Sind 153 Fische viele oder nur wenige? Es ist eine Zahl, die Fülle ausdrückt. In der Begegnung der Jünger mit Jesus am See von Tiberias berühren sich das irdische und das Himmlische. Ostern in dichter Symbolik ausgedrückt.
153 große Fische
153 Fische? 153? Da hat aber einer nachgezählt! Mein erster Gedanke: huch, wie wenig! 153 ist doch gar nichts. Ich bin größere Zahlen gewöhnt. Aber die Genauigkeit irritiert mich. Warum erzählt der Evangelist so etwas überhaupt? Ach so. Damals waren 153 Fischarten bekannt – also die Fülle der Fischwelt ist in dem einen Netz! Es ist auch nicht gesagt, dass von jedem Fisch ein Exemplar gefangen worden sei. Auf einmal wird 153 riesengroß. So groß, dass es einem Wunder gleich kommt, wenn das Netz – ausnahmsweise – nicht reißt. 153 wird zu einer Traumzahl. So etwas hast du noch nicht gesehen!
Ostern ist vorbei. Aber die Erinnerung – und die Aufregung – sind noch ganz dicht, ganz nah. Ein paar Tage sind erst vergangen. Die Jünger Jesu - sieben werden namentlich genannt – haben sich ihren alten Job wieder gesucht – Fischer - und sind in ihr altes Leben zurückgekehrt. Am See Tiberias. Sie machen jetzt da weiter, wo sie einmal aufgehört haben. Bevor Jesus sie in seine Nachfolge berief. So lange ist das noch gar nicht her. Jetzt sehen wir sie am See wieder. In der fraglichen Nacht haben sie nichts gefangen. Ihre Netze sind leer. Als die Sonne aufgeht, steht Jesus am Ufer. Meine Kinder, sagt er, habt ihr nichts zu essen? Meine Kinder! Eigentlich hätten sie hellhörig werden können. Aber es ist, als ob sie nichts mehr erwarten. Ihr Weg mit Jesus – eine Episode. So schnell vergangen wie gekommen. Jesus, unerkannt, schickt sie auf den See zurück. Wir sehen dann Petrus mit dem Netz in der Hand: 153 Fische! große! Der Evangelist fügt das mit Nachdruck hinzu. große!
Die Fülle des Lebens
Die Zahl 153 steht für die Fülle des Lebens. Ein Fisch reicht für den Tag, 153 für das ganze Leben. Jesus ist wieder der Gastgeber. Das Kohlenfeuer hat er schon angemacht. Er wartet auf sie. Dann sehen wir eine Fülle, die sich jeder Berechnung und Bewertung entzieht. Staunen ist angesagt, nicht rechnen!
Ich stelle mir die Situation vor. Petrus hat das Netz in der Hand. Petrus, der schon einmal als Menschenfischer berufen war – und in einer traurigen Nacht, auch bei einem Kohlefeuer, den weggeführten und angeklagten Jesus verleugnet. Einfach fallen lässt. Nein, ich kenne diesen Menschen nicht. Hat er gesagt. Dabei hat er so große und reiche Erfahrungen mit ihm gemacht. Einer Magd ins Angesicht geschleudert, ohne Not und ohne Gefahr, kräht am Ende der Hahn dreimal. Petrus ist ein Verräter!
Die 153 Fische – der Artenreichtum von damals, bescheiden aufgelistet – stehen für die Lebensfülle, den Reichtum und das Glück, das dem Petrus zuteil wird. Jeder Fisch erzählt von der österlichen Gewissheit, dass alle Menschen von Gott geliebt sind, dass verlorene Menschen gefunden werden und dass die Gemeinde, die Kirche Christi, sich einem Wunder verdankt. Sind wir nicht alle auch oft zweifelnd, angefochten und schuldig? Petrus, der mit seiner Leidenschaft so tief gefallen war, darf das Netz ziehen mit dem großen Reichtum, der ebenso unerwartet wie ungewöhnlich üppig auf einmal da ist. An jenem Morgen, als Jesus seine Jünger besucht. An ihrem alten Arbeitsplatz. In ihrer alten Heimat.
Wir kennen die menschliche Erfahrung, alles gegeben zu haben – und doch erfolglos zu sein. Wir kennen die menschliche Erfahrung, uns redlich zu mühen – und doch nicht alles in der Hand zu haben.
Ich gehe fischen, sagte Petrus. Seine Kameraden folgen ihm. Aber in dieser Nacht arbeiten sie umsonst. Doch am Morgen, in der Frühe, erleben sie Ostern. Die Geschichte eines neuen Anfangs. Der Versager Petrus wird sogar damit betraut, in den Fußstapfen Jesu die Kirche zu leiten. Weide meine Schafe! Meine Schafe! Menschen, die zu mir gehören! sagt Jesus. Mit einem Verlierer ins Rennen zu gehen, zeugt von einem großen Mut – und einem ungeheuren Vertrauen. Ostern ist nichts für einen Tag. Auch nichts für eine Nacht. Das ganze Leben wird in eine Ostererfahrung verwandelt.
Der neue Anfang ist der alte
Ich sehe vieles verloren gehen. Es sind nicht nur Traditionen, die ihren Wert verlieren – es sind Menschen, die sich von uns in der Kirche abwenden. Die nichts mehr von uns erwarten, mit uns auch keine Hoffnungen mehr verbinden. Allenfalls alte Geschichten, von denen sie sich befreien wollen. Dann bekommt die Zahl 153 sogar die Symbolik des Mickrigen und Vergänglichen. Nur 153! Nur noch 153! Was ist, wenn die Zahlenreihe weiter nach unten geht? Manchmal bin ich sogar im Bann dieses Gedankens. Ich fange an zu zählen, statistisches Material zu sammeln und mich, uns, mit anderen zu vergleichen. Zahlen riechen nach Objektivität. Manchmal ist es so, als würden wir sie in Stein meißeln und aus ihrem Bann nicht mehr herauskommen. Bis mir aufgeht, dass es Gedanken des Todes sind. Kleinmütig, hoffnungslos, verzagt. Und keineswegs objektiv!
Zahlenspiele sind in unseren Tagen gang und gäbe. Über Flüchtlinge wird in Kontingenten verhandelt. Sind 153 viel? wenig? Klar doch, die Größenordnungen sind schon sehr anders. Die Angst davor lassen wir uns oft auch noch einreden. Aber die Zahl 153 hat ihren eigenen Charme: Sie hört sich überschaubar an und lädt zum Nachzählen ein, weiß aber von einer geschenkten Fülle zu erzählen, die in Zahlen nicht mehr dargestellt werden kann. Wir können heute unsere Erfahrungen mit Menschen in der Zahl 153 ausdrücken! Und dann an den wunderbaren Fischzug denken, den Jesus seinen Jüngern bereitet? Wunder, österliche besonders, brauchen Augen, sie auch zu sehen. Objektiv ist hier nichts. Die Liebe hat ihren eigenen Blick.
Ich bin dankbar, im Evangelium die Jünger zu sehen, wie sie, aufgeschreckt und verunsichert, Zuflucht nehmen in ihrer alten und vertrauten Welt. Das ist der See Tiberias.
Dankbar bin ich, dass der Auferstandene sie sucht, sie aufsucht. Sie haben ihn ja alle verlassen. Sie haben sich alle aus dem Staub gemacht. Sie haben ihn in ihre Erinnerungen eingeschlossen. Doch: ihnen wird ein neuer Anfang geschenkt! Es ist, als ob sie auch zu den 153 Fischen gehören...
Blick in den Himmel
Währenddessen verwandelt sich der Himmel in eine Arena: Engel, nicht zu zählen, zehntausendmal zehntausend und tausendmal tausend, rufen mit lauter Stimme: „Würdig ist das Lamm, das geschlachtet wurde, Macht zu empfangen, Reichtum und Weisheit, Kraft und Ehre, Herrlichkeit und Lob.“ - Alle Geschöpfe – im Himmel und auf der Erde, unter der Erde und auf dem Meer, alles, was in der Welt ist – stimmen in den Lobpreis ein: Lob und Ehre und Herrlichkeit und Kraft in alle Ewigkeit! Die Worte überschlagen sich, sie können nicht fassen, was sie sagen und besingen. Es ist ein österlicher Hymnus! Der österliche Hymnus! Aber ist das ein himmlischer Hymnus, wenn die Fische mitsingen? Ein irdischer Hymnus, wenn die Engel tönen? Diese Szene lässt sich nicht mehr in unsere bekannten Schemata einordnen. Oben und Unten, Groß und Klein. Größer als und kleiner als...
Im Aachener Dom ist die Szene dargestellt. In der Kuppel sehen wir die 24 Ältesten, die ihre Kronen abnehmen und Christus huldigen. Er hat das aufgeschlagene Buch des Lebens in der Hand und zeigt es. Offen und öffentlich. Es ist eine geniale Szene: Der See Tiberias, die Jünger Jesu, die 153 Fische, sie werden im Himmel gespiegelt. Unsere bedrängenden Erfahrungen und Ängste, sie werden im Himmel gespiegelt. Die Fremden, die zu uns kommen, sie werden im Himmel gespiegelt. Die Engel haben die richtigen Melodien für sie, und selbst die Toten in der Erde stimmen das Lied der Hoffnung an. Verkehrte Welt? Verkehrte Welt! Sie muss verkehrt werden!
Ich höre Johannes Petrus zurufen: „Es ist der Herr!“. Ich spüre die Befangenheit. Ich rieche das Kohlenfeuer am Ufer, den Fisch, das Brot und ich höre Jesu Wort: Kommt her und esst. Nein, im Leben wird nicht immer alles gut, aber diese Geschichte ist eine Offenbarung: der Auferstandene legt die Welt behutsam in ein Netz. Offen genug, um nicht einzuschließen, fest genug, um zu halten und zu bergen. 153 Fische! Die Fülle des Lebens. Und wir feiern das, immer noch und immer wieder. Die Eucharistie ist nichts für Erbsenzähler. Sursum corda! Empor die Herzen!
Und der Friede Gottes,
der höher ist als alle Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne,
in Christus Jesus,
unserem Herrn.
Manfred Wussow (2007)
Alfons Jestl (1998)