Im Johannesevangelium stehen Pilatus und Jesus einander gegenüber: 2 Welten, 2 Welt-anschauungen. Beide reichen bis in unsere Zeit herein. In welche Welt stellen wir uns als Christen?
Also doch…
Also: Bist du doch ein König? Eine bizarre Situation. Jesus steht vor Pilatus. Jesus ist angeklagt. Jetzt steht er vor Pilatus, Statthalter Roms, Herr Jerusalems und Richter über Leben und Tod. Worüber reden die beiden? Gibt es hier überhaupt noch etwas zu reden? Ist nicht schon alles entschieden? Also: Bist du nun ein König oder nicht? Die Anklage lautet, Jesus habe sich als König der Juden ausgegeben, sich einen Thron angemaßt und als Rebell gegen Gott und Menschen agiert.
Max Beckmann hat 1946 die beiden gemalt: Jesus und Pilatus. Nur die Köpfe. Jesus mit der Dornenkrone, schmerzhafte Gesichtszüge, den Mund aber leicht geöffnet - Pilatus mit vorgeschobenem Kinn, bullig, den Mund zusammengekniffen. Stehen sich so Macht und Ohnmacht gegenüber? Gewalt und Schweigen? Beckmann hat die Szene so gemalt, dass wir Jesus ins Gesicht sehen können, von Pilatus sehen wir nur das Profil, von der Seite schaut er. Pilatus muss Jesus sehen. Pilatus sieht Jesus. Dann, ohne einen Arm zu sehen, sehen wir eine Hand. Eine linke Hand. Sie ruht auf der Brust Jesu. Von wem die Hand ist? Sie muss von Pilatus sein. Tuchfühling? Abwehr? Die Hand schweigt.
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Pilatus fragt immer wieder. Und Jesus entfaltet vor ihm, mit welchem König er es jetzt zu tun hat. Nicht von dieser Welt! Von Gott! Ohne jede Gewalt!
„Ich bin ein König.
Ich bin dazu geboren
und dazu in die Welt gekommen,
dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege.“
Nur: Was soll, was kann Pilatus jetzt sagen? Einen solchen König kennt er nicht. Alles, was er weiß – oder zu wissen glaubt – von Königen, von Macht, auch von Wahrheit, fällt in sich zusammen. „Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme“, sagt Jesus. Auf meine Stimme! Selbst wenn Pilatus ein Machtwort spricht – er hat nichts mehr zu sagen. Seine Wahrheit ist Lüge, sein Richterspruch ungerecht, seine Herrschaft hohl.
Aus dieser Nummer kommt Pilatus nicht mehr heraus.
Der letzte Sonntag
Der letzte Sonntag im Kirchenjahr trägt den schönen Namen: Christkönigsonntag. Christus ist König! Auf diesen Sonntag läuft das ganze Kirchenjahr zu: Vom 1. Advent über Weihnachten, Ostern, Pfingsten und der fälschlich sogenannten festlosen Zeit. Christus ist König! „Er ist der treue Zeuge, der Erstgeborene der Toten, der Herrscher über die Könige der Erde.“ So wird Jesus von Johannes in der Offenbarung gerühmt. Damals war er, Johannes, von der römischen Staatsmacht auf die Gefangeneninsel Patmos verbannt worden. Sein Verbrechen: Christ zu sein. Oder einfach so: Johannes ist wie wir Bürger im Reich Christi.
„Ihm, der uns liebt und uns von unseren Sünden erlöst hat durch sein Blut, der uns zu einem Königreich gemacht hat und zu Priestern vor Gott, seinem Vater: Ihm sei die Herrlichkeit und die Macht in alle Ewigkeit. Amen.“ (Offb 1,5b-6).
Ihm, der uns liebt! Ihm, der uns erlöst hat! Ihm, der uns zu seinem Königreich erwählt hat! Wir hören wieder Johannes. Die Gefangeneninsel Patmos wird zum Tor des Himmels. Für die vielen, die unter Repressalien, Unterdrückung oder Ausrottung bedroht sind. Trotzig. Nicht klein zu kriegen. Voller Vertrauen. Johannes weiß, wohin er gehört. Weil auch viele andere Christen angefochten sind und angesichts der Zeitläufe verzweifeln, richtet Johannes sie auf. Wir sind ein Königreich, wir sind sein Königreich. Wir rühmen Jesu Macht und Herrlichkeit.
Aus dieser Nummer kommt der Kaiser nicht mehr heraus.
Zeugnis für die Wahrheit
Die Begegnung von Jesus und Pilatus lässt sich in wenigen Worten und in kurzen Strichen kaum erzählen. Pilatus, der Könige kennt, sieht sich einem König gegenüber, dem er nicht gewachsen ist. Was ist das für ein König, was für ein Reich?
„Ich bin gekommen, für die Wahrheit Zeugnis abzulegen!“, sagt Jesus. Pilatus wird zwar die berühmte Frage stellen, was denn Wahrheit sei, aber dieses eine Wort ist jetzt in der Welt, in der Welt der Mächtigen. Hingehaucht: Wahrheit!
Für uns ist Wahrheit meistens nur ein anderes Wort für Richtigkeit. Oder für Objektivität. Oder für Tatsachen. In der Verbindung von „wahr“ und „richtig“ haben wir dieses Wort auch kennengelernt. Besonders vor Gericht, in einem Verfahren, steht die Suche nach der Wahrheit obenan. Wir kennen die Schattierungen, die Abgründe, die Unsicherheiten.
Jesus gebraucht das Wort „Wahrheit“ als Jude, zu Hause in den alten Schriften des Volkes Gottes. Wahrheit hat mit Treue zu tun, mit der Treue Gottes. Wahrheit ist ein anderes Wort für die Nähe und Verbundenheit Gottes mit Menschen. Ein anderes Wort für Verlässlichkeit. Ein anderes Wort für Liebe. Alles, was Jesus gesagt hat, war eine Erinnerung, nein, eine Vergegenwärtigung: Gott ist hier. Jesus ist König und stellt das dar. Mit seinem Leben und mit seinem Sterben. Während Pilatus fragt, ob Jesus König sei, ersteht vor seinen Ohren eine neue Welt, ein neues Reich: das Reich Gottes.
Dieses eine Wort ist jetzt in der Welt, in der Welt der Mächtigen. Hingehaucht: Wahrheit.
Aus dieser Nummer kommt die Welt nicht mehr heraus!
Jeder, der aus der Wahrheit ist
Viele Menschen werden um ihr Leben betrogen. Aufgerieben. Zu Spielbällen großer Politik. An der polnischen Grenze sehen wir es gerade, ohne es wirklich sehen zu sollen. Wir ahnen, wie Menschen zur Ware werden, wenn Schlepper mit ihnen ihr schmutziges Geschäft machen. Wir ahnen auch, im Kampf um Recht und Ordnung Zeugen böser Taten zu werden.
Menschen können geopfert werden, Macht nicht.
Menschen werden unsichtbar gemacht, Macht nicht.
Menschen werden zum Schweigen gebracht, Macht nicht.
Jesus steht vor Pilatus. Anders als am Karfreitag wird uns nur ein kleiner Ausschnitt anvertraut. Jesus ist König. Heute, am letzten Sonntag im Kirchenjahr, feiern wir ihn als unseren König. Das schließt ein Gegenbild ein zu allen Mächten dieser Welt ein, ein Widerwort zu Sachzwängen und Resignationen – ein Fürwort für Liebe: Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört meine Stimme. Sagt Jesus. Jesus sagt das vor Pilatus. Im Angesicht der Staatsmacht. Im Angesicht des Todes.
"Ich bin das Alpha und das Ómega,
spricht Gott, der Herr,
der ist
und der war
und der kommt,
der Herrscher über die ganze Schöpfung."
Aus dieser Nummer kommen wir nicht mehr heraus!
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.
Lorenz Walter Voith (2000)
Gabi Ceric (1997)