Paulus wendet sich in seinem Brief an die Römer vom Wort her mit einer Mahnung an die Gläubigen. "Ich ermahne euch!" heißt es. Doch es geht dem Apostel nicht um eine Kritik am derzeitigen Lebenswandel der Gläubigen. Die Mahnung ist eher ein ermutigender Aufruf, den angetretenen Weg als Christ in Erinnerung an die Liebe und das Erbarmen Gottes in Treue und mit ganzer Hingebe zu gehen.
Die Bitte, sich selbst als lebendiges und heiliges Opfer darzubringen, bedeutet: Sich nicht nur im Denken an Gott zu erinnern, sondern mit allem, was den Menschen ausmacht, sich in den Dienst Gottes zu stellen. So wie Jesus sich im Denken, Reden und Tun vollkommen dem Willen des Vaters unterwarf, so sollen die, die seinen Namen tragen, die Christen, sich mit Geist, Leib und Seele, Gesinnung und Lebenswandel der Liebe ausliefern und unterstellen. Ein solches Handeln nennt Paulus gelebten Gottesdienst. Nicht mehr heilige Stätten, wie z.B. der Tempel, sind die vornehmlichen Orte der Begegnung mit Gott, nicht mehr Lämmer und Stiere als Opfergaben sind Ausdruck besonderer Hingabe an ihn, sondern die Bereitschaft, sich mit der ganzen Person Gott zur Verfügung zu stellen.
Tätiger Einsatz für den Nächsten
Die Mahnung des Apostels hatte einen Hintergrund. In den größeren Städten des römischen Reiches jener Zeit blühte eine Art Mysterienreligion, der sich viele Bürger angeschlossen hatten. Die Anhänger dieser Mystik lehnten alle dinglichen, materiellen und zumal blutigen Opfer ab. Sie hielten diese Art der Gottesverehrung der Würde Gottes nicht angemessen. Für sie bestand das einzige und wahre Opfer in der inneren Versenkung. Dieser Einstellung kann der Apostel ganz und gar nicht zustimmen. Allein im Gebet und in Verinnerlichung mit Gott in Verbindung zu treten, war für die Vorstellungen eines Paulus bei weitem viel zu wenig. Schlacht- und Brandopfer abzulehnen, darin stimmte Paulus mit den Mystikern überein. Aber Rückzug in eine reine Innerlichkeit und damit vielleicht noch verbunden in eine Abkehr von der Welt und dem Leben im Alltäglichen, genau dagegen will Paulus protestierend seine Stimme erheben. Nicht in der mystischen Versenkung, sondern im Gegenteil, gerade im lebendigen, tätigen Einsatz für den Nächsten, wie Jesus ihn gelebt hatte, sieht Paulus die gebührende Antwort der Menschen im Blick auf den Willen Gottes. Nach den Vorstellungen des Paulus muss die Liebe gelebt werden. Wahrer Gottesdienst ist für den Apostel daher das sich Ausrichten auf Christus und die liebende Hingabe an die Menschen nach seinem Vorbild.
Sich im Denken wandeln, wozu Paulus aufruft, um sich nicht unversehens der Welt und den Zeitströmungen anzugleichen, liegt nicht allein in unserer menschlichen Macht. Das ist für Paulus selbstverständlich. Gott muss helfen, das Neu-Werden des Menschen zu bewirken. Aber es geschieht auch nicht ohne jegliches Mitwirken des Menschen. Was der Wille Gottes ist, liegt nicht für jede Situation offen auf der Hand. Zwar gibt es Grundsätze durch die zehn Gebote, dazu die Botschaft Jesu und sein Handeln als Vorbild; aber wie die christliche Leitlinie der Liebe, Güte, Hilfsbereitschaft, das Handhaben der Barmherzigkeit in der jeweiligen Situation zu verwirklichen ist, bedarf in jedem konkreten Fall sorgfältigen Prüfens und Abwägens. Ist der Weg liebevollen Vorgehens und Verhaltens gefunden, darf in das konkrete Handeln die persönliche Art und der Charakter des einzelnen deutlich in die Vorgehensweise mit einfließen. Gott schreibt uns unser Handeln nicht bis ins Kleinste Schritt für Schritt vor. Dass wir uns an die Liebe halten und ihr dienen, das ist entscheidend. Die Art der praktischen Verwirklichung legt Gott in unsere Hände, dürfen wir nach unseren Ideen gestalten.
Eckig und kantig wie Jesus
"Passt euch nicht der Welt an!" ist ein Aufruf, eine Mahnung, die immer Gültigkeit hat und zu allen Zeiten aktuell ist. Wir Christen sollen prüfen und abwägen, was im Einklang mit Gottes Willen steht. Wir können dies in Ruhe und Gelassenheit tun. Aber wachsam und sorgfältig soll es geschehen. Im alltäglichen Leben können wir dabei auf pikierte Ablehnung stoßen, wenn wir z.B. jemandem nicht nach dem Munde reden, uns nicht automatisch der Mehrheit anpassen, so manches in Frage stellen oder Widerspruch einlegen. Manchmal müssen wir in uns selbst einen Widerstand zerbrechen. Der immer neue Aufbruch zum Nächsten hin, besonders wenn er uns bitter enttäuscht hat, fordert oft enorme Kraft. In diesen Situationen sich nicht ins Gängige flüchten, nicht in Wut, Zorn und Bitterkeit verharren, sich nicht, wie Paulus es ausdrückt, der Welt anpassen, ist eine Herausforderung, die uns oft gewaltige Überwindung abverlangt.
In diesen Fällen ist ein Blick auf Christus oft sehr hilfreich, Trost und Kraft spendend. Wie oft ist Jesus angeeckt. Wie oft blieb seine Liebe, sein Wohlwollen ohne Antwort. Wie viel Unrecht geschah ihm, und er hielt dennoch an der Liebe fest. Gott hat seinen Lebensstil der Liebe durch die Auferweckung als den richtigen Weg beglaubigt. Jesus gestaltete sein ganzes Leben zu einem Gottes-Dienst, zu einem Dienst nach dem Willen Gottes. Er verkündete und predigte die Liebe Gottes zu uns Menschen nicht nur, sondern lebte, was die Liebe ihm in den Sinn gab. Seine Opfergaben zur Verherrlichung Gottes waren nicht Früchte des Feldes, Lämmer oder Stiere. Die Leiden, die die Menschen ihm antaten, sein Durchhalten in der Liebe brachte er als sein Opfer vor den Vater. So gab er sich selbst als Opfergabe.
Die Mühe und Bereitschaft, das Leben Jesu nachzuahmen, kann unsere Opfergabe sein. Daran will Paulus erinnern und uns aufrufen, diesen Schritt zu wagen. Denn es gibt nichts, woran Gott mehr Gefallen hätte oder wodurch wir ihn mehr ehren könnten als durch echte und gelebte Nachfolge Jesu.