Eine traumatische Erfahrung
Vielleicht ist Ihnen das auch schon einmal passiert. Sie sind draußen in der Natur und merken deren Schönheit nicht, hören das Gezwitscher der Vögel nicht, riechen den Duft der Blumen nicht, spüren die Sonnenstrahlen in ihrem Gesicht nicht. Sie haben keinen Blick für all diese schönen Dinge. Mit ihren Gedanken sind Sie ganz woanders und das macht Sie blind für alles andere um sie herum. Die Wahrnehmung der Außenwelt kann besonders stark beeinträchtigt werden, wenn ein traumatisches Ereignis zu verarbeiten ist, hervorgerufen durch eine Naturkatastrophe, einen Umfall oder einen Todesfall.
Eine solch traumatische Erfahrung mussten auch die Jünger von Emmaus machen. Der gewaltsame Tod Jesu hat sie überwältigt. Ihre Hoffnungen und Zukunftspläne sind zerplatzt wie Seifenblasen; nichts von ihnen ist übrig geblieben. Das einzige, was geblieben ist, ist die Traurigkeit über diesen Verlust und die sinnlose Leere, die ihr Inneres erfüllt und sie aus Jerusalem forttreibt.
Als sie so miteinander reden, stößt beinahe zufällig Jesus zu ihnen. Aber sie erkennen ihn nicht. Lukas sagt, sie waren wie mit Blindheit geschlagen. Sie sahen nur noch sich selbst und ihr Leid. Jesus kommt mit den beiden ins Gespräch und sie können von dem Schrecklichen, das ihnen widerfahren ist, sprechen, aber auch von dem, was Jesus für sie bedeutet hat. Jesus lässt sie einfach erzählen und hört ihnen zu. Das tut gut! Erst nachdem sich die Jünger ausgesprochen haben, sich sozusagen die Last von der Seele geredet haben, bringt sich Jesus wieder ein. Er erklärt ihnen, dass alles, was sich in Jerusalem ereignet hat, bereits in der Heiligen Schrift angedeutet ist und auf den Messias verweist. Wer in das Mysterium des Lebens, Sterbens und Auferstehens Jesu eindringen möchte, muss sich mit der Heiligen Schrift beschäftigen. Die Heilige Schrift ist der Schlüssel zum tieferen Verständnis Jesu.
Im Innersten berührt
Als die zwei Jünger ihr Ziel erreicht haben, bitten sie Jesus, er möge bei ihnen bleiben. Sie möchten Jesus nicht nur deshalb zur Einkehr bewegen, weil ein Weitergehen nach Einbruch des Abends gefährlich sein könnte, sondern auch deshalb, weil sie während ihres Unterwegsseins mit Jesus gespürt haben, dass er ihr Innerstes berührt hat. Jesus hat ihr Herz brennend gemacht. Da die Worte Jesu den beiden gut getan haben, möchten sie ihn noch länger in ihrer Nähe wissen. Sie beginnen langsam zu verstehen, warum Jesus gekreuzigt worden ist und sterben musste. All das Schreckliche scheint nicht nur mehr sinnlos zu sein, sondern wird mit wachsendem Glauben begreifbarer und annehmbarer. Die Blindheit der Jünger beginnt sich allmählich aufzulösen. Der entscheidende Durchbruch ereignet sich dann, als Jesus das Brot bricht und es an ihnen austeilt. Da gehen den Jüngern die Augen auf und sie erkennen Jesus als den auferstandenen Messias.
Ein Glaubensweg braucht Zeit
Manchmal braucht es eben Zeit, bis man den richtigen Durchblick bekommt. Das gilt nicht nur für die höhere Mathematik, die Physik und die Chemie, sondern auch für den Glauben. Entscheidend ist, dass man sich mit der Materie - sei es mit der Materie der Physik oder des Glaubens - auseinander setzt, sich auf das Unbegreifliche einlässt und es zu durchdringen versucht. Trotz ihrer blindmachenden Trauer haben sich die Jünger auf Jesus, den Auferstandenen, eingelassen, haben seinen Worten gelauscht und sie aufgenommen. Ihr Weg von Jerusalem nach Emmaus war nicht nur ein Fußweg von 11 km, sondern auch ein Glaubensweg, ein Glaubensweg zu einer erneuerten und vertieften Beziehung zu Jesus.
Wie die Jünger ihren Glaubensweg zu gehen hatten, so haben auch wir unseren Glaubensweg zu gehen, unseren Glaubensweg, der uns Jesus und seiner befreienden Botschaft immer mehr näher bringt. Was Auferstehung für mein persönliches Leben bedeutet, kann ich nur in der Begegnung und im Unterwegssein mit Jesus entdecken. Wenn ich mich seinen Worten öffne, auf ihn höre, wird auch er mir die Augen meines Herzen öffnen und ich werde nicht nur ansatzweise verstehen, sondern glauben.
Begegnung im Wort und im Sakrament
Der Evangelist Lukas hat die Perikope über die Jünger von Emmaus so komponiert, dass die beiden Brennpunkte einer jeden Eucharistiefeier deutlich erkennbar werden, nämlich die Verkündigung des Wortes Gottes und das Austeilen des Leibes Christi. Wollte uns Lukas damit etwa sagen, dass die Eucharistiefeier uns Jesus näher bringt, dass uns in der Eucharistiefeier die Augen für Verständnis des Göttlichen geöffnet werden?
Nachdem die beiden Jünger einen entscheidenden Abschnitt ihres Glaubenswegs mit Jesus gemeinsam gegangen sind, sind sie befähigt, die Botschaft von der Auferstehung Jesu weiterzutragen. Trotz der bereits vorgerückten Tageszeit machen sie sich wieder auf und gehen nach Jerusalem zurück. Sie sind um die Gewissheit reicher, Jesus ist nicht tot, er lebt und diese Gewissheit möchten sie weitersagen.
Auch ich wünsche uns die Erfahrung der Gewissheit, dass Jesus lebt und möchte, dass auch wir auf ewig leben. Durch seinen Tod und seine Auferstehung hat er den ersten Schritt gemacht, machen wir den nächsten Schritt auf unserem Glaubensweg!