Ich bin von Berufs wegen - und, wie ich mutmaße, nicht nur von Berufs wegen - Philosoph, jedoch ganz und gar kein professioneller Theologe. Und auch der Umstand, dass ich mich seit vielen Jahren mit religiösen Themen beschäftige, wäre wohl kaum Legitimation genug, mich einem Thema zu widmen, welches die Hoffnung auf ein ewiges Leben ins Zentrum der Betrachtung rückt. Denn falls ich recht verstehe, entfaltet diese Hoffnung ihren guten Sinn nur innerhalb eines Glaubenskontextes, also - um mit Wittgenstein zu reden - eines „Sprachspiels“, welches nicht dasjenige der Philosophie ist. Zum religiösen Sprachspiel nämlich gehört eine Lebensform, die über die möglichen philosophischen Denkfiguren weit hinausgeht.
Wenn sich ein Philosoph, unbeschadet seines persönlichen Glaubens, trotzdem des Themas annimmt, dann meistens deshalb, weil man es auch negativ formulieren kann: Demnach ergibt, vom Standpunkt rationalen Denkens aus, der Begriff des ewigen Lebens, wie er sich dem Gläubigen als zentraler Hoffnungsmittler nahelegt, einfach keinen guten Sinn. Und meistens ist dann auch nicht von irgendeinem Glauben die Rede, sondern vom Glaubenstyp des Christen, der, heilsgeschichtlich bewegt, das persönliche Fortleben nach dem Tod zu den zentralen Grundsätzen seines Credos zählt. Wie könnte man sich so ein persönliches Fortleben vorstellen? Das ist die Frage des Philosophen, des Außenstehenden, und darüber hinaus die Frage des Gläubigen selbst, der schließlich nicht umhin kann, sich den Herausforderungen der - sagen wir - weltlichen Vernunft zu stellen.
Ich entsinne mich eines neueren Beispiels, zu dem sich schwerlich ein Besseres wird finden lassen: Terrence Malicks Filmepos The Tree of Life aus dem Jahre 2011. Dieser Film, dessen weibliche Hauptfigur, Mrs. O’Brian, nicht den Weg der Natur, sondern - wie es heißt - der Gnade wählte, endet mit einer Jenseitssequenz. In deren Verlauf begegnet der älteste Sohn der O’Brians in einer Strand- und Salzwüstenlandschaft seiner Familie und weiteren Menschen, die Teil seines Lebens waren oder auch nicht und sich als eine kleine Menschheit aufeinander zuzubewegen scheinen. Man mag diese Szene, die am Rand des Kitsches dahinschwebt, zur Not als eine Traumsequenz verstehen; näher liegt es freilich, sie als eine ambitionierte Verbilderungsbemühung der menschlichen Nachtodesexistenz aufzufassen, ist doch Malicks Film ein durch und durch religiös gestimmtes Opus.
Beim Betrachten der Szene konnte ich mich, Kitsch hin oder her, einer profunden Rührung nicht erwehren, und zwar gerade deshalb, weil die Bilder der sich aufeinander sanft und liebevoll Zubewegenden dem Zuschauer erst voll zu Bewusstsein bringen, dass eine derartige Wiederbegegnung mit den eigenen Lieben nach dem Tod undenkbar ist. Nicht nur können wir unseren Körper nicht mitnehmen, auch das, was wir unseren Geist nennen mögen, ja, unsere Seele, verliert mangels der Fähigkeit, den gehirnabhängigen Strom der Lebenserinnerungen zu konservieren, alle personale Identität. Als körperlose, außerräumliche, ihres Bewusstseins und Selbstbewusstseins verlustig gegangene Wesen hätten wir keinen Bezugspunkt mehr, um uns als die, die wir im Leben waren, selbsterkennend auf uns zu beziehen.
Falls wir indes postmortal als Teil der Weltseele oder des Weltgeistes weiterexistieren sollten, würden wir dies als entpersönlichte Wesen tun, die keinerlei Erinnerung mehr an ihre irdische Existenz und ihren Bestand in der Zeit hätten. Das Jenseits, einmal als Möglichkeit unterstellt, löscht Persönlichkeit und Individualität. Warum also auf ein personales Leben nach dem Tod hoffen, wo wir doch nicht einmal zu sagen imstande sind, wovon wir reden, wenn wir uns auf ein solches Leben beziehen? Nun, die Antwort, die uns an den Rand der Hoffnungslosigkeit und darüber hinaus zu bringen scheint, lautet: Wenn wir nicht einmal zu sagen imstande sind, worauf sich die Hoffnung auf ein ewiges Leben nach dem Tod beziehen könnte, weil wir gar nicht wissen, wovon wir reden, wenn wir ein solches Leben ins Auge zu fassen versuchen - dann ist unsere ganze Existenz ohne Bedeutung inmitten eines bedeutungslosen Universums.
Es ist akkurat diese Antwort, die schon früh in der christlichen Lehrtradition davon hat reden lassen, dass wir, um nicht trostlos zu sich dabei um eine Manifestation des „Credo quia absurdum“ handelt. Man hat oft gesagt, dass eine solche Antwort aus der Innenperspektive des Glaubens, zumal in entsprechender konfessioneller Umrahmung und kraft ritueller Einbettung, darauf hinauslaufe, in den Gott der Liebe ein bedingungsloses Vertrauen zu setzen. Indem man sich in Gott absolut geborgen fühle, erübrige sich jede weitere Frage danach, wie es unter der Bedingung des Ablebens möglich sei, an ein ewiges Leben „danach“ - nach dem Exitus, nach dem Tod des Gehirns, nach dem Stillstand des Herzens, nach dem unumkehrbaren Ausfall aller Bewusstseinsfunktionen - zu glauben.
Geborgenheit in Gott bedeutet dieser Auffassung zufolge ewiges Leben. Von außen betrachtet freilich mutet die Haltung des Gläubigen als eine vollständige Kapitulation des Verstandes an. Frag nicht, glaube! Ist dies nicht der Imperativ, auf den alles hinausläuft, sobald es um Dinge geht, die entweder bloß fromme Märchen oder aber in ihrer Bedeutung opak, undurchdringlich, sind? Ich sagte soeben: „von außen betrachtet“, und hier wurzelt eine Grundschwierigkeit für jeden Gläubigen, namentlich auch für jeden durch die Schule der Aufklärung gegangenen Christenmenschen, der seine Hoffnung zugleich an ein persönliches Fortleben nach dem Tod bindet. Denn indem der Christ Mensch ist - eben Christenmensch -, kann er seiner Natur nicht entsagen. Er ist ein Homo Sapiens, ein denkendes Wesen, und als solches wird er nicht wahrhaft, nicht authentisch, ganz ohne doppelten Boden zu glauben imstande sein, sobald er die Wahrheiten, die ihm sein Verstand zwingend nahelegt, systematisch abdrängt und als Verstandeswesen kapituliert.
Peter Strasser in: Walter Kardinal Kasper / George Augustin (HG., Hoffnung auf das ewige Leben. Kraft zum Handeln heute. Herder Verlag, Freiburg Basel Wien 2015
Bernhard Zahrl (2011)
Martin Leitgöb (2005)
Gerhard Gruber (1999)