Schockstarre
Wenn ein Mensch stirbt, dann herrscht Trauer. Das ganze Verhalten unmittelbar nach dem Sterben eines lieben Menschen ist bestimmt vom Sterben. Es muss vieles organisiert werden: die Beerdigung, das Mahl nach der Beerdigung, die Einladungen. Das ist auch gut so. Vielleicht wären der Schock und die Traurigkeit zu groß. Ohne die vielen Aufgaben würden wir grübeln. Die wirkliche Trauer kommt immer erst später. Damit das Sterben eines Menschen auch verarbeitet werden kann, ist es auch gut, sich über einen Verstorbenen zu unterhalten. Das ist ein notwendiger Schritt, um Abschied zu nehmen. Ähnlich geht es uns, wenn Hoffnungen und Wünsche gestorben sind. Es gilt auch hier, zu trauern.
Wir hören im Evangelium von zwei Jüngern. Sie stehen stellvertretend für die anderen Jünger. Sie hatten auf Jesus große Hoffnungen gesetzt. "Wir hatten geglaubt, dass er derjenige sein, der Israel erlösen werde!" Welche Erlösung meinten sie denn? War es die Erlösung von der Befreiung der Römer, die das Land Israel besetzt hielten? War es eine Erlösung anderer Art, die noch in diesem Leben stattfinden werde? Ihre Hoffnungen waren zerstört. Die Hohepriester hatten Jesus an das Kreuz nageln lassen. Jesus, auf den sie ihre Hoffnung gesetzt hatten, starb den schändlichsten Tod überhaupt. Alles schien vorbei zu sein. Ihre Aussicht war es, in ihr altes Leben zurück zu gehen, in den tristen Alltag. Es war ein Leben, das nur noch die Aussicht kannte, zu leben um zu essen, möglichst viel aus dem Leben herauszuholen. In Jesus hatten sie sich einen tieferen Sinn versprochen. Tief war ihre Enttäuschung. So tief, dass sie Jesus nicht erkannten.
Jesus lebt
Sie erkannten Jesus auch dann nicht, als er ihnen die Schrift erschließt. So befangen sind sie vom Tod ihrer Hoffnung, vom Scheitern ihrer Sehnsüchte. Erst als Jesus ihnen das Brot bricht, gehen ihnen die Augen auf. Da spüren sie: unsere Hoffnung ist doch nicht vergebens gewesen. Sie laufen los, sie müssen es den anderen erzählen. Sie erfahren: mit ihrem Glauben und mit dem, was sie erlebt haben, stehen sie nicht allein. Da sind wir in bester Gesellschaft mit den anderen. Sie spüren auf einmal: alles, was Jesus sagte, wofür er lebte, ist wahr. Sie spüren: Jesus lebt. Von da an ist alles, was sie tun, von der Botschaft bestimmt: Jesus lebt.
Einen ähnlichen Zug entdecke ich auch in den Geschichten zur Osternacht. Auch die Frauen sind ganz befangen vom Tod. "Wer wälzt uns den Stein weg!" Sie hatten Öl mitgenommen. Sie wollten den Leichnam Jesu einbalsamieren. Doch auch sie erfahren die frohe Botschaft: Jesus lebt. Das Öl wird überflüssig. Die Frage nach dem Stein hat sich von selbst erledigt.
Um auf unsere beiden Jünger zurückzukommen: Für sie hatte sich nach der Begegnung mit Jesus und nachdem er sich im Brechen des Brotes zu erkennen gab, vieles erledigt. Ihr Enttäuschung, ihre Fragen waren wie weggeblasen.
Baut auf das Leben
Die Geschichte von Emmaus sagt uns: Baut euer Leben auf die Osterbotschaft auf. Bleibt nicht stehen bei euren Enttäuschungen. Baut auf das Leben, setzt euch ein für das Leben. Jesus lebt. Jesus will uns begegnen. Zuerst begegnet Jesus den Jüngern in seinem Wort.
Auch wir haben das Wort gehört. Gleich feiern wir das Mahl. Wenn der Priester das Brot bricht, dann ist es Jesus, der uns das Brot bricht. Jesus ist im Brot und im Wein da. Sie sind Zeichen für das Leben. Hier gibt sich Jesus für uns hin. Hier empfangen wir IHN als die Nahrung für unser Leben. Diese Nahrung gibt uns Kraft für unser Leben als Christinnen und als Christen. Wenn wir IHN empfangen in den Gestalten von Brot und Wein, dann macht sich der Auferstandene mit uns eins. Er ist die Mitte und die Kraft unseres Lebens. Er will in unserem Leben da sein, unser Leben und die Wege unseres Lebens teilen.
Jesus geht unsere Wege mit
Wie bei den Jüngern von Emmaus geht Jesus unsere Wege mit uns. Doch das ist mir oft nicht bewusst. Erst später spüre ich, dass ich nicht allein war auf den Wegen meiner enttäuschten Hoffnungen. Ich glaube, jeder von uns kennt enttäuschte Hoffnungen. Pläne und Hoffnungen sind zerstört. Da ist der Tod eines Menschen. Doch auch andere Hoffnungen können enttäuscht werden. Die Hoffnung auf einen sicheren Arbeitsplatz, die Hoffnung auf Kinder, die Hoffnung auf Versöhnung, die Hoffnung auf Heilung. Wenn Hoffnungen sich nicht erfüllen, dann ist das zuerst eine Enttäuschung. Das Leben scheint nicht weiter zu gehen. Doch es ging in vielen Fällen weiter. Wir können uns fragen: wofür war das, was ich erlebt und erfahren habe, gut. Was wir in rein menschlichen Hoffnungen erfahren, dass erzählt uns die Geschichte der Jünger von Emmaus.
Es geht weiter in unserem Leben. Denn Jesus lebt. Wir dürfen darauf unser Leben aufbauen. Bauen wir unser Leben auf unseren Besitz auf, auf unsere Erfolge, auf unsere Kinder, auf die wir stolz sein möchten auf. Bauen wir unser Leben darauf auf, bei anderen beliebt zu sein, einen Einfluss zu haben, Macht zu besitzen. Das alles kann das Leben anderer zerstören. Wenn ich auf Karriere baue, dann kann es passieren, dass ich über Leichen gehe, dann kann ich mich selbst zerstören. Wenn ich auf Anerkennung baue, dann kann ich mein eigenes Leben dadurch behindern, dass ich mich verbiege, nicht mehr das lebe, was in mir steckt. Wenn ich auf Macht baue, dann unterdrücke ich andere Menschen und behindere deren Leben, deren Entfaltung.
Jesus begegnet mir hier und jetzt
Doch wir können auch unser Leben auf die Botschaft ausrichten: Jesus lebt. Wir werden auferstehen nach unserem leiblichen Tode. Doch geschieht die Auferstehung bereits heute. Dort, wo mein Tun und mein Denken, mein Denken und Sprechen von dem bestimmt ist von dem, was der Auferstandene gesagt hat. Auferstehung beginnt nicht erst nach dem Tod. Das Reich Gottes nimmt hier seinen Anfang. Wo ich das, was Jesus getan hat, nicht für eine Illusion halte. Wo ich felsenfest davon überzeugt bin: was Jesus gesagt hat, das ist nicht bloß eine Vertröstung auf das Jenseits, sondern es setzt sich hier ein für das Leben.
Ich kann das aber nur glauben, wenn mir in meinem Leben durch die Begegnung mit Jesus die Augengeöffnet wurden. Jesus zeigt sich im Leben eines jeden Menschen. Jesus begegnet mir hier und jetzt im Gottesdienst. Er begegnet mir auf den Wegen meines Lebens in meinen Mitmenschen, besonders in den ärmsten. Jesus wirkt anders, ja tiefer als ich es mir mit meinem kleinen Verstand ausmalen kann. Die Erlösung Israels, auf die die Jünger gehofft hatten, ist eine andere. Jesus erlöst von einer zu tiefen Bindung an diese Welt. Die Enttäuschung ist gewichen. Hoffnung macht sich breit.
Wir Christen trauern auch, wenn wir Hoffnungen begraben, wenn wir Menschen verlieren. Doch brauchen wir nicht stehen zu bleiben bei Trauer, bei Angst und bei Enttäuschung. Jesus ist da. Werden wir wie die Jünger. Machen wir Ostern zu dem, was unser ganzes Leben bestimmt. Erzählen wir anderen davon, leben wir danach. Richten wir unser Leben danach aus, in allen Lebensbereichen: Jesus lebt.