Abgesondert wohnen
Der Eindruck täuscht nicht: heute geht es um Aussatz! Um Aussätzige! Um Menschen, die "abgesondert wohnen" sollen, wie es in der Lesung aus dem Alten Testament, dem Buch Levitikus, heißt. Hand aufs Herz! Es gibt Krankheiten, die anstecken, vor denen Menschen eine große Angst haben, vor der sich die Gesunden schützen wollen - und müssen. Regeln, die allen Beteiligten klar sind - und auch einleuchten - helfen, eine Durststrecke zu durchstehen. Aber was es heißt, "abgesondert wohnen" zu müssen, wissen nicht die Gesunden - es sind die Kranken, die draußen bleiben. Die auch darunter leiden, stigmatisiert zu werden. Nicht mehr dazu zu gehören. Angst einzuflößen. "Unrein! Unrein" sollen sie sogar rufen - und vor sich selbst warnen. Nähe kann es dann nicht mehr geben. Gemeinschaft auch nicht. Wie gut, dass das alles lange her ist - denke ich.
Abgeschoben werden
Große Lust, über die Hautkrankheiten von einst zu reden, verspüre ich nicht. Trotzdem könnten wir über Hautausschläge reden - schließlich sind Hautausschläge richtige "Hingucker". Es soll sogar Menschen geben, die Juckreiz verspüren, wenn sie "so etwas" sehen. Dann ist auch ein Handschlag schon eine Zumutung. Aber worüber wir reden müssen, ist, dass über alle Hautkrankheiten hinaus Menschen ausgegrenzt werden - und "abgesondert wohnen" sollen.
Ich denke jetzt an viele Flüchtlinge, die zu uns kommen. Zu uns... Viele von ihnen sind minderjährig. Sie haben schreckliche Erfahrungen hinter sich. Oft aber auch vor sich. Die Vorbehalte bekommen sie an vielen Orten mit. Meistens pauschal, einfach so. Vorbehalte werden auf die Straße getragen, in Slogans zugespitzt, mit Fahnen in den Wind gehangen - was durchaus in einem demokratischen Staatswesen auch rechtens ist. Aber geboten? Gut verantwortet? Mit Zukunftsaussichten? Auch für die Menschen, die von vorne anfangen müssen? Die nichts haben?
Es sind nur kleine Zeichen: Der Kölner Dom (wie viele andere Kirchen) macht das Licht aus, Gegendemonstrationen gehen auch auf die Straße, Zeitungen berichten von Menschen und ihren Schicksalen.
In den Sinn kommt mir auch, wie heftig diskutiert, wie heftig gestritten wird, wenn es um Wohnraum für Flüchtlinge und Asylanten geht - außerhalb der "schönen" Siedlungen, in Extra-Heimen, Übergangsheimen, Containern, manchmal sogar unter unmenschlichen Bedingungen. Aus meiner eigenen Stadtgeschichte kenne ich den Ort, der außerhalb der Stadtmauer liegt, einst die Lepra- und Pestkranken aufnahm - und Melaten heißt. "Melaten" kommt aus dem Französischen und heißt "krank". Dass hier auch der Galgen stand, macht diesen Ort nicht nur unheimlich, sondern auch zu einem Ort der Verworfenen. Unter anderen Namen haben wir an vielen Orten immer noch ein Melaten. Nicht einmal das Denken hat sich geändert. Geblieben ist die Angst - vor Ansteckung. Als ob Menschen, die zu uns kommen, uns das Leben nehmen. Ist nicht vielleicht nur unsere Angst ansteckend? Raubt sie uns Verstand und Herz? Dann werden wir nicht "überfremdet", wir werden uns selbst fremd.
Rein!
Es tut gut, Markus zu hören. Er ist der erste Evangelist, der das Leben Jesu erzählt - so erzählt, dass von Anfang an Wunder geschehen. Kaum hat Jesus angefangen, wird schon ein Mensch "rein" - und, was für ein Wortspiel, kommt "rein" in ein neues Leben. Er sieht jetzt gut aus! Es sieht jetzt gut für ihn aus! Wir können mit ihm feiern!
"Werde rein!" sagt Jesus - und es ist wie eine Verheißung, wie ein Auftrag, Menschen nicht nach draußen zu schicken, sondern rein zu holen. "Werde rein!" heißt auch "Komm rein!" Das Reich Gottes ist nahe, sagt Jesus. Das schenkt auch einen neuen Blick auf die Menschen und ihre Geschichten, auf die Welt und ihren Verstrickungen, auf die verwundete Haut und die Schönheit eines Gesichtes.
Die Ebene, auf der Menschen in Quarantäne gehen und in Quarantäne schicken, haben wir längst verlassen. Quarantäne ist immer auf Zeit. Mit Aussicht auf Heilung und Besserung. Für alle.
In der Zusage, in dem Zuspruch "Werde rein!" wird ein neues Urteil über Menschen gesprochen. Der Evangelist verrät: Jesus hat Mitleid mit ihm. Jesus leidet mit ihm und spricht dann das Wort, das befreit und ansteckt.
Liebe ist ansteckend.
Hoffnung ist ansteckend.
Vertrauen ist ansteckend.
Vor dieser Ansteckung ist die Angst machtlos. Aber sie macht das Gesicht schön.
Eigentlich kann ich jetzt Schluss machen. Aber etwas muss ich doch noch loswerden: Wir kennen bei uns und anderen Ängste und Sorgen, die uns bei vielen Veränderungen und Herausforderungen beschleichen. Das Evangelium lässt uns in einen Wunder-Spiegel sehen, der uns mehr zeigt, als wir sehen können. Ängste und Sorgen machen uns "aussätzig" und zeichnen uns. Manchmal verzeichnen sie uns sogar. Wir sind dann auch nicht im Reinen mit uns. Wir können es nicht einmal verbergen. Man sieht es uns an. Jesu Wort aber will uns "rein" machen. "Werde rein!" meint auch: in der Liebe könnt ihr mutig leben!
Das Evangelium endet überraschend: Wir verbreiten die ganze Geschichte, und die Leute kommen von überall her zu ihm! Der Eindruck täuscht nicht: Heute geht es um Menschen, die nicht länger gezeichnet sind.
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.