen lernen. Sicher ist es manchmal auch bitter, wenn die Mitmenschen mich selbst auf ihr Bild festlegen. Wen wir uns aber selbst festlegen können auf unser Bild, sei es im Guten, sei es im Schlechten, das sind wir selbst. Auch von uns selbst haben wir ein Bild. Damit aber verpassen wir Lebenschancen. Gott hat in uns vieles gelegt. Wir haben in uns viele Talente, viele Begabungen.
Mir hat einmal ein Spruch sehr viel Mut gemacht: "Du hast mehr Möglichkeiten als du denkst, ganz zu schweigen von den unendlichen Möglichkeiten Gottes mit dir!" Wir kennen uns selbst nur zum Teil. Gott kennt uns bis auf den Grund. Je mehr ich über Gott erfahre, um so mehr erfahre ich auch über mich selber. Ich brauche mich nicht für alles und jedes zu interessieren. Doch ich kann immer offen sein, dass Neues in mein Leben eintritt, neue Begegnungen mit Menschen. Ich kann nicht meine Lebenseinstellung stets ändern, aber ich kann die Lebenseinstellungen anderer kennen und schätzen lernen, ich kann mich von ihnen bereichern lassen. In der Begegnung mit anderen kann ich erfahren, wer ich selber bin.
Gottes spannender Weg mit uns
Es kann nicht jeder bekannt werden im Leben. Vielleicht aber spüre ich, welche Vision Gott in mich selbst gelegt hat, wenn ich offen für mich selber bin, wenn ich mich selbst nicht festlege. Das heraus zu finden, war auch das Ziel von Mary Ward: welche Vision hat Gott in den Frauen gelegt. Ja, was bewegt mein Verhalten? Das Evangelium zeigt uns: wenn wir entdecken, was für Visionen Gott in uns gelegt hat, dann muss das nicht immer den Erwartungen der Menschen entsprechen. Es kann auch sein, dass wir, um Visionen leben zu können, uns von Gewohnheiten lösen müssen, dass wir nicht verstanden, ja abgelehnt werden von Mitmenschen, dass wir uns im Laufe des Lebens von Mitmenschen trennen müssen, wie es bei Jesus der Fall war. Es ist aber nicht notwendig immer der Fall. Der Weg, den Gott mit uns geht, ist immer spannend.
Das war auch beim Apostel Paulus der Fall. Als Jesus in sein Leben eingegriffen hat, hatte er die Vision, den Heiden die Frohe Botschaft zu bringen. Was er erfahren musste und durfte: Dass Gott gerade in der Schwachheit der Menschen wirken kann, dass es eben nicht immer darauf ankommt, stark zu sein, dass wir uns vor Gott nicht wegen unserer Leistung rühmen können. Ich glaube, für viele Menschen, die Gott im Laufe ihres Lebens entdecken, ist das eine wunderbare Entdeckung: ein Gott, der die Menschen mit ihren Schwächen annimmt.
Ich wünsche uns allen, dass wir nicht zu den Menschen gehören mit trotzigem Gesicht und dem harten Herzen. Sind wir nicht widerspenstig. Gott wirkt mitten unter uns. Erwarten wir für unser Leben immer wieder Neues zu erwarten, von Gott, von Mitmenschen und vor allem: von uns selbst.
Der Botschaft des Evangeliums trauen
Dr. Max Angermann (2012)
"Die Botschaft hört' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube!"
"Die Botschaft hört' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube" und weiter: "Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind." Diese Zitate aus Goethes "Faust I" passen auf die alttestamentliche Lesung aus dem Buch Ezechiel und zum Evangelium, eher eine traurige Feststellung zu einer froh machenden Botschaft. Diese Texte laden ein, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob Jesu Botschaft das Evangelium glaub-würdig ist. Ist es überhaupt wert, sich damit auseinanderzusetzen? Jede Generation beschäftigt sich damit und sucht nach Antworten.
Der Prophet Ezechiel
Der Prophet Ezechiel (=Gott möge kräftigen) um 600 v. Chr. nach der Eroberung Jerusalems deportiert, in Gefangenschaft, lebt so wie seine Mitbewohner als verheirateter Mann und Priester mit seinen visionären Kräften. Er soll, wie die erste Lesung schildert, Bote und Sprecher Gottes werden. Seine Umgebung kann ihn wegen seines manchmal eigenartigen Verhaltens nicht gut einordnen, ja er erlebte Zeiten, wo er weder sprechen, noch sich bewegen konnte. Botschaften, die er von sich gab, auch seine Visionen, sind schwer zu entschlüsseln.
"Die Botschaft hört' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube", so denken wahrscheinlich auch seine Mitbürger. Trotzdem war Ezechiel ein gebildeter Mann aus priesterlichem Geschlecht, auch Kristallisationspunkt für viele seiner Mitbewohner. Seine Verkündigung schwebt trotz aller Verständigungsschwierigkeiten nicht im luftleeren Raum. Sie deutet geschichtliche Ereignisse im Licht der göttlichen Offenbarung. Er schließt sehr genau von den Ursachen auf die Folgen der Geschehnisse.
Die Berufung wirft Ezechiel um, Jahwe stellt ihn auf die Beine, ähnlich bei Paulus, er stürzt. Vor Gott stehend, als Vertrauter übernimmt Ezechiel seine Aufgabe, das Heil zu verkünden. Aber da gibt es schon die Vorwarnung, dass dieses Volk widerspenstig ist, nicht hören will. Ezechiel wird der Rücken gestärkt. "Du aber, Menschensohn, fürchte dich nicht vor ihnen, hab keine Angst vorihren Worten."(Ez 2,6). Auch Paulus bekommt Hilfe für seine Verkündigung, wenn es in der zweiten Lesung heißt: "Meine Gnadegenügt dir"(2 Kor 12,9). Es zeigen sich deutlich die Grenzen der Verkündigungsbotschaft. Nicht die Zahl derer, die die Botschaft annehmen, ist ausschlaggebend, sondern vielmehr, dass diese Botschaft überhaupt verkündet wird. Denn jeder entscheidet für sich, ob er das Wort des Propheten annimmt oder nicht. Wir hören weiters: Der Geist kam in ihn. (Ez 2,2). Das ist die göttliche Sendung und einzige Rechtfertigung für sein Auftreten. Ezechiel als künftiger "Wächter Israels" wird die gleiche Sendung zuteil wie Propheten vor ihm und auch wie Jesus.
Jesus in seiner Heimatstadt
Das zeigt die Perikope aus dem Markus- Evangelium: zunächst durchwandert Jesus die Städte und Dörfer Galiläas und seine Worte fanden Gehör, seine Wunder faszinierten. In Nazareth, seiner Heimat, ist das ganz anders. Die Jünger werden Zeugen seiner Verkündigung in der Synagoge und lernen auf bittere Weise die Grenzerfahrung bei der Glaubensweitergabe kennen. Die Bewohner meinen, Jesus gut zu kennen. Sie sind "Besserwisser". Jesus ist hier kein "unbeschriebenes Blatt". Was bildet er sich ein? Jesus liefert sich diesen Leuten mit Fleisch und Blut aus. Wer sich für den Vater einsetzt, setzt sich aus. Ja, dieser Einsatz bewirkt viele Ärgernisse, die am Kreuz enden. Der Mangel an Glauben und Vertrauen bewirkt keine Wunder. Sie sollen ja die Wende zum Guten herbeiführen. Das ist aber nur möglich, wenn Vertrauen da ist.
Wie heute die Botschaft mitteilen?
Was sagen uns diese Texte gegenwärtig? Ist Jesu Botschaft heute aufrüttelnd, vertrauenserweckend, heilend? Unser derzeitiges Kirchenszenario ist eher düster. Jeder einzelne Christ wird sich wohl bemühen, die Frohe Botschaft lebendig zu halten. Die Kirche selber hat als Institution sehr viel an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Das Wertemonopol hat sie längst verloren. Jesus scheiterte an den Formalismen und der Gesetzesmaschinerie seiner Zeit. Er wollte von den Pharisäern, von den Schriftgelehrten, dass sie die toten Gesetzesbuchstaben mit Leben, mit Vertrauen erfüllen. Dazu gehören auch Barmherzigkeit und Liebe. Gesetze sind für den Menschen da und nicht umgekehrt. Leben wir heute in der Kirche nicht in einer ähnlichen Situation? "Die Botschaft hört' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube!" Christliche Botschaft mit erhobenem Zeigefinger verkündet, verkommt zum Moralismus, verbreitet Angst, statt Hoffnung und Lebensfreude, vor allem dann, wenn noch Drohpotential nachgeschoben wird.
Gott hat sich im Judentum "geoutet", sich mitgeteilt und wurde von den Verantwortungsträgern der damaligen Zeit nicht verstanden. Ist es nicht heute genauso? In einer Konfliktgesellschaft heute geht es um Versöhnung, um Sinnsuche nach dem neuen Menschen im Geiste Jesu. Gott "outet" sich auch heute in den vielen positiven Erlebnissen unseres lauten Alltags, die nicht oder kaum in die Medien gelangen.
Versuchen wir wie Ezechiel die Stimme Gottes wahrzunehmen und wie Jesus nicht beleidigt oder verbittert wegzugehen, wenn die Botschaft nicht ankommt. - Die Botschaft hör' ich wohl, und ich will auch versuchen, daran zu glauben, weil der Geist Gottes in Jesus, aber auch in jedem von uns wohnt, der ein bereites Herz hat.
Mission heute
Mag. theol. Pater Hans Hütter (2009)
Licht und Schatten
Einer meiner Mitbrüder ist begeisterter Fußballfan. Wenn seine Mannschaft gewinnt, triumphiert er: "Wir haben gewonnen!" Wenn sie verlieren, heißt es kleinlaut: "Diese T. haben schon wieder nichts gerissen." Wenn ein Winzer mit Stolz einen gelungenen Wein kredenzt, betont er: "Eigene Ernte!", wenn der Jahrgang nicht ganz den Erwartungen entspricht, lautet der Kommentar: "Wie ihn der Herrgott hat wachsen lassen." Wenn wir auf einen Herzeige-Österreicher stolz sind, lässt sich die Stimmung mit dem Satz zusammenfassen: "Wir sind Mozart" (Papst waren wir meines Wissens noch nicht). Wenn jedoch eine "Fall F. in der Stadt A." wegen seiner Grausamkeit die halbe Welt erschüttert, bieten wir auf allen Ebenen Politiker auf, die klarstellen, dass nicht alle Österreicher so sind. Wir bekommen Angst, dass etwas von diesem Schatten an uns hängen bleiben könnte.
Gerne schmücken wir uns mit fremden Federn, eignen wir uns Verdienste an, die wir nie erworben haben, oder sonnen wir uns im Glanz bewunderter Persönlichkeiten. Schneller noch distanzieren wir uns, wenn zu befürchten ist, dass wir durch eine Person oder durch ein Ereignis in schlechtem Licht dastehen könnten. So sind wir Menschen eben; nicht nur die Österreicher.
Denkschablonen
Jesus erging es in seiner Heimatstadt offenbar ähnlich. Der Ruf und das Ansehen, der ihm nach seinen Auftritten an anderen Orten vorauseilte, hielt dem Urteil derer, die ihn zu kennen meinten, nicht stand. Dies lag wohl auch daran, dass viele sich bewusst waren, wie leicht ein Kokettieren mit der öffentlichen Meinung kippen kann.
Und schließlich hatten die Bewohner von Nazareth einen Heimvorteil. Dieser funktioniert landauf, landab und zu allen Zeiten auf dieselbe Weise: Man kennt sich, oder meint sich zu kennen, man typisiert, stellt Verbindungen her zu anderen Ereignissen und zu Verhaltensweisen der Verwandten, der Freunde oder Landsleute. Beliebt ist dabei die Logik, die eine Sache auf den Punkt bringt, indem sie behauptet: Er/sie/es ist "nichts anderes als". Auf diese Weise sorgen wir dafür, dass niemandes Bäume in den Himmel wachsen. So sind wir Menschen eben.
Ein menschlicher Gott?
In Nazareth kommt jedoch noch eine theologische Dimension dazu: Durch ihr Pauschalurteil verkennen sie nicht nur die Fähigkeiten ihres Nachbarn und Mitbürgers, sie verbauen sich zugleich die Chance zu erkennen, dass hier Gott am Werk ist. Nach dem gleichen Muster fanden viele Propheten nicht Gehör bei den Menschen, zu denen sie von Gott gesandt wurden.
Dies berührt eine ganz grundsätzliche Frage: Wie wirkt Gott in dieser Welt? Viel lieber akzeptieren wir ein Wirken Gottes durch einen makellosen und unangreifbaren Superstar als durch einen Menschen wie dich und mich. Wir neigen dazu, von Menschen, die zweifellos Großes geleistet haben, alles Menschliche weg zu retuschieren. Wir stellen sie auf ein Podest oder gar auf einen Altar und lassen nicht zu, dass etwaige menschliche Schwächen benannt werden.
Auf der einen Seite wundern wir uns, was Fans mit ihren Idolen wie Michael Jackson oder Elvis Presley machen; wie sie die offenbar problematischen Seiten ihres Lebens völlig ausblenden. Auf der anderen Seite treiben wir die Verantwortlichen der Kirche zur Eile, wenn wir jemand zur Ehre der Altäre erheben möchten. Wir forcieren Legendenbildungen, die geschätzte Persönlichkeiten verklären und eventuelle menschliche Unzulänglichkeiten ausblenden.
Kann man einen Zigarrenraucher selig sprechen?
Als im Jahre 1982 der holländische Redemptorist Peter Donders seliggesprochen wurde, erzählte uns ein am Seligsprechungsprozess beteiligter Mitbruder, dass P. Donders Liebe zum Zigarrenrauchen beinahe ein Hindernis auf dem Weg der Kanonisation geworden wäre. In der Kommission fragte man sich: Kann man einen Zigarrenraucher selig sprechen? Schließlich nahm man diese Hürde, indem man erklärte, dass ein Leben bei den Aussätzigen in Surinam - das war das große Verdienst des Peter Donders - anders kaum erträglich war. Alle Gesunden, die mit den Aussätzigen zusammenkamen, hätten geraucht, um den Gestank auszuhalten...
Bei den Feierlichkeiten anlässlich des 200. Geburtstages des Peter Donders in seiner Heimatstadt Tilburg in der vergangenen Woche bekam ich eine andere Version zu hören: An dem Ort in Surinam, wo Peter Donders unter den Aussätzigen gelebt hat, zeige man einen Platz am Rande des Lagers, wohin sich der Seliggesprochene zurückgezogen habe, um ab und zu eine Zigarre zu genießen. Er habe nicht in der Gegenwart der Kranken geraucht wie alle anderen, die auf diese Weise das Problem des üblen Geruchs gelöst haben. Er wollte durch sein Rauchen nicht die Kranken herabwürdigen und sie nicht spüren lassen, dass es in ihrer Gegenwart nur schwer auszuhalten sei. . .
Wie immer die historische Wirklichkeit ausgesehen haben mag, es bleibt die Frage: Darf ein Seliger oder Heiliger rauchen? - Wir müssen die Frage wohl umdrehen: Halten wir es aus, dass eine so bewundernswerte Persönlichkeit wie Peter Donders Zigarren rauchte?
"In allem uns gleich außer der Sünde"
Von Jesus sagen wir: Er war in allem uns gleich außer der Sünde. Das Besondere an Jesus ist gerade, dass er voll und in jeder Hinsicht Mensch war, dass Gott durch einen ohnmächtigen und schwachen Menschen sein Heil wirkt. Von dieser theologischen Redeweise her müssen wir wohl eher überdenken, was wir unter Sünde verstehen. Sie deckt auf, dass wir Sünde letztlich verharmlosen, wenn wir menschliche Neigungen und Verhaltensweisen, über die man verschiedener Meinung sein kann, zur Sünde erklärt.
Genau an diesem Punkt scheitern die Bewohner von Nazareth: Da sie Jesus und seine Verwandten so gut kannten und wussten, dass er ein Mensch aus Fleisch und Blut war, wie du und ich auch, konnten sie sich nicht vorstellen, dass er ein Prophet oder gar der Messias sei. Sie konnten nicht glauben, dass Gott durch einen Menschen wie ihn spricht und handelt.
Auf denselben Punkt zielt der Evangelist Markus hin, wenn er am Ende seines Evangeliums den heidnischen Hauptmann unter dem Kreuz Jesu bekennen lässt: "Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn". In der Überlieferung des Markus betet Jesus am Kreuz zwar die Psalmverse "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen. . ." Nach Markus stirbt Jesus mit einem lauten Schrei. Markus berichtet nichts vom Aufgeben des Geistes oder vom Vollbringen des Heilswerkes Gottes. Trotzdem erkennt der heidnische Hauptmann im Sterben dieses Menschen die Dimension des Göttlichen.
Wie wirkt Gott heute?
Das Evangelium des Markus will uns aus Denkmustern herausholen, die uns hindern, das Wirken Gottes in unserer Welt zu erkennen. Es zeigt uns: Gott wirkt auch heute durch Menschen aus Fleisch und Blut. Wir haben es nicht nötig, unsere großen Vorbilder bis zur gefälligen Unkenntlichkeit zu retuschieren. Gott wirkte durch Peter Donders trotz seiner Liebe zu Zigarren. Er wirkte durch Johannes Paul und Mutter Teresa. Er wirkt wohl auch durch Benedikt, Christoph und Klaus - und hoffentlich auch durch dich und mich.
Wir werden unseren Gottesdienst beenden mit der Sendung "Ite missa est!" - leider nur schwach übersetzt mit der Aufforderung: "Gehet hin in Frieden!" Wir werden in jedem Gottesdienst ausgesandt, das Wirken Gottes in unsere Welt hineinzutragen, den Frieden Gottes, das Heil, die Erlösung, in unserem alltäglichen Leben zu bewirken; als Raucher oder als Nichtraucher. Mit welchen Schwächen auch immer wir behaftet sein mögen, an uns und durch uns werden die Menschen die Liebe Gottes erfahren - oder auch nicht, wo wir die Liebe Gottes verweigern. Das ist unsere Mission.
Gott begegnet im Anderen
Gastautor*in (2009)
Was würden sie sagen, wenn ihnen ihr Tankwart eines Tages offenbart: "Ach übrigens, ich bin das Licht der Welt"? Wenn die Kassiererin im Supermarkt ihnen nicht wie gewohnt "Bis bald!" hinterher schmettert, sondern sie fragt "Glauben sie, dass ich die Gute Hirtin bin?", oder ihr Nachbar nach drei Wochen Sommerurlaub plötzlich behauptet: "Ich bin die Auferstehung und das Leben". Irritation und Unbehagen wären wohl die Antwort, vielleicht sogar Ablehnung. Mit Sicherheit jedoch nicht die Überzeugung, dass ihr Nachbar doch eigentlich schon immer zu etwas Höherem bestimmt war.
Laut dem Evangelisten Markus soll es sich aber ungefähr so zugetragen haben. Jesus, ein Zimmermann aus Nazareth lebt gut dreißig Jahre mehr oder weniger unauffällig unter Seinesgleichen. Dann zieht er hinunter an den Jordan um sich taufen zu lassen - und seitdem erkennen sie ihn nicht wieder. "Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und der Bruder von Jakobus, Joses, Judas und Simon? Leben nicht seine Schwestern hier unter uns?" Wieso redet er plötzlich so? Was ist das für eine Weisheit die ihm gegeben ist - und was für Wunder tut er da? Er wird ihnen plötzlich unheimlich und fremd - sie nehmen Anstoß an ihm, ja vielleicht fürchten sie sich sogar.
In den Lesungen der letzten Wochen konnten wir hören, wie die Menschen überall zusammenströmten um Jesus zu hören und zu sehen. Menschen aus ganz Galiläa und später sogar von noch weiter her. Sie sind begeistert von diesem Menschen, der mit Vollmacht lehrt. Und in der Heimatstadt Jesu ist man entsetzt. Wie immer der kommende Messias auch aussehen mag, das ist er nicht. Das ist Joschua der Zimmermann von Nebenan, einer von uns, ein ganz gewöhnlicher Kerl. Nett, schlau und fleißig? Bestimmt! Aber eines ist er gewiss nicht, der Sohn Gottes - So kann er nicht aussehen! So kann Gottes Heil nicht auf die Welt herabkommen! So nicht, und auch nicht an der Kasse vom Aldi und auch nicht an der Aral-Tankstelle von Nebenan und auch nicht im netten Herrn von gegenüber, der jeden Samstag um 11 seinen Rasen mäht.
...Aber wenn nicht so, wie dann?
Im Ersten Testament finden wir immer wieder Stellen, in denen von Gottesbegegnungen die Rede ist. Der brennende Dornbusch zum Beispiel, ist nicht die einzige aber doch die bekannteste. Auch, als Mose Gott bittet, ihn doch seine ganze Herrlichkeit schauen zu lassen, hält Gott seine Hand über ihn und zieht an ihm vorüber um ihm dann einen Blick auf seinen Rücken zu gewähren. Als der Prophet Elia völlig ausgelaugt zum Berg Horeb zieht, da begegnet ihm Gott im Säuseln des Windes.
In der heutigen Lesung, wird uns von einer Gottesbegegnung des Propheten Ezechiel berichtet. Machen sie sich gleich zuhause einmal die Freude und lesen sie im Buch Ezechiel einmal die vorangehenden Verse. Dann nehmen sie einen Stift zur Hand und zeichnen sie das Gottesbild, das Ezechiel uns beschreibt. Sie werden stauen, was sie alles malen müssen, und dabei sind die vier Engel noch das Harmloseste. Bei den vier ineinander laufenden Rädern mit Augen wird es schon schwieriger - und ich bin gespannt darauf, wie sie die "furchtbar anzusehende Platte" zeichnen werden, von der der Prophet uns berichtet.
Das sind wirklich Gottesbilder, die so gar nichts mehr mit dem netten Zimmermann von Nebenan zu tun haben? Aber bringen diese fremden Bilder uns Gott deswegen näher? Macht das Unbeschreibbare uns den Zugang zu Gott leichter? Nein, so bestimmt nicht - aber ich habe ihnen ja auch etwas vorenthalten.
Gottesbilder des Ersten Bundes
Bei all diesen Gottesbegegnungen gibt es immer noch eine zweite Hälfte. Als Mose am Berg Horeb vor dem brennenden Dornbusch steht, da offenbart Gott ihm, dass er herabgestiegen ist, weil er Mitleid mit seinem Volk hat. Und als er Gott in seiner ganzen Herrlichkeit schauen möchte, so ist dies unmöglich, aber Gott gewährt ihm etwas Anderes - er lässt ihn seine ganze Güte schauen, so heißt es im Buch Exodus. Der Prophet Elia erwartet von Gott, das er sich in seiner ganzen Macht zeigt, mit zerstörerischer Gewalt soll er gegen das gottlose und abtrünnige Volk vorgehen - und was bekommt er? Gott zeigt sich im leichten Säuseln des Windes. Und Ezechiel beschreibt Unglaubliches vor dem er sich mit dem Gesicht in den Staub wirft. Aber Gott spricht: "Stell dich auf deine Füße, Menschensohn; ich will mit dir reden". Immer wenn Gott im Alten Testament ganz nah zu den Menschen kommt, dann tut er das meist in ganz fremden Bildern, wie z.B. in der Säule aus Wolken und Feuer, mit Blitzen und Donner. Aber doch ist er Menschen dann ganz nah, zeigt Mitleid und Güte oder wie im Fall der Feuer- und Wolkensäule Anteilnahme durch das Geschenk der Zehn Gebote an die Menschen.
Gottesbilder des Neuen Bundes
Und im Neuen Testament, wie begegnet Gott den Menschen dort? Er begegnet ihnen im Vater, der sich um seinen verlorenen Sohn sorgt. Er begegnet ihnen in Jesus, der Kranke heilt und sich mit Sündern einlässt. Er begegnet ihnen im den Hungrigen und Dürstenden, in den Nackten, Fremden, in den Gefangenen und Obdachlosen. Gott begegnet ihnen - Gott begegnet uns im Anderen.
Denn was wir den geringsten unter unseren Brüdern getan haben, das haben wir ihm getan. Wo Menschen sich aufeinander einlassen, wo sie einander in Interesse, Neugierde und auch Liebe begegnen, da begegnet ihnen Gott. Wo sie jedoch glauben, alles voneinander zu wissen, und sich verschließen, wo jeder gefälligst das zu tun hat, was er schon immer getan hat, da fällt es sogar Gott schwer, noch zu wirken. Oder um mit den Worten des heutigen Evangeliums zu sprechen, dort kann auch Jesus keine Wunder mehr tun, sondern sich selber nur noch wundern.
Carsten Lehmann, in Ausbildung zum Ständigen Diakon Felix-Nussbaum-Straße 4 D-49076 Osnabrück
Lieder: GL 140: Kommt herbei, singt dem Herrn GL 347: Der Geist des Herrn erfüllt das All. (4. Str.) GL 358: Ich will dich lieben, meine Stärke GL 372: Morgenstern der finstern Nacht GL 384: Hoch sei gepriesen unser Gott GL 385: Nun sagest Dank und lobt den Herren GL 409: Singt dem Herrn ein neues Lied GL 414: Herr, unser Herr, wie bist du zugegen GL 425: Solang es Menschen gibt auf Erden. GL 428: Herr, dir ist nichts verborgen GL 474: Wenn wir das Leben teilen GL 484: Dank sei dir, Vater, für das ewge Leben GL 485: O Jesu Christe, wahres Licht GL 489: Lasst uns loben, freudig loben GL 551: Nun singt ein neues Lied dem Herren
Psalmen und Kehrverse: 33: Herr, unser Herrschr, wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde. - Mit Psalm 8 - VII. GL 37: Der Herr ist mein Hirt; er führt mich an Wasser des Lebens. - Mit Psalm 23 - VI. GL 53,1: Hört auf die Stimme des Herrn, verschließt ihm nicht das Herz. - Mit Psalm 121 (GL 67,2) - VI. GL 255: Das Wort wurde Fleisch und wohnte bei uns. Mit Psalm 96 (GL 54,2) - VIII. GL 305,4: Dies ist mein Gebot: Liebet einander, wie ich euch geliebt. - Mit Psalm 116 (GL 629,4) oder mit Psalm 118 (GL643,4-5) - VI. GL 629,1-2: Du führst mich hinaus ins Weite; du machst meine Finsternis hell. - Mit Psalm 30 - I.
Einleitung3
Klemens Nodewald (2015)
Der Evangelist Markus möchte uns mit seinem Evangelium des heutigen Tages auf etwas aufmerksam machen, das uns Menschen leicht unterläuft: Wir staunen über etwas oder einen Menschen; aber das Staunen bewegt uns nicht sonderlich, weil es zu sehr an der Oberfläche bleibt und unser Herz nicht erfasst. Sich dessen immer wieder einmal bewusst zu werden, ist wertvoll, weil gerade das Staunen unseren Blick auf Wichtiges und Wertvolles lenken kann.
Jörg Thiemann (2012)
Jesus hat immer wieder vom Reich Gottes, von der Liebe des Vaters zu den Menschen gesprochen. Auch jetzt spricht er zu uns, auch in dieser Feier sind wir eingeladen am Tisch des Brotes, am Tisch seiner Liebe. Nicht immer aber ist unser Herz offen. Wir erkennen dann nicht, dass Gottes Wort gerade an uns gerichtet ist. Wir können uns auch vor Gott verschließen. Öffnen wir unser Herz für Gott, dass er uns mit seinen Worten und seiner Liebe erreicht und uns ändert, damit wir in seinem Sinn leben. Bitten wir dazu Jesus den Auferstandenen um sein Erbarmen.
Hans Hütter (2009) - Gott begegnen
Wir feiern Gottesdienst, um in dieser heiligen Feier Gott zu begegnen. Eine Begegnung kommt jedoch nur zustande, wenn die sich Begegnenden einander auch wahrnehmen und erkennen. Gott begegnen und Gott erkennen können wir nicht voneinander trennen. Gott ist jedoch immer ganz anders, als wir ihn uns vorstellen können. Trotzdem bemühen wir uns, immer mehr von seinem Geheimnis zu begreifen und zu erfassen. Eine wichtige Rolle spielt dabei das Lesen in den uralten Erzählungen der Menschheit, wie Menschen früherer Generationen Gott begegnet sind und erfahren haben. In Jesus von Nazareth hat Gott, so glauben wir, in endgültiger Weise sein menschliches Antlitz gezeigt und geoffenbart. Wir treten nun dem Herrn gegenüber und erkennen in ihm Gott und preisen ihn als unseren Erlöser.
Kyrie3
Klemens Nodewald (2015)
Wenden wir uns dem Herrn zu, der uns durch seine Worte und Taten immer neu ins Staunen versetzen kann.
Herr Jesus Christus, du hast nicht die Sensation gesucht, den Beifall der Fans, die Schlagzeilen in der Öffentlichkeit. Herr, erbarme dich.
In deinen Worten und Taten wolltest du dich offenbaren als Sohn des himmlischen Vaters und als unseren Erlöser. Christus, erbarme dich.
Unser Staunen und unsere Bewunderung über dich führe uns näher zu dir und verstärke unsere Mühe, unseren Glauben lebendig zu leben. Herr, erbarme dich.
Der Herr mehre in uns die Liebe zu ihm, damit wir durch ihn gestärkt das Gute immer neu und vielfältig erstreben und vollbringen. – Amen.
Jörg Thiemann (2012)
Herr, Jesus, du bist das Wort der Liebe. Wegen unserer Herzen, die oft verschlossen sind für dich, bitten wir: Herr, erbarme dich.
Herr, Jesus, du bist der Weg zum wahren Leben. Wegen unserer Herzen, die oft andere Wege gehen, bitten wir dich: Christus, erbarme dich.
Herr, Jesus, du bist unsere Hoffnung. Wegen unserer Herzen, die oft eher mutlos sind, bitten wir: Herr, erbarme dich.
Hans Hütter (2009) - Du hast wie wir als Mensch gelebt
Herr, Jesus Christus, du bist Mensch geworden und hast wie wir als Mensch gelebt. Herr, erbarme dich unser.
Du bist der von Gott gesandte Messias und Erlöser. Christus, erbarme dich unser.
In deiner menschlichen Schwachheit und Ohnmacht hat sich die Weisheit und die Kraft Gottes gezeigt. Herr, erbarme dich unser.
Tagesgebet1
Messbuch - TG 14. Sonntag: aus der Knechtschaft der Sünde befreit
Barmherziger Gott, durch die Erniedrigung deines Sohnes hast du die gefallene Menschheit wieder aufgerichtet und aus der Knechtschaft der Sünde befreit. Erfülle uns mit Freude über die Erlösung und führe uns zur ewigen Seligkeit. Darum bitten wir durch Jesus Christus.
MB 14. Sonntag im Jahreskreis
Eröffnungsgebet2
Sonntagsbibel
Großer Gott, unser Glaube ist oft Schwierigkeiten und Belastungsproben ausgesetzt. Mach uns fähig, dir zu begegnen: In den Menschen, in den Zeichen der Zeit und im Wort deines Sohnes, der mit dir lebt und herrscht in Ewigkeit.
Jörg Thiemann (2012) - ganz anders, als wir es erwarten
Jesus, du bist ganz anders, als wir es erwarten. Du sprichst anderes, als wir es uns wünschen. Du sprichst nicht nur Worte, die uns bestätigen. Du sprichst Worte, die uns immer mehr zu dem machen, wer wir vor Gott sein sollen. Mach uns offen für dich, für deine Liebe, dass wir dich nicht ablehnen, dass wir dich erkennen, wenn du uns begegnest, jetzt und in alle Ewigkeit. Amen.
Fürbitten4
Klemens Nodewald (2015)
Herr Jesus Christus, durch deine Worte und deine Taten willst du zu den Herzen der Menschen sprechen. Zugesichert hast du uns, dass du uns hilfst und beistehst, wenn wir uns vertrauensvoll an dich wenden. So bitten wir dich:
Öffne die Herzen der Menschen für deine Botschaft und dein Wesen. Christus, Heiland und Erlöser...
Stärke mit deiner Kraft das Bemühen jedes einzelnen, nach deinen Weisungen zu leben. Christus, Heiland und Erlöser...
Berufe immer neu Menschen, neben dem Alltäglichen auch in besonderer Weise Verkünder deiner Botschaft und Liebe zu sein. Christus, Heiland und Erlöser...
Segne mit deiner göttlichen Kraft alle, die um ihres Glaubens oder ihrer Überzeugung willen aus ihrer Heimat vertrieben werden. Christus, Heiland und Erlöser...
Nimm die Verstorbenen, wie du es verheißen hast, auf in die Gemeinschaft mit dir. Christus, Heiland und Erlöser...
Herr Jesus Christus, Staunen und Freude über dich führt uns näher zu dir und zu einander. Wir danken dir, dass du uns diesen Weg gezeigt hast und uns hilfst, ihn zu gehen. – Amen.
Renate Witzani (2015)
Lasst uns gemeinsam zu unserem Herrn Jesus Christus beten:
Für Papst Franziskus und alle, die sich um ein ökologisches und solidarisches Miteinander aller Menschen sorgen.
Für alle Politiker und Wissenschaftler, dass sie mit Kreativität und Verantwortungsbewusstsein die anstehenden Probleme der zunehmenden Umweltzerstörung zu lösen versuchen.
Für alle Lehrer und Schüler, denen in den kommenden Ferienwochen Zeit und Muße geschenkt ist, neue Aspekte und Lebenshorizonte zu entdecken.
Für alle Menschen, die aufgrund ihrer Andersartigkeit und Fremdheit nicht verstanden und akzeptiert werden.
Für unsere Verstorbenen, dass du als barmherziger Richter alle ihre Wunden heilst.
Denn in all unserer Schwachheit vertrauen wir auf dich, Herr Jesus Christus, als unseren Heiland und Erlöser. Dir sei Preis, Ruhm und Dank jetzt und bis in Ewigkeit. - Amen.
Jörg Thiemann (2012)
Herr Jesus Christus, du bist oft der ganz Andere. Dennoch wagen wir es, dir unsere Bitten anzuvertrauen, in der Hoffnung, dass du sie ernst nimmst.
Komm mit deiner Liebe, wo Vorurteile das Zusammenleben von Menschen behindern.
Schenke allen, die Recht sprechen, den Mut zur Wahrheit und lass ihre Urteile gerecht und zum Wohle aller sein.
Gib uns Weisheit und Einfühlungsvermögen, damit wir unseren Mitmenschen Möglichkeiten einräumen, sich zu entwickeln und ihre Talente zu entdecken.
Öffnen die Ohren unseres Herzens, damit wir erkennen, wann du uns in unserem Leben ansprichst.
Berufe immer wieder fähige Männer und Frauen dazu, Kinder und Jugendliche auf das Leben vorbereiten und sie im Glauben an die frohe Botschaft zu unterweisen.
Steh allen bei, die sich in schweren Situationen des Lebens befinden, dass sie die Hoffnung auf dich nicht aufgeben.
Dir sei Lob und Preis, jetzt und in Ewigkeit. Amen.
Hans Hütter (2009)
Guter Gott, in Jesus von Nazareth hast du die Ohnmacht und Schwachheit der Menschen geteilt und ertragen. Darum bitten wir dich:
Für alle, die machtlos der Willkür der Starken dieser Welt ausgeliefert sind. Lass sie erfahren, dass du Herr der Schöpfung bist, der auch die Kleinen und Ohnmächtigen nicht vergisst.
Für die Mächtigen in der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Lass sie die Grenzen ihrer Macht erkennen und die Verantwortung für das Wohl aller wahrnehmen.
Für alle, die die Zusammenhänge der Welt wissenschaftlich erforschen. Lass sie zur Lösung der Probleme und Konflikte der Menschen beitragen.
Für alle Lehrer und Erzieher, die Wissen und Bildung weitervermitteln. Lass auch sie selbst wachsen an Erkenntnis und Weisheit.
Für alle, die religiöse und geistliche Macht ausüben. Bewahre sie davor, diese Macht zur Befriedigung eigener Interessen zu missbrauchen,
Für alle, die andere Menschen in die Geheimnisse des Glaubens einführen; vor allem für alle Religionslehrer, Theologen und Verkünder des Evangeliums. Berühre sie mit der Erfahrung deines Wirkens in der Welt.
Du, Gott, bist groß genug, um in unsere kleine menschliche Welt herabzusteigen, ohne dein Gesicht zu verlieren. Auf dich setzen wir unser Vertrauen, wo wie uns ohnmächtig erleben. Amen.
Gabengebet1
Messbuch - GG 14. Sonntag: das neue Leben sichtbar machen
Herr, zu deiner Ehre feiern wir dieses Opfer. Es befreie uns vom Bösen und helfe uns, Tag für Tag das neue Leben sichtbar zu machen, das wir von dir empfangen. Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn.
MB 14. Sonntag im Jahreskreis
Gebet zur Gabenbereitung1
Jörg Thiemann (2012)
Jesus, du hattest keine Vorurteile, du hast keinen Menschen abgelehnt, sondern du wolltest durch Liebe und Barmherzigkeit die Herzen der Menschen verändern. Wir alle sind jetzt eingeladen an deinem Tisch. Wir wollen dir unsere Herzen schenken, weil du in unser Leben kommst, ohne dass wir es uns verdienen müssten. Dafür wollen wir dich loben und preisen. Amen.
Lobpreis1
Hans Hütter (2021) - Auch wir erfahren deine Gegenwart in dieser Welt
Kehrvers Auf, lasst uns jubeln dem Herrn, vor sein Angesicht kommen mit Dank! (GL 141)
Guter Gott und Vater, wir kommen zu dir, um dir zu danken und um deine Größe zu preisen. Immer wieder hast du Propheten gesandt, um den Menschen deine Weisheit mitzuteilen und ihnen deinen Willen kundzutun.
Kehrvers
In Jesus von Nazareth hast du als Mensch unter Menschen gelebt und sie durch sein Reden und Tun erfahren lassen, wie sehr dir am Heil der Menschen gelegen ist. In deinem Namen hat der Kranke geheilt, dem Ungeist Einhalt geboten und dein Wirken in dieser Welt geoffenbart.
Kehrvers
Seine Jünger hat er gelehrt, trotz Erfahrung menschlicher Ohnmacht den Glauben an deine göttliche Kraft lebendig zu halten, das Kommen deines Reiches zu verkünden und nach deinen Weisungen das Leben zu gestalten.
Kehrvers
Auch uns wurde diese Frohe Botschaft zuteil, auch wir erfahren deine Gegenwart in dieser Welt und auch wir leben in der Hoffnung, dass du einmal das Werk der Erlösung vollenden wirst. Dafür danken wir dir und loben und preisen wir dich mit der ganzen Schöpfung.
Danklied, z. B. Herr, unser Herr, wie bist du zugegen (GL 414)
Präfation2
Messbuch - Präfation Sonntage 2: Das Heilsgeschehen in Christus
In Wahrheit ist es würdig und recht, dir, allmächtiger Vater, zu danken und das Werk deiner Gnade zu rühmen durch unseren Herrn Jesus Christus. Denn aus Erbarmen mit uns sündigen Menschen ist er Mensch geworden aus Maria, der Jungfrau. Durch sein Leiden am Kreuz hat er uns vom ewigen Tod befreit und durch seine Auferstehung uns das unvergängliche Leben erworben. Darum preisen dich deine Erlösten und singen mit den Chören der Engel das Lob deiner Herrlichkeit: Heilig ...
MB Sonntage 2
Messbuch - Präfation Schweizer Hochgebet 2: Jesus unser Weg
Wir danken dir, heiliger, starker Gott. Du lenkst die Geschicke der Welt und sorgst für jeden Menschen. Du versammelst uns zu einer Gemeinschaft, damit wir alle dein Wort hören und deinem Sohn im Glauben folgen. Er ist der Weg - auf diesem Weg gelangen wir zu dir; er ist die Wahrheit - sie allein macht uns frei; er ist das Leben und erfüllt uns mit Freude. Darum danken wir dir, Vater, für deine Liebe, durch unseren Herrn Jesus Christus. Wir stimmen ein in den Gesang der Engel und bekennen zum Lob deiner Herrlichkeit: Heilig...
Präfation aus dem Schweizer Hochgebet 2
Mahlspruch1
Bibel (2009)
Das Wort vom Kreuz ist denen, die verlorengehen, Torheit; uns aber, die gerettet werden, ist es Gottes Kraft. (1 Kor 1,18)
Oder:
Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit. (Joh 1,14)
Schlussgebet1
Messbuch - SG 14. Sonntag: in der Danksagung verharren
Herr, du hast uns mit reichen Gaben beschenkt. Lass uns in der Danksagung verharren und einst die Fülle des Heils erlangen. Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn.
MB 14. Sonntag im Jahreskreis
Gebet zum Abschluss2
Jörg Thiemann (2012)
Jesus, du stellst auch uns auf unsere Füße, damit wir hinausgehen, dich bezeugen bei den Menschen, durch Wort und Tat. Segne uns, mache unsere Herzen offen und auch die der Mitmenschen für deine Liebe und dein Handeln. Amen.
Zitat (2012) - Jesus, du Wegbegleiter
Jesus, du Wegbegleiter, sei schützend um mich, wenn ich den Schritt wage aus den alten Gleisen, lass mich deine Nähe spüren, wenn ich neues Land betrete, zeige mir die Richtung, wenn ich unsicher werde, halte mich, wenn ich zu fallen drohe. Um deinen Segen bitte ich, auf allen meinen Wegen. Amen.
Aus: Cäcilia Kittel, Sei stille dem Herrn, Impulse zur Eucharistischen Anbetung, München 2006.
Dialog bezeichnet nicht „nur“ eine spezielle Kommunikations-Methode, sondern ist die theologische Grundlage der Mission. Gott selbst ist seinem Wesen nach Dialog. Auf diese Tiefendimension weist Papst Paul VI. in seiner Antrittsenzyklika Ecclesiam suam (1964) hin. „Der Dialog des Heils wurde frei durch die göttliche Initiative eröffnet. 'Er (Gott) hat uns zuerst geliebt' (1 Joh 4,10). “Christologisch wurzelt der Dialog in der Inkarnation. Der Sohn tritt in die Welt ein und fordert dialogisch zur Nachfolge auf. Der Heilige Geist wiederum hat zu allen Zeiten gesprochen und „Samen des Wortes“ ausgesät; er wirkt immer schon bei den Menschen. Deshalb muss der Missionar Gott nicht zu den Menschen bringen, sondern kann auf ihn bei den Anderen treffen: in allen Anstrengungen menschlichen Handelns, die auf „die Wahrheit, auf das Gute, auf Gott ausgerichtet sind“ oder zumindest in der „wenn auch unbewussten - Erwartung (...), die Wahrheit über Gott, über den Menschen, über den Weg zur Befreiung von Sünde und Tod zu erfahren.“
Dialog ist daher immer auch Spurensuche nach den Wirkungen des Geistes Gottes bei und zwischen Menschen. Das meint aber nicht bloß, die eigenen Gotteserfahrungen bei den Anderen wiederzuerkennen, sondern vor allem jene Gotteserfahrungen zu suchen, die der Kirche noch fremd sind. Wer in den Dialog eintritt, hat teil am Gottesereignis. Im Dialog wird Gottes Liebe konkret erfahrbar. Deshalb ist der Dialog die „Form der Kommunikation und Wahrheitsfindung“ jeglicher Mission. Mission und Dialog gehören untrennbar zusammen. Während jedoch der Dialog auf die gemeinsame Suche nach Wahrheit und auf geschwisterliche Kooperation in der Menschheit zielt, geht es der Mission um die Realisierung des Reiches Gottes. Das Johannesevangelium ermutigt dabei zum Vertrauen, dass der Geist die Gläubigen in die ganze Wahrheit führen wird (Joh 16,13).
In diesem Sinn ist der Dialog ein spirituelles Ereignis. In ihm kann sich Gott selbst zeigen: wenn die Andersartigkeit des Anderen als Zuspruch Gottes dankbar angenommen und der Geist wahrgenommen wird, der in der Tiefe zwischen den Dialogpartnern Beziehung stiftet und einigt.
Wenn der Dialog ein spiritueller Vorgang ist, stellen sich zwei Fragen: 1) Wie kann man die Anderen verstehen, und zwar so, wie sie sich selbst verstehen? 2) Wie kann man sich mit den Anderen verständigen, und zwar so, wie man sich selbst versteht? Theo Sundermeier hat dazu vier praxisrelevante Aspekte herausgestrichen: — Dialog heißt, sich dem aussetzen, was einem fremd ist, auch wenn das Angst, Distanz und Abwehr bewirkt. Im fremden Territorium, in das der Dialog sich hineinwagt, lässt sich sodann Menschlichkeit entdecken. — Dialog heißt, den Perspektivenwechsel einüben, d. h. die Welt mit den Augen des Anderen wahrnehmen. Dies ist zwar nur begrenzt möglich, aber alternativlos, will man einander verstehen lernen. — Dialog bedarf der Lebensgemeinschaft und dient dem Zusammenleben. Dialoge werden nicht nur geführt, sondern sind ins Leben eingebettet. — Dialog ist der Raum für authentisches Zeugnis aller Dialogpartner, er ist in diesem Sinn niemals neutral und objektiv. Ohne Vorbedingungen kann und darf, ja muss sogar jede/r er/sie selbst sein und sich einbringen. Ohne wechselseitige Öffnungs- und Zuhörbereitschaff gibt es keinen Dialog. Dialog ist so auch eine Einübung in Respekt, Umgang mit Differenz und Pluralität und die darin verborgenen Herausforderungen.
Wenn dies gelingt, kommen einander in diesem Prozess Menschen näher und man kann das Wort Gottes hören - wegen der Unterschiede! Dialog ersetzt Mission nicht, sondern konkretisiert sie. Er dient nicht bloß einem freundlichen, unverbindlichen Austausch, sondern möchte Sinn stiften und die Welt verändern. Er ist jene Form der Wahrheitsfindung, die der Pluralität der Wirklichkeit entspricht. Daher ist der Dialog nicht nur ein Vorfeld, sondern der Vollzug des missionarischen Geschehens, die Sprache der Mission. Das ist riskant, denn man lässt sich auf Irritation und Verwandlung ein.
Aus: Regina Polak, Mission in Europa? Auftrag – Herausforderung – Risiko. Tyrolia Verlag, Innsbruck Wien 2012.
Jesus, „herrlich anders – schrecklich anders“
Augustin Schmied
In der Würzburger Diözesanakademie fand einmal ein Wochenendseminar für Ehepaare statt, das unter einem etwas merkwürdigen Motto stand: „Du bist so herrlich anders - Du bist so schrecklich anders“. Das klingt ziemlich drastisch, aber es ist doch so: Beziehungen zwischen den Menschen sind interessant, lebendig, spannend dadurch, dass die Partner verschieden sind. Das gilt von der Freundschaft und auch von der Ehe. Es möchte wohl niemand bloß mit seinem Spiegelbild oder seinem Doppelgänger verbunden oder verheiratet sein.
Aus der griechischen Antike gibt es die Sage vom Jüngling Narziss. Dieser junge Mann konnte nie genug davon bekommen, das eigene Spiegelbild im Wasser zu betrachten. Narziss verliebte sich geradezu in sein Bild. Zur Strafe wurde er schließlich in eine Pflanze, eine „Narzisse“, verwandelt. - Wer nur sich selber finden wollte, würde arm ausgehen. Zu einer echten Beziehung gehört das Anderssein ganz wesentlich dazu. Allerdings kann dieses Anderssein nicht nur als „herrlich“, „wunderbar“ und beglückend empfunden werden, sondern manchmal auch als beschwerlich, als nervend und ärgerlich.
Aus: Augustin Schmied, Farben des Anfangs. Jesus und seine Botschaft. Biblische Betrachtungen. Verlag Neue Stadt, München Zürich Wien 2015.
Inneres Wachstum
Alois Kothgasser
Bäume wachsen, Jahr für Jahr - solange sie Sonne und Erde, Wasser und Luft haben. Hier scheint es eine Regelmäßigkeit und einen Rhythmus zu geben. Auch wir sind aufgerufen, zu wachsen - geistlich, innerlich, persönlich. Dieses innere, geistliche und persönliche Wachstum geschieht nicht „von selbst“; es ist nicht so, dass wir mit jedem gewonnenen Lebensjahr automatisch an Reife zunehmen; es trifft nicht zu, dass wir aus jeder Begegnung oder auch aus jeder Leiderfahrung etwas lernen. Wir müssen auch den Willen haben zu wachsen - und an uns arbeiten.
Inneres Wachstum braucht man sich weder als manipulierbares „Machen“ noch als automatische, mühelose Entwicklung vorzustellen - sondern als Arbeit an der eigenen Persönlichkeit; eine Arbeit, die mit der Entscheidung für jene Bindungen, von denen man bereit ist, sich formen und prägen zu lassen, zu tun hat. Hier geht es um die Bindung an Gott, die Bindung an die Kirche und die Gemeinschaft der Gottsuchenden, die Gemeinschaft der geliebten Menschen. Ganz offensichtlich ist die Unfähigkeit, Bindungen einzugehen, ein Hindernis auf dem Weg zum inneren Wachstum. Inneres Wachstum zeigt sich daran, dass man die Grenzen des Selbst erweitert, dass man nicht um sich selbst kreist, nicht hineingekrümmt ist in sich selbst. Inneres Wachstum ist gebunden an die Fähigkeit zur Liebe - an die Bereitschaft auch, sich von geliebten Menschen formen zu lassen und für geliebte Menschen zu wachsen. Eltern werden durch ihre Kinder, durch das tagtägliche Zusammenleben geformt und sie haben auch eine Verantwortung, die eigene Persönlichkeit zu entwickeln, weil sich inneres Wachstum gerade darin zeigt, andere wachsen sehen zu wollen.
Aus: Alois Kothgasser / Clemens Sedmak, Geben und Vergeben. Von der Kunst neu zu beginnen. Tyrolia Verlag, Innsbruck Wien 2008.
Vom Eis der Oberschicht
Ralf Rothmann
In Form eines Gedichts wollte ich zu dir kommen, im Rhythmus Mond und Gladiolen. Doch hat Sprache nichts zu sagen, wo alles sich auf Reichtum reimt, Seelennot wie Seide schweigt
und kein Mensch mehr Scheiße schreit. Leb denn wohl, du Makellose. Ein bißchen blau, ein bißchen pyromanisch wollte ich dir Feuer geben. Doch gab dein Lächeln mir den Rest. Mein Flämmchen fror am Streichholz fest.
Aus: Ralf Rothmann, Gebet in Ruinen. Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000.
Gegen jeden
Ralf Rothmann
Jeder des anderen Ärgernis jeder des anderen Spaß jeder des anderen Spielautomat Goldene Serie, schrecklicher Reinfall jeder des anderen Kontaktperson Wackelkontakt, total überdreht jeder des anderen Fels jeder aus Stein. Es gibt keinen Grund dich nicht zu belügen jedem ist alles egal. Jeder eine Nummer ein Loch und im Eimer alle auf Nummer Sicher. Jeder sieht mir irgendwie ähnlich und verschläft jeden Tag diesen billigen Traum: Wenn jeder jedem Feuer gäbe mit brennendem Paß wäre keiner mehr jeder
Aus: Ralf Rothmann, Gebet in Ruinen. Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000.
Neue Wege gehen
Cäcilia Kittel
Neue Wege gehen Vertrautes hinter sich lassen Sich vom Alten trennen Von Gewohntem Abschied nehmen
Neue Wege gehen Entdeckungen machen Neuland begehen Wagnisse eingehen
Neue Wege gehen Wohin werden sie mich führen? Wie wird es mir unterwegs ergehen? Wer wird mir über den Weg laufen?
Neue Wege gehen Ich mache mich zu einem Ziel auf ... oder ... ist der Weg das Ziel? Ich freue mich auf neue Erfahrungen ... oder ... machen sie mir Angst? Ich bin gespannt auf meine Weggefährten ... oder ... werde ich einsam sein?
Was ist, wenn ich vom Weg abkomme, wenn ich nicht mehr weiterweiß, wenn ich das Ziel aus den Augen verliere, wenn mein Proviant ausgeht, wenn Sturm aufkommt, wenn ich in Nebel gerate, wenn ich in einer Sackgasse lande? Sollte ich nicht doch lieber gleich zuhause bleiben, gar nicht erst aufbrechen, nichts wagen, dann kann ich nichts verlieren, kein Risiko eingehen, dann kann auch nichts schief gehen, alles belassen, wie es immer war, wie es ist, so wird es immer sein, in den alten Gleisen bleiben, da kenne ich mich aus.
Doch ... wo ist mehr Leben? Was heißt Leben? Leben heißt sich verändern, nicht stehen bleiben, Leben heißt, sich entwickeln, nicht in etwas erstarren, Leben heißt wandern und Neues wagen. Und bei all dem geht einer mit, einer weist den Weg, kommt mir entgegen, geht mir voraus. Der eine, von dem wir sagen, er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben: Jesus Christus. Ihm darf ich vertrauen, ihm mich selbst anvertrauen, auf allen meinen Wegen. Wenn ich mich ihm anvertraue, brauche ich mich nicht zu fürchten, denn er kennt mich und er kennt meinen Weg. Eines aber muss ich selbst tun: Ich muss mich aufmachen mit ihm.
Aus: Cäcilia Kittel, Sei stille dem Herrn, Impulse zur Eucharistischen Anbetung, München 2006.
Gnade
Jörg Zink
Ich wünsche dir, dass du bewahrt sein mögest an Leib und Seele. Dass dich einer trägt und schützt und dich durch alles, was dir geschieht, deinem Ziel entgegenführt.
Ich wünsche dir, dass dich immer wieder etwas berührt, dass ich nicht so recht beschreiben kann. Es heißt "Gnade". Gnade ist ein altes Wort, aber wer sie erfährt, für den ist sie wie Morgenlicht.
Man kann sie nicht wollen und nicht erzwingen, aber wenn sie dich berührt, dann weißt du: Es ist gut.
Jörg Zink in: Minuten am Morgen, Texte und Gebete zum Schulbeginn, München 2. Auflage, 2004.
Der Jesus Bazillus
Hermann Josef Coenen
Erblich ist es nicht. Jedenfalls kenne ich Väter und Mütter, die sind völlig immun. Aber bei ihren Söhnen oder Töchtern bricht es durch. Und umgekehrt. Manchmal werden schon achtjährige Kinder infiziert. Während der Pubertät scheint der Virus vorübergehend inaktiv. Später, wenn sie 20 sind oder 40 oder 60, bricht die Infektion auf einmal wieder aus.
In allen Kontinenten wurde die Krankheit beobachtet: Auf den Philippinen und in Südafrika, in Marl und in Gorki. Selbst Bischöfe und Gewerkschaftsführer sollen angeblich nicht immun dagegen sein.
Meist hat die Krankheit ein Vorstadium: Da werden die Menschen unruhig und sind nicht mehr zufrieden mit sich selbst. Sie spüren: "Das kann doch nicht alles sein!" und fangen an, ungewohnte Fragen zu stellen. Im fortgeschrittenen Stadium ändern die Befallenen auch ihr Verhalten. Manchmal so radikal, dass ihre Umwelt sie nicht mehr für normal hält. Neurologen konnten allerdings beim Messen der Gehirnströme bisher kein auffälliges Abweichen von der Norm feststellen. Eine zuverlässige Beschreibung des gesamten Krankheitsbildes liegt bisher nicht vor.
Soweit man festgestellt hat, soll die Übertragung vor allem durch direkte Ansteckung erfolgen. Der Virus springt gleichsam über von Menschen, die schon angesteckt waren. Manchmal werden ganze Familien erfasst, meist aber einzelne. Vorsorgemaßnahmen erweisen sich als wirkungslos. Nur Wohlstand scheint anfällig zu machen, wie eine Untersuchung in Assisi ergab.
In der Weltgesundheitsorganisation ist man sich noch nicht klar darüber, ob die Infektion zu den anerkannten Krankheiten zählen soll. Wenngleich manche Regierungen sie für ausgesprochen gefährlich halten, vor allem in lateinamerikanischen und östlichen Ländern. Der Virus soll vor langer Zeit schon durch Wanderprediger aus dem Vorderen Orient nach Europa eingeschleppt worden sein. Das hiesige Gesundheitsamt meldet, dass es hier in letzter Zeit vermehrt zu Ansteckungen gekommen sein soll.
Aus: Hermann Josef Coenen, Meine Jakobsleiter, Düsseldorf 1986.
Sag nicht: wir gingen immer so
Wolfgang Fietkau
Sag nicht: wir gingen immer so Und werden weitergehen. Frag: ist es gut, so wie es ging, und kann ich weitergehen?
Sag nicht: wir bauten immer so und werden weiterbauen. Frag: steht es fest, so wie es steht, und: kann ich weiterbauen?
Sag nicht: wir sprachen immer so und werden weitersprechen. Frag: wer hört mich, so wie ich sprach, und: kann ich weitersprechen?
Sag nicht: wir halfen immer so und werden weiterhelfen. Frag: ob es half, so wie du hilfst, und: kann ich weiterhelfen?
Sag nicht: wir warten immer so und werden weiterwarten. Frag: worauf noch, wie lange schon, und kann ich weiter warten?
Wolfgang Fietkau in: Egon Mielenbrink, Eva Polednitschek - Kowallick, Gemeinsam auf dem Weg, Kevelaer 2001.
Ich bin klein, und ich bin groß
Lorenz Marti
Je größer die Distanz ist, aus der ich mich betrachte, umso mehr ahne ich etwas vom großen Zusammenhang, in den mein kleines Leben eingebettet ist. Damit verschieben sich die Dimensionen, und ich gewinne ein anderes Bild meiner selbst, als wenn ich mich in den engen Wänden meines Egos einschließe.
Manchmal steige ich auf einen Berg, um diese Distanz zu schaffen. Oben angekommen, schaue ich lange in die Weite. Und irgendeinmal geht mein Blick in die Richtung, wo ich meine Stadt vermute. Ich sehe, wie ich mich dort mit vielen scheinbar wichtigen Dingen herumschlage. Ich sehe, wie ich unruhig treibe, wie ich ständig beschäftigt bin und dabei das Gefühl habe, nie genügend Zeit zu haben. Fast tut er mir etwas leid, dieser Mensch, der ich bin, dort in der Ferne. Merkt er denn nicht, dass die Dinge, die ihn besetzt halten, gar nicht so bedeutend sind? Weiß er nicht, wie klein er ist, wie winzig klein? Sieht er nicht, dass er sich viel zu wichtig nimmt?
Auch der Berg stellt mir einige Fragen: Wer bist du, kleiner Mensch, einsam in der Höhe, irgendwo zwischen Himmel und Erde, den unberechenbaren Gewalten der Natur ausgesetzt? Wer bist du in dieser Urlandschaft aus Stein und Fels, die lange vor dir da war und dich noch lange überdauern wird? Und wer bist du mit deinen paar Jahrzehnten in einer Jahrmilliarden alten Evolution?
Ich kenne die Antwort nicht. Ich weiß nur, dass ich ein sehr, sehr winziges Wesen bin in einem Universum, dessen Dimensionen ich nie zu erfassen vermag.
Die Wissenschaft sagt: Ein Mensch besteht vor allem aus Wasser. Wasser heißt die Verbindung von zwei Wasserstoffatomen mit einem Sauerstoffatom. Jedes Atom ist weitgehend leerer Raum. So gesehen bin ich zu einem guten Teil einfach Leere.
Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Denn die Religionen sagen noch etwas anderes: Mensch, so leer und nichtig du auch sein magst - du bist unendlich groß! Du bist kleiner als ein Hirsekorn - und du bist größer als das Himmelsgewölbe (so die indischen Upanischaden).
Ich bin klein, und ich bin groß. Beides. Diese Feststellung mag dem Verstand einige Mühe bereiten. Aber das Herz ahnt, dass die Wahrheit so paradox sein kann. Die Wahrheit liegt nicht in der Mitte zwischen klein und groß. Sie umfasst vielmehr beide Pole: Klein und groß zugleich. Kleingroß oder großklein.
Es ist gut, mich immer wieder daran zu erinnern. Oft nehme ich mich zu wichtig, oft aber mache ich mich auch unnötig klein. Dann, Herr Großklein oder Kleingroß, hilft dir vielleicht jener Trick, den ein alter Rabbi herausgefunden hat, um sein inneres Gleichgewicht zu bewahren. Er steckte in seine beiden Jackentaschen je einen Zettel. Wenn er den Zettel aus der einen Tasche hervorzog, las er: "Du bist Staub und Asche." Und wenn er in die andere Tasche griff: "Deinetwegen hat Gott die Welt erschaffen."
Welch irritierende Sätze! Der erste erschreckt mich. Aber er ist bestimmt wahr. Und der zweite? Ist er auch wahr? Die ganze Welt - meinetwegen? Ich weiß nicht. . .
Und die mächtigen Felsen hoch oben am Berg, die mir diese Frage vielleicht beantworten könnten, sie schweigen. So schaue ich hinunter ins Tal und lasse es gut sein so.
Aus: Lorenz Marti, Wie schnürt ein Mystiker die Schuhe? Die großen Fragen und der tägliche Kleinkram. Herder Verlag, Freiburg Basel Wien 2006.
Wahrheiten außerhalb unseres Blickfeldes
Said
herr zweifle an uns denn wir sind zuversichtlich mit unseren erkenntniszahlen und unseren geräten und haben das zweifeln verlernt laß uns auch wahrheiten glauben schenken die außerhalb unseres blickfeldes wachsen denn jede zahl gebiert irgendwann einen moloch der uns beizeiten auffrißt
Aus: Said, Psalmen. Mit einem Nachwort von Hans Maier. C. H. Beck Verlag, München 2007.
Großer Auflauf
Lothar Zenetti
Gesetzt den Fall, der bekanntlich unsichtbare Gott ließe sich erweichen eines Tages auf das besonders inständige und anhaltende Gebet des Weltkongresses für Überwindung des Atheismus oder dreier unbekannter Wallfahrer hin und zeigte sich vierzig Minuten lang in Frankfurt südlich des Mains den staunenden Augen der Bevölkerung von Sachsenhausen.
Da liefen gewiss die Kinder und Kneipenwirte, die Sparkassenangestellten und die Hausfrauen zusammen und rissen die Augen auf und hielten es nicht für möglich, wenn Seine Herrlichkeit (natürlich nur ein Vorgeschmack) den Platz am Affentor erfüllte und rings die Seitenstraßen.
Ein Menschenauflauf ohnegleichen wär' die Folge und kilometerweit ein wildes Hupkonzert empörter Autofahrer, die ja nie begreifen. Doch sonst was würde sonst sich tun und was sich ändern daraufhin?
Dies frag ich mich und euch, verehrte Atheisten, schreibt mir doch mal, was ihr darüber denkt.
Aus Lothar Zenetti, Sieben Farben hat das Licht. Worte der Zuversicht. Matthias Grünewald-Verlag, Mainz 2008.
Presseklub
Erich Fried
Finde dir Freunde die deine Meinung teilen Es lohnt sich auch wenn du findest daß sie nicht ganz einer Meinung mit dir sind und daß es sich lohnt etwas von deiner Meinung zu opfern dem guten Einvernehmen Freundschaft wird fest und verläßlich durch solches Entgegenkommen Rechthaberei ist weniger mächtig und nützlich als Eintracht Hast du einmal eine Meinung gehabt? Dafür hast du jetzt Einfluß
Aus: Erich Fried, Politische Gedichte. Vietnam, Israel, Deutschland. Verlag Klaus Wagenbach Berlin 2008.
Sel. Peerke Donders
Joseph Tobin
Ein anderer Planet
Letzten Monat habe ich an einem Treffen der Superioren der Redemptoristen in Lateinamerika teilgenommen. Unter den Mitbrüdern war auch Pater Vicente, ein junger Provinzial aus Brasilien, der auch für die Redemptoristen in Surinam zuständig ist. Pater Vicente berichtete auch über die Mitbrüder in diesem Land und sprach dabei mit großem Enthusiasmus über die dortige Mission. Aber: Er betonte auch, wie unterschiedlich dieses Land von Brasilien sei. Einige Male wiederholte er: "Surinam ist ein anderer Planet!"
Wenn jemand aus einem benachbarten Land eine solche Aussage über dieses Land macht, so können wir uns vorstellen, dass Paramaribo und Batavia erst recht Lichtjahre von Tilburg und den Niederlanden entfernt sein müssen. Als vor 167 Jahren der junge Priester mit dem Namen Peter Donders sein Schiff in Paramaribo verließ, war Surinam für den Besucher eine wunderschöne, aber trotzdem fremde ("außerirdische") Landschaft.
Eine einzigartige Berufung
Der Ort Surinam ist nicht der einzige unübliche Teil in der Biographie von Peter Donders. Unter allen Heiligen und Seligen der Redemptoristen, ist Peerke der einzige, der erst einmal von unserer Kongregation abgelehnt worden ist. Nachdem nicht nur die Redemptoristen, sondern auch die Jesuiten und Franziskaner diesem frommen Sohn Tilburgs die Türen zugeschlagen hatten, führte ihn Gott zu der Einsicht erst einmal Diözesan-Priester zu werden und dann als Missionar nach Surinam zu gehen. Vierundzwanzig Jahre später folgten ihm die Redemptoristen in dieses ferne Land und fanden heraus, dass Peerke dort bereits im Geist unseres Gründers - des hl. Alphons - lebte. Nachdem die Redemptoristen ihn schließlich in die Kongregation aufnahmen, drückte Peerke später immer wieder seine von Herzen kommende Dankbarkeit hierfür aus; dabei sind es eigentlich wir, seine Mitbrüder, die auf Grund unserer Kurzsichtigkeit erröten müssten und diesem heiligen Mann mit Bescheidenheit begegnen müssten und mit Herzen, die bereit sind von ihm zu lernen.
Kann dieses ungewöhnliche Leben des Peter Donders, das vor über zwei Jahrhunderten in dieser Stadt begann und dann in den Wäldern, Flüssen und Plantagen Surinams gelebt wurde, uns heute noch etwas lehren? Oder sollten wir ihn und sein Leben eher wie ein schönes, aber außergewöhnliches Stück Kunst betrachten, das zwar bewundert werden will, dem aber nicht nachgeeifert werden sollte?
Ein exotischer Lebensstil?
Die wahrscheinlich grundlegendste Lehre seines Lebens ist, wie er das große Geheimnis verstand, das immer noch Frauen und Männer fasziniert: Die Möglichkeit wahrer Liebe. Peerke wusste, dass er geliebt wurde - vorurteilslos, täglich, und für immer - von dem, der "die Welt so liebte, dass er seinen einzigen Sohn hingab." (Jo 3,16) Für ihn war das Christentum nicht einfach nur ein Auflistung von Glauben oder moralischen Vorschriften; vielmehr ist es für ihn die Begegnung mit der Person Jesus Christ. Er verstand die Lehre Jesus so, dass Gott nicht nur im Gebet begegnet werden kann, sondern auch in der liebenden Hingabe zu anderen. Aus diesem Grund verstand Peerke, dass sein Leben ein Geschenk war, ein Geschenk, das seine volle Entfaltung erst in der ganzen Hingabe zu Gott und seinen Männern und Frauen erreichen sollte.
"Liebe nicht in Reden und Worten, sondern in Wahrhaftigkeit und Wahrheit"
Menschen werden niemals müde von der Liebe zu sprechen. Es ist nicht genug ins Kino zu gehen, sich eine Oper anzuhören oder große Literatur zu lesen, um zu verstehen, wie die Liebe das menschliche Wesen immer noch fasziniert. Das Leben des Seligen Peter zeigt uns, dass wirkliche Liebe nicht einfach diskutiert oder beobachtet werden kann; sie muss letztlich ganz direkt gelebt werden in den Entscheidungen und Gesten gegenüber anderen. Genauso ist es mit der Aufforderung des Apostels Johannes, die wir am Ende der ersten Lesung gehört haben: "Wir wollen nicht mit Wort und Zunge lieben, sondern in Tat und Wahrheit." (1 Jo 3, 18).
Peter Donders theoretisierte nicht über Liebe. Es scheint, als habe er nur zweiundfünfzig Briefe während seiner fünfundvierzig-jährigen Missionsarbeit in Surinam geschrieben. Peerke war ein Mann des Handelns und sein Verständnis von Liebe drückt sich vor allem in seinen Handlungen und Taten aus und nicht in hochfliegenden Worten oder komplizierten Theorien. Wir sind mit den Gemälden und Abbildungen vertraut, die versuchen die Konkretheit seiner Liebe einzufangen. Anschaulich wird Peerke dargestellt, wie er die Wunden der Lepra- Kranken verbindet oder geduldig die Einheimischen Surinams instruiert. Soweit ich weiß gibt es leider keine Bilder, die ihn bei der Ausführung anderer Ausdruckformen seiner Menschenliebe zeigen. Ich meine damit seine Zigarren und sein Akkordeonspiel. . .
Respekt
Als ich das letzte Mal die frühere Lepra Kolonie in Batavia besucht habe, zeigte einer der Mitbrüder auf einen isolierten Außenbereich des Lagers. Dort, so erklärte er, war der Ort an dem Peter rauchte. Warum er nicht in Anwesenheit der Kranken rauchte? - Während die Aufseher ständig in Anwesenheit der Kranken rauchten, um den Gestank der Kranken zu überdecken, hat Peter dies niemals getan, einfach als Zeichen des Respekts gegenüber seinen leidenden Brüdern und Schwerstern. Für ihn waren die Erkrankten Kinder Gottes, Brüder und Schwester in Jesus Christus und nicht Klienten, Teile einer Statistik oder einfach "Seelen die es zu retten galt." Seine Liebe ihnen gegenüber war respektvoll.
Kreativität
Als Peter fast 60 Jahre alt war begann er ein Apostolat zwischen den Einheimischen Surinams. Er erkannte schnell, dass die pastoralen Methoden, die in der Stadt Paramaribo oder der Lepra-Station in Batavia genutzt hatten, bei der einheimischen Bevölkerung nicht funktionieren würden. Daher suchte er nach neuen Wegen das Evangelium zu verkünden. Er fand heraus, dass Musik viele Leute anzog und er lernte das Akkordeon zu spielen. Seine Liebe zu ihnen war kreativ. Als er starb klagten die Einheimischen: "Wer wird uns jetzt das Singen beibringen?"
Die Botschaft Peerkes
Kehren wir noch einmal zu der Frage zurück, die ich vorhin in meiner Reflektion gestellt habe. Kann Peters Leben selbst heute noch bedeutsam für uns sein. Ich glaube, dass wir eine bedeutende Wandlung in seinem 77jährigen Leben entdecken können. In seinen pastoralen Arbeiten für die Armen und Verstoßenen war er zuerst von einem Gefühl motiviert worden, einen Auftrag zu haben. Schritt für Schritt fand er große Befriedigung in seinem Dienst an den Armen. Schließlich aber verstand er, dass er einer von ihnen war, ein anderer armer Mann, der zusammen mit seinen geringsten Brüdern und Schwestern unendlich von Gott geliebt war.
Diese Solidarität wurde durch die Art, wie er die zwei Gebote lebte, hervorgerufen: "An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz samt den Propheten." (Mt 22,40) Da Peerke Gott aus vollem Herzen, aus tiefster Seele und seinem ganzen Verstand liebte, fand er heraus, dass er seinen Nächsten wie sich selbst lieben muss. Seine Liebe zu Gott war einfach seine Antwort auf die Liebe, die er von Gott zuerst bekommen hatte und diese Liebe führte ihn schließlich zu der Überzeugung, dass Gott nicht nur ihn, sondern auch andere auf genau diese Art lieben müsse. Nach einem solch praktisch- gestalteten Leben fand er die tiefe Verbundenheit zu der jedes menschliche Wesen berufen ist.
Für uns, seine Mitbrüder der Kongregation des heiligsten Erlösers hat Peerke eine ganz besondere Botschaft. Können Sie sich ihn vor Ihrem geistigen Auge vorstellen, wie er an uns herantritt: lachend, mit einer zerschlissenen Klerik gekleidet und mit seinem Akkordeon über der Schulter hängend? Natürlich raucht er nicht, um unsere Gefühle nicht zu verletzen. Was sagt er zu uns? Seine Botschaft zu uns, seinen Brüdern ist: "Wenn ihr glücklich sein wollt, bleibt nahe bei Gott in dankbaren Gebeten, hört den Ruf der Armen und Verstoßenen, geht zu ihnen und die Liebe Jesus wird euch vor Freude singen lassen".
P. General Joe Tobin C.Ss.R anlässlich der Zweihundertjahrfeier der Geburt des sel. Peter Donders C.S.s.R. in Tilburg (NL) am 24. Juni 2009.
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