Erfüllte Erwartung
Ein etwa vierjähriger Bub wartet schon seit Tagen auf das Kommen des Christkinds und strapaziert die Erwachsenen nur mehr mit einer Frage: "Wann kommt endlich das Christkind?" Eines Tages bekommt der Kleine die ersehnte Antwort: "Heute kommt es!" Ist die Zeit schon vorher langsam vergangen, so vergeht sie jetzt noch langsamer. Das Spielen macht keinen Spaß mehr, nicht brav zu sein, kommt als lustige Alternative schon gar nicht in Frage; denn dies könnte Auswirkungen auf den Umfang der Geschenke haben. Was tun, um sich die Zeit zu vertreiben? Schließlich kommt dem Kleinen die zündende Idee und er setzt sich ans Küchenfenster, um die Ankunft des Christkinds zu beobachten. Natürlich tut sich, außer dass es allmählich dunkler wird, nichts. Plötzlich ist ein lauter Aufschrei zu hören. "Mama, Mama, ich habe das Christkind gesehen!"
Frust und Enttäuschung
Der kleine Bub hat an diesem Heiligen Abend etwas erlebt, wovon andere nur träumen können. Sein sehnsüchtiges Warten hat sich gelohnt. Wie oft warten wir auf etwas, das überhaupt nicht oder ganz anders eintrifft? So mutiert für viele Weihnachten vom Fest der Freude und des Friedens zum Fest des Frustes und der Enttäuschung. Die an das Weihnachtsfest geknüpften Erwartungen gehen nicht in Erfüllung und die daraus resultierende Enttäuschung kann groß sein. Das scheint beinahe eine Grunderfahrung zu sein.
Vor 2000 Jahren war dies nicht viel anders. So erwarteten damals vor allem die zelotischen Juden einen Messias, der durch seinen kriegerisch, politischen Anspruch und durch sein dementsprechendes Auftreten eine neue Ära herbeiführen sollte. Obwohl der Messias kam, blieb ihre Erwartung ohne Erfüllung. In Jesus von Nazareth vermöchten sie ihren ersehnten Retter nicht zu erkennen. Denn er kam nicht mit einem großen, zur Schlacht bereiten Heer, sondern schutzlos und arm in der Gestalt eines Babies.
Ganz anders erging es den Hirten. Sie sahen das Kind in der Krippe, erkannten in ihm den Messias und priesen gemeinsam mit den Engeln Gott für dieses Wunder.
Dass Gott der ganz andere ist und mit unserem Vorstellungsvermögen nicht zu fassen ist, tritt zu Weihnachten deutlich zu Tage. Die klaren, aber zu genau umrissenen und deshalb einschränkenden Messiasvorstellungen der Zeloten verunmöglichten, dass sie in der Geburt des Kindes von Betlehem die Erfüllung ihrer Sehnsucht erfahren konnten.
Hinderlicher Ballast
Welch unnötiger Ballast hindert uns daran, das Eigentliche des Weihnachtsfestes zu erkennen? Erst wenn der Ballast des perfekt gestalteten Festes, des harmonischen Familientreffens und des überbordenden Gabentisches an Bedeutung verliert, kann das Eigentliche zur Geltung kommen.
Im Verhalten des kleinen Buben wird etwas von einer Grundhaltung deutlich, die auf das Wesentliche und nicht auf Nebensächliches abzielt. Er macht sich keine großen Gedanken, was genau zu Weihnachten zu passieren hat oder wie der Ablauf des Festes zu sein hat. All das ist ihm unwichtig. Er möchte nur, dass das Christkind kommt.
Das Christkind will auch bei uns ankommen, in unseren Herzen. Nur sind diese meist mit allen möglichen Dingen vollgestopft, von denen wir meinen, sie könnten dazu beitragen, unsere Ursehnsucht nach Glück zu stillen.
Jesus bringt Heil
Was vermag mich wirklich glücklich zu machen? Im Judentum und im Christentum gibt es darauf dieselbe Antwort, nämlich der Messias. Die Juden warten noch auf sein Kommen, für die Christen ist er in Jesus Christus bereits gekommen. Jesus ist der ersehnte Heilsbringer. Mit seiner Geburt ist ein neues Zeitalter angebrochen, das in seiner noch ausstehenden zweiten Wiederkunft seine endgültige Erfüllung finden wird.
Gerade zu Weihnachten stellt sich daher die Fragen, was hat Jesu Kommen mit mir ganz persönlich zu tun und wie verhalte ich mich dazu. Erkenne ich im Kind in der Krippe den ersehnten Heiland, der mir Orientierung und Sinn zu geben vermag, dem ich vertrauen kann und auf den ich meine Hoffnung setzte? Das Wesentliche an Weihnachten ist, dass Gott Mensch und so der Mensch heil wird. Heil zu sein ist eine Ursehnsucht des Menschen. Heil zu sein ist mehr als gesund zu sein und umfasst den Menschen in seiner körperlichen, geistigen und seelischen Dimension. Deshalb schließen Beeinträchtigungen verschiedener Art das Heilsein nicht aus.
Plötzlich ist die Botschaft von der Geburt Christi keine abstrakte Größe mehr; sie fordert mich zur Stellungnahme heraus. Glaube ich, dass Jesu auch an mir so heilend wirkt wie an den Gelähmten, Ausgestoßenen, Verunsicherten und Sündern seiner Zeit. Wenn meine Antwort ein Ja ist, weil ich glaube, dass Jesus allein meine Sehnsucht nach heil sein stillen kann, bekommt das Weihnachtsfest seinen eigentlichen Charakter zurück und ich kann gleich den Engeln den Hymnus anstimmen: "Verherrlicht ist Gott in der Höhe!"