Stocken
Ich bin ganz verstört: Kann ich denn überhaupt noch Jesu Jünger sein? Wenn ich auf "alles" verzichten soll, was zu mir gehört? Nehme ich es wörtlich, bin ich mit meinen Latein am Ende - nehme ich es nicht wörtlich, was soll ich dann denken? Es ist so fremdartig, so befremdlich, was Jesus sagt. Schließlich habe ich, abgesehen von materiellen Dingen, Menschen, die ich liebe, die ich nicht preisgeben kann. Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern. An sie denke ich jetzt. - Ich stocke.
Neuanfang
Als Jesus das Reich Gottes verkündigte - es ist nah, kehrt um! - und Menschen in seine Nachfolge rief, bedeutete ein solcher Schritt tatsächlich die Aufgabe des alten und vertrauten Lebens. Wer zu Hause bleiben wollte, konnte nicht aufbrechen, wer an seiner alten Aufgabe hing, musste zurückbleiben. Sehr offen sagt Jesus, was auf die zukommt, die es wagen wollen, mit ihm zu gehen - buchstäblich: seinen Weg mitzugehen: es bedeutet Trennung, Abschied, Neuanfang. So kennen wir Jesu Jünger. Die Zwölf. Die vielen anderen.
Ein Franz von Assisi gab seinem Vater das Gewand zurück und teilte sein Leben mit einfachen, armen Menschen. Eine Elisabeth von Thüringen trennte sich von ihren Kindern und widmete fortan ihr Leben den Kranken und Ausgestoßenen. Ein Martin Luther verweigerte seinem Vater die juristische Karriere und trat in das Kloster der Augustiner Eremiten in Erfurt ein. Viele andere Biographien erzählen von ähnlichen oder gleichen Lebensentscheidungen. Von Umbrüchen. Von Aufbrüchen. Auf einmal sieht das alte Leben dann sogar sehr alt aus. Faszinierend sind diese Lebenswege bis heute. Sie überzeugen sogar die, die sonst eher kritisch sind mit Glauben, Kirche und - verlebter Frömmigkeit. Ich stocke dann auch.
Besitz
Manchmal merke ich richtig, wie gut und heilsam es ist, einmal zu stocken. Weil ich über meine Beziehungen, über meine Besitztümer, über meine Abhängigkeiten eigentlich nicht nachdenke. Sie sind einfach da. Sie gehören zu mir. Sie machen einen Teil meines Lebens aus. Vielleicht muss es einmal sein: dieses Stocken, dieses Stolpern. Über ein Wort. Über eine Begebenheit. Über eine Zumutung. Wo doch sonst alles fließt - oder auch zerläuft. Dass Jesus mir zumutet, einmal über all das nachzudenken, was mein Leben ausmacht, muss ja nicht nur befremdlich wirken - es kann sich als großes Geschenk erweisen. Auf das ich schon lange gewartet habe, ohne es zu wissen.
Aus dem Evangelium höre ich heute die Frage: Was besitzt mich? Eine ungewöhnliche Frage, auf dem ersten Blick, eine befreiende - auf dem zweiten. Besitz ist nämlich nicht nur, was ich besitze - Besitz ist, was mich besitzt. Mich gefangen nimmt. Gedanken bestimmt. Mein Leben in ein festes Schema presst.
Besitz ist aber auch, was mir die Illusion beschert, allein leben zu können mit dem, was ich habe - ich brauche dann nichts mehr. Christus nicht. Den Glauben nicht. Entschuldigung: auch die Liebe nicht. Allenfalls als Dekor, als Verschönerung einer Feier, als Verbesserung meines guten - oder auch angekratzten - Rufes. Besitz drückt aus, satt zu sein. Angekommen zu sein. Schlimmer noch: mit sich genug zu haben.
Ob hier die Spur liegt, auf die das Evangelium mich unbedingt bringen will? Mit einer richtig provokativen Zuspitzung: "kann nicht Jesu Jünger sein"…
Abwägen
Ich gebe zu, wie schwer es mir fällt, darüber zu reden. Mein Wortschatz ist auch viel zu klein, um die vielen Zwischentöne hörbar zu machen. Gut, dass Lukas gleich zwei Geschichten mitbringt. Geschichten, die mitten aus dem Leben gegriffen sind und von einem großen Abwägen erzählen. Von einem Abwägen, das vor peinlichem Scheitern bewahrt.
Da ist jemand, der eine größere Investition plant. Plant er nicht richtig - setzt er sein Vorhaben in den Sand. Nicht jeder Traum lässt sich verwirklichen. Häuslebauer wissen das.
Also: wissen, was man will - und kann.
Das andere Beispiel erzählt von dem Risiko, seine Kräfte zu überschätzen und einem stärkeren Gegner zu unterliegen. Mag sein, dass es im Leben auch auf Strategie ankommt - wer aber leichtfertig mit seinen Möglichkeiten umgeht, wird verlieren. Abgesehen davon: die größten Feldherren blieben schon im Matsch stecken. Sogar mit dem Wetter, mit der Jahreszeit muss Frieden geschlossen werden.
Also: wissen, was geht - und trägt.
Zwei kleine Geschichten illustrieren im Evangelium auf einfache Weise, wie Menschen ihre Chancen abwägen - und gewinnen. Ja, auch wer Jesus nachfolgt, wird mit vielen Fragen konfrontiert: Kann ich das? Werde ich das durchhalten? Wie stehe ich da? Aber: in der Nachfolge Jesu ist nicht weniger als das Leben zu gewinnen. Eine Liebe, die den Tod nicht fürchtet - eine Geborgenheit, die sich nicht einschüchtern lässt - ein Vertrauen, das Abgründe überbrückt.
Um in den Bildern zu bleiben, die uns Lukas vor Augen malt: Es entsteht ein toller Turm, schön und fest, eine Zierde für den Platz - und die letzte Schlacht, auf die alles ankommt, wird geschlagen: der Tod kommt nicht mehr hoch. Mit ihm bleiben Hass, Misstrauen und Angst einfach auf dem Boden liegen.
Lebensglück
Ich weiß von zwei jungen Leuten, die ihr Lebensglück darin gefunden haben, auf die ihnen zugeschnittenen und längst prophezeiten Karrieren zu verzichten - und Ja zu sagen zu einem schwerstbehinderten Kind. Ich wage kaum zu fragen, was das heißt. Aber ich höre, was sie erzählen - und wie sie es tun. Wenn es stimmt, dass Jesus mit vielen Gesichtern unter uns ist - dann leuchtet das Evangelium hier in den schönsten Farben. Große Worte aber verstummen.
Es wird nicht schwer sein, weitere Beispiele zu finden. Mitten im Leben, wie das so heißt. Wir sollten sie auch mit eigenen Augen und Ohren suchen. Aufmerksam, sensibel. Dann erübrigt sich auch die Klage, dass in unserer Welt nur gilt, was ein Mensch ist, hat oder darstellen kann. Aber es ist verräterisch - und verstörend: Was wir haben und zu besitzen glauben, trägt uns nicht. Im Leben nicht, im Sterben schon gar nicht.
Ich möchte Jesu Jünger sein. Ich möchte ihm nachfolgen.
Abgewogen habe ich es auch schon.
Der Turm wird gebaut!
Der Kampf wird gewonnen!
Und der Friede Gottes,
der höher ist als alle Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.