Auch katholisch...?
Mal eine Frage: Haben Sie sich nicht auch schon einmal im Eingang Ihres Wohnhauses, am Anfang Ihrer Straße oder mitten unter Freunden bei der Überlegung erwischt: "Der oder die ist doch auch katholisch - in der Kirche gesehen: Noch nie!”
Oder Sie lesen von der Taufe eines Kindes oder hören von der kirchlichen Trauung eines Pärchens und denken: "Ach nee, die sind katholisch?”
Oder Sie gehören zur älteren Generation und fragen sich immer mal wieder - vielleicht nicht nur oberflächlich, sondern wirklich schwer beunruhigt: "Eigentlich ist mein Nachwuchs ja katholisch - aber was ist davon geblieben?”
Dieses Fragen, dieses Aufhorchen, diese Sorge ist absolut verständlich: Wer Glaubensinhalte und Formen gelebten Glaubens als lebenstragend, als formend und bestimmend erfahren hat, der lässt kaum davon los und möchte dazu noch, dass auch andere diese Erfahrungen machen können - je näher diese Anderen einem stehen, desto intensiver der Wunsch, die guten Erfahrungen weitergeben zu können. Das gilt übrigens auch dann noch, wenn die eigenen Erfahrungen in Wirklichkeit gar nicht so gut waren: Wie viele Menschen leben heute intensiv im Raum der Kirche, zählen aber zu ihren Erfahrungen in der Vergangenheit durchaus auch sehr schlimme Erlebnisse im kirchlichen Milieu? Das Tragende und Haltgebende aber überwiegt, weil in früheren Zeiten oft der kirchliche auch der ganze Lebensraum war.
Volkskirche contra Kirche im Volk
Immer dann aber, wenn eine religös geprägte Gesellschaftsform nicht mehr deckungsgleich ist mit der Gesamtgesellschaft, werden wir hinnehmen müssen, dass wir solche Erfahrungen wie eingangs skizziert machen werden. Wir werden akzeptieren müssen, dass jene Formen der Religiosität, für die unser Herz brennt, nicht von allen, vielleicht nur von wenigen geteilt werden.
Das ist nichts Neues - Jesus, der Gottessohn, hat genau diese Erfahrung auch machen müssen. Wir hörten heute davon: Zehn Aussätzige sind zu ihm gekommen und haben bei ihm Heil und Heilung gesucht - ein Einziger ist in Jesu Bannkreis geblieben. Das Zahlenverhältnis 1 zu 10 gilt heute - großzügig gerechnet - durchaus auch noch.
Schauen wir aber auf die Situation ein wenig genauer, dann lässt sich etwas feststellen: Auch wenn die neun Anderen die Nähe Jesu gemieden haben, unterscheiden sie sich von dem Einen, der geblieben ist, im Wesentlichen ja nicht: Alle Zehn sind doch von Jesus berührt worden und haben Heil erfahren. Nur die Reaktion darauf ist sehr unterschiedlich ausgefallen. - Ein Hinweis für heute?
Die Welt - ein religiöser Basar?
Im vergangenen Jahr hat das Schweizerische Pastoralsoziologische Institut in St. Gallen eine Studie veröffentlicht unter dem Titel "Lebensstil, Religiosität und Ritualbedürfnis in jungen Familien”. Die Studie macht deutlich: Religiosität in meiner Generation entsteht parallel zur Gesamtgestaltung des Lebens - und nicht andersherum. Oder salopp formuliert: Sag mir, wie du lebst, und ich sag dir, wie du glaubst.
Die Gestaltung von christlicher Religiosität muss mit Kirche dann nicht unbedingt was zu tun haben. Sie geschieht auch nicht mehr durch den Lauf der Zeit sondern oftmals allenfalls durch den Lauf des Lebens. Oder anders: Geheiligt wird nicht mehr der erste Tag der Woche durch den Besuch des Gottesdienstes, sondern geheiligt werden Dreh- und Angelpunkte des Lebens wie spezielle Tage im Jahr, Eheschließung oder Taufen der Kinder. Wenn überhaupt, denn trendy ist das nicht.
Vom Unbegreiflichen ergriffen werden
Doch Vorsicht ist geboten. Die Studie kommt zu der Erkenntnis, dass die Menschen, die fern der Kirche leben, längst nicht automatisch fern der Religiosität sind. Mit der Welt Gottes in Kontakt zu treten, wie das im Text der Studie heißt, ist durchaus Wunsch vieler. Nur führt der Weg dahin eben oftmals nicht durch die Kirchentür. Wer am Sonntag hier in die Kirche kommt, lebt eine spezielle Form der Religiosität, die vor allem durch die Gemeinschaft der Kirche geprägt ist und durch den Wunsch, die zeichenhafte Nähe Gottes hier im Raum zu erfahren. Diese Form ist aber heute nicht mehr die einzige, die gesucht wird, und sie ist längst nicht die häufigste: Wer "vom Unbegreiflichen ergriffen” werden will, wie das Pierre Stutz mal formuliert hat, sucht sich für dieses Erleben oft ganz eigene Orte. Die Kirche mit ihren Angeboten kann mal ein solch ein Ort sein, muss es aber nicht.
Aggiornamento: Heutig werden
Und nun? Was bedeutet dies für die Kirche als Institution - was bedeutet dies für all die einzelnen Menschen, die sich die Gedanken und Sorgen machen, die ich eingangs zitiert habe?
Sicher ist ein Dilemma da - ohne Zweifel. Machen wir weiter, nach alter, liebgewonnener Tradition, streng nach Dogma und Doktrin, ohne nach rechts und links zu schauen, ohne die Entwicklungen dieser Welt um uns herum wahrzunehmen, wird Kirche, werden wir als Gemeinden zu Ghettos weniger Gleichgesinnter am Rande der Gesellschaft. Wenn dann noch zehn Prozent hier hin finden, wie es das Evangelium ausdrückt, wird das viel sein.
Wird Kirche aber allein zur - wie das in der Studie heißt - "Managerin von Sinnfragen”, müssen wir uns von all dem verabschieden, was nicht mehr verstanden wird, verliert die Kirche von dem, was für sie typisch ist, - und damit droht sie, in die Profillosigkeit abzugleiten: Wer nach allen Seiten hin offen ist, kann nicht ganz dicht sein, heißt es salopp.
Aufeinander zugehen
Konkret kann das heißen: Auf der einen Seiten Kirchenleitungen, die beständig nach Rom schielen und auf Gefallen aus sind, deren Sorge allein die korrekten Liturgien sind und Menschen, die gut zur 'ihrer' Kirche passen. Zusammen mit Gemeinden, die allein ihre Abläufe kennen und verwalten und aber die Dorf- und Stadtgemeinschaften um sich herum völlig vergessen.
Auf der andern Seite finden wir Kirchenverantwortliche und engagierte Christinnen und Christen, die sich beständig und ausschließlich fragen: Wie kommen wir an? Was macht Kirchen und Veranstaltungen in den Gemeinden voller? Wie erzeugen wir gute Pressemeldungen?
Beide Seiten halten das Dilemma der Kirche aktiv am Leben. Die Spannung löst sich erst, wenn man aufeinander zugeht und Ideen und Visionen austauscht. Niemand hat in diesem Prozess die Wahrheit gepachtet - niemand hat allein das Heil in der Tasche.
Die zehn Aussätzigen machen es deutlich: Da sind nicht ein wahrhaftiger Jesus-Anhänger und neun Abtrünnige - denn: Sie alle sind berührt und geheilt worden. Doch jeder von ihnen hat seine eigene Art des Umgangs damit. Die Aufgabe Jesu war es, damit zu umzugehen.
Die Aufgabe ist geblieben - für die Nachfolgegemeinschaft Jesu, die Kirche in der Welt von heute: für uns.