Die Erzählung von der Auferweckung des Lazarus nimmt Ostern vorweg: Der Glauben an Jesus, der "die Auferstehung und das Leben ist", beseitigt nicht das Sterben, nimmt jedoch dem Tod des Stachel.
Lazarus
Lazarus, komm heraus! Hören Sie es auch? Jesus sagt es mit lauter Stimme! Sagen Sie nicht, Sie hätten es erwartet. So laut ist es, dass es nicht zu überhören ist. Ich bleibe wie angewurzelt stehen.
Lazarus ist gestorben. Vor vier Tagen wurde er begraben. Jetzt ist Jesus an seinem Grab. Ob es etwas genutzt hätte, wenn er früher gekommen wäre? Der Evangelist Johannes erzählt davon. Aber er erzählt es auch, um das, was jetzt geschieht, noch größer, überwältigender und schöner zu zeigen als wir es uns vorstellen könnten. Schließlich ist es – der vierte Tag! Schon der vierte Tag! - Lazarus, komm heraus!
Ich gebe zu, dass mir diese Geschichte unheimlich ist. Wenn es doch so ginge! Die an Krebs gestorbene Mutter kleiner Kinder könnte in ihre Familie zurückkehren! Der Verkehrsunfall mit tödlichem Ausgang könnte rückgängig gemacht werden! Die von Granaten zerfetzten Menschen könnten in ihre Wohnungen zurück und einfach nur leben. Die im Mittelmeer ertrunkenen Flüchtlinge könnten eine neue Heimat finden. Das 12-jährige Mädchen, dass von zwei Gleichaltrigen erstochen wurde, könnte wieder zur Schule gehen. Wie viele Geschichten könnten neu geschrieben werden!
Wenn es doch jemandem gäbe, der sagte: Komm heraus!
Wenn es doch jemandem gäbe…
Ich spüre den Blick des Evangelisten auf meinem Gesicht. Lange sagen wir nichts. Doch dann bricht es aus mir heraus: Eine Totenauferweckung macht dem Tod den Garaus nicht. Viele Gedanken gehen mir durch den Kopf. Alles durcheinander. Hin- und hergerissen zwischen Enttäuschung und Wut, Trauer und Sehnsucht.
Wenn es doch jemandem gäbe…
Lazarus, komm heraus!
Freundschaft
Schauen wir uns die Geschichte dann doch noch ein wenig genauer an, haben wir ein tolles Panorama vor uns. Tatsächlich ist die Geschichte richtig lang, eine der längsten im Evangelium! Johannes hat sich da viel Mühe gegeben, alles so zu erzählen, dass wir uns an keiner Stelle ausgeschlossen fühlen.
Es ist eine Familiengeschichte. Mit Erinnerungen, Gesprächsfetzen, und Erwartungen. Ich sehe die beiden Schwestern. Ich sehe Jesus. Endlich ist er auch da. Einen Wundertäter im Freundeskreis zu haben, ist mehr als verführerisch! Kann, soll nicht alles so bleiben wie es ist? Kann es nicht wieder so werden? Eine alte Sehnsucht. Ein Traum. Nicht älter werden. Nicht krank. Nicht hilflos. Kein Tod.
Wenn es doch jemandem gäbe, der sagte: Bleib!
Lazarus ist gestorben. Woran er erkrankt war, wird nicht erzählt. Auch nicht, wie alt er geworden war. Wenn wir das wüssten – was wüssten wir dann? Eigentlich - nichts. Oder doch? Wir fragen doch immer nach Gründen und Alter, wenn ein Mensch stirbt. Als ob sich der Tod rechtfertigen müsste – und wir ihn auch. Lazarus ist krank geworden, dann gestorben. Ich sehe die Traueranzeige vor mir: „nach kurzer Krankheit“ - „nach langer schwerer Krankheit“ – „plötzlich und unerwartet“ – „heimtückisch“ – „aus dem Leben gerissen“... In kurzen Formulierungen werden schreckliche Erfahrungen in Worte gebannt und in Floskeln versteckt. Mir fällt auch nichts Besseres ein. Ihnen?
Aber dann ist da das Gespräch, das die Schwestern mit Jesus führen. Haben Sie gemerkt? Wir werden erst zu Beobachtern, dann zu Zeugen, schließlich sogar Beteiligte. Auffälligerweise, wenn auch ein wenig versteckt, geht es dann gar nicht mehr um Lazarus, sondern um – uns.
Jesus ist die Auferstehung und das Leben. Für uns.
Wer an ihn glaubt, der wird leben! Mit uns.
Um dieses Jesus-Wort gruppiert sich alles. Was vorher war – was noch kommt. Was gesagt werden konnte – was sich Worten entzieht. Eine große Gewissheit bahnt sich einen Weg. Die Zweifel verstummen.
Wenn es doch jemandem gäbe, der sagte: Glaube doch!
Glauben
So unheimlich die Geschichte ist, sie fängt langsam zu sprechen an. Es geht doch tatsächlich nicht um eine Totenauferweckung, die alte Lebensverhältnisse, alte Freundschaften, alte Vertrautheiten zurückbringt. Die Auferweckung des Lazarus wird zu einem Zeichen, dass dem Tod überhaupt das letzte Wort genommen wird. Es ist ein Zwischenruf. Mitten im Evangelium. Mitten im Leben. Eine Lebensanasage! Für alle, für immer. Das Geheimnis der Totenauferweckung ist – Glauben. Glauben an Jesus. Er trägt den Namen „Auferstehung“, den Namen „Leben“. Wer ihm vertraut, entdeckt eine Liebe, die es buchstäblich mit Tod und Teufel aufnimmt. Aufnehmen kann. Es gibt nichts anderes, was dies bewerkstelligen, keinen anderen, der das gewähren könnte.
Das wird in der Freundschaft Jesu mit Lazarus und seinen beiden Schwestern auch liebevoll nacherzählt. Was nicht erzählt wird, ist, dass Lazarus nicht wieder gestorben sei. Er ist gestorben, die beiden Schwestern auch. Ihre Spuren haben sich verloren – wie die vielen anderen. Doch nein, sie sind gerade lebendig unter uns! Eine Geschichte auf Zeit. Fein abgemessen. Geschenkte Zeit. Glück…
Doch was zu erzählen ist, ist, dass im Glauben ein Leben sichtbar wird, das nicht von der Zeit, auch nicht von der Lebenszeit, beschnitten werden kann. Eine Liebe, die sich entfaltet, ohne an Grenzen zu stoßen. Ein Glauben, der Leben füllt. Ein Glauben, der Leben schenkt.
Ob Lazarus ein gläubiger Mensch war? Maria? Marta? Im Evangelium wird erzählt, dass Marta zu Jesus sagte:
„Ich weiß, dass er auferstehen wird
bei der Auferstehung am Jüngsten Tag.“
Ein Gesprächsfetzen. Er blinkt auf und huscht dann wieder davon. Eine große Hoffnung: es gibt einen letzten Tag, einen jüngsten – und die Welt wird heil. Ab jetzt kann es nichts mehr geben, was stirbt. Egal, wie der Tod daher kommt. Grauenvoll, barmherzig oder unschuldig.
Aber Jesus lenkt den Blick auf sich: Ich bin die Auferstehung und das Leben! Was mit ferner Zukunft verbunden ist, geschieht in der Gegenwart. Es geschieht in der Begegnung, in der Beziehung zu Jesus, in dem Vertrauen zu ihm. Das schließt die Vollendung der Welt, auf die wir warten, nicht aus, lässt sie aber jetzt schon aufleuchten. Eine Spur, die durch das Dunkel geleitet, ein Lichtblick, der den Horizont öffnet.
Auferstehung und Leben - Liebe, die uns von Anfang an trägt und umfängt.
Was vergangen ist, blüht neu,
was uns gegenwärtig zu schaffen macht, vergeht,
was uns heilt, wird unsere Zukunft.
Der Tod mag die Zeit zwar gliedern – die Auferstehung verwandelt sie!
Ostern
Wenn wir Jesu Wort von Auferstehung und Leben hören, fällt uns unwillkürlich seine Auferstehung ein. Es könnte uns wie Schuppen von den Augen fallen, dass diese Geschichte von Lazarus und seinen Schwestern eine Ostergeschichte ist, eine vorgezogene! Ein Vorgeschmack!
Jetzt stehen wir dafür ein,
dass Menschen leben, aufleben können,
dass Hoffnungen nicht ins Leere gehen,
dass Liebe stärker ist als der Tod.
Jesus sagt:
"Nehmt den Stein weg! Nehmt ihn endlich weg!!!
Lazarus, komm heraus!"
Hören Sie es auch? Jesus sagt es mit lauter Stimme! So laut ist es, dass es nicht zu überhören ist. Jetzt muss sogar der Tod gehorchen.
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.
Martin Stewen (2005)
Alfons Jestl (2008)
Lorenz Walter Voith (2002)