Umfallen oder dazulernen?
"Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern. Sie werden mich nicht daran hindern, schlauer zu werden." soll Bundeskanzler Konrad Adenauer einmal einem Journalisten geantwortet haben, der ihn mit der Änderung seiner Meinung gegenüber einer früheren Aussage konfrontiert hatte. Politiker haben es nicht leicht, wenn sie ihre Meinung oder ihre Position in einer Streitfrage ändern. Vor allem in Wahlkampfzeiten hält man ihnen vor, was sie zu der einen oder anderen Frage früher einmal geäußert haben. Sehr schnell wird ihnen dann das Etikett "Umfaller" umgehängt.
War Jesus ein Umfaller?
Im Evangelium wird uns eine Begebenheit aus dem Leben Jesu berichtet, in der er zunächst eine kananäische Frau, eine Ausländerin und Heidin also, kühl und ziemlich schroff abweist. Er begründet dies mit seiner Sendung zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel. Offenbar sieht er seine "Mission" in der Erneuerung des Glaubens und in der Vertiefung der Bindung an Gott vor allem unter seinen eigenen Glaubensgeschwistern. Er geht zunächst nicht auf Mission im Sinne einer Bekehrung aller Menschen. Nicht wenige Bibelwissenschaftler nehmen an, dass Jesus im Laufe seines Wirkens diesbezüglich seine Einstellung geändert hat, dass er sozusagen dazugelernt hat; auch wenn dies einige mit ihrem Bild des Messias und Gottessohnes schwer vereinbaren können. Der Glaube dieser Frau hat ihn so beeindruckt, dass er ihr gewährt hat, was sie nötig hatte. An einer anderen Stelle sagt Jesus: "Einen solchen Glauben habe ich in Israel noch bei niemand gefunden."
War Paulus ein Umfaller?
Als Christen sehen wir in der Bekehrung des eifrigen Pharisäers Saulus zum Völkerapostel Paulus als bahnbrechend und richtungweisend für die junge Kirche. Wir freuen uns über sein Dazulernen, seine Bekehrung. Seine ehemaligen jüdischen Mitstreiter werden ihn wohl als einen großen Umfaller betrachtet haben.
Bevor wir Etiketten verteilen, müssen wir versuchen ein wenig tiefer zu blicken. Es ist kein Zufall, dass die Bekehrung des Paulus einerseits als Lichtwunder, das ihn fürs Erste blind werden und dann neu sehen lässt, und andererseits als Hörwunder beschrieben wird. Er und seine Begleiter hören eine Stimme,der Sprecher stellt sich vor als "Jesus, den du verfolgst" (vgl. Apg 9,7). Die Wundererzählung fasst zusammen, was in Paulus vor sich gegangen ist: Durch die Begegnung mit Jesus sieht er die Zusammenhänge des Glaubens neu. Plötzlich beginnt er auf den zu hören, den er bis dahin verfolgt hat.
Vermutlich befähigte diese intensive Lernerfahrung Paulus zu einer so reichen Missionstätigkeit. Wer andere zu einem neuen Hören der Frohen Botschaft und zu einem neuen Sehen der Glaubenszusammenhänge führen will, muss selbst bereit sein, immer neu auf Gott und auf die Menschen, die ihm begegnen hinzuhören.
Vor-Urteile
In vielen Diskussionen kann man erleben, dass die Diskussionspartner nicht wirklich aufeinander hinhören. Sie warten auf ein Stichwort seitens des Gegenüber und beginnen, ihre einstudierte, möglichst plakative Antwort abzuspulen. Politiker werden darauf trainiert, weil sie unterm Strich mit dieser Strategie eher die Chance haben, am Ende als Sieger dazustehen. Echtes Zuhören ist da nicht gefragt.
Echtes Zuhören ist aber auch in unserem alltäglichen Leben nicht so einfach. In einer Welt mit einem Überangebot an akustischen und optischen Reizen können wir nur mit Hilfe von Vor-Urteilen überleben. Wir hören oft nur mehr Signale und reagieren darauf mit eingeübten Verhaltensweisen, weil wir in der Hektik des Alltags gar nicht die Zeit und die Kraft haben, uns in den vielen Begegnungen und Erlebnissen eine eigene Meinung zu bilden und unseren Eindrücken auf den Grund zu gehen. Für die Bewältigung des Alltags sind diese Filter eine große Hilfe. Aber manchmal wird es passieren, dass wir ein wichtiges Detail überhören oder übersehen und falsch reagieren.
Daran scheitert meines Erachtens häufig auch das missionarische Wirken vieler Christen, wenn sie Mission mit dem Verbreiten vorgefasster Meinungen verwechseln. Mission gelingt am ehesten dort, wo Menschen sich auf Augenhöhe begegnen, jeweils den Glauben des Gegenüber wahrnehmen und von einander lernen, auf das hinzuhören, was Gott ihnen zu sagen hat.
Gehorsam lernen
Paulus stellt in dem Abschnitt des Römerbriefes, den wir in der 2. Lesung gehört haben, Überlegungen über den Gehorsam an. Seine eigenen Glaubensbrüder hörten aus vermeintlichem Gehorsam gegenüber der Tradition nicht auf das hin, was Gott ihnen durch Jesus, das Fleisch gewordene Wort Gottes, sagen wollte. Er selbst musste das Hinhören auf Gott durch seine Begegnung mit Jesus in seinem Bekehrungserlebnis erst neu lernen. Nun möchte er die Angehörigen seines Volkes eifersüchtig machen auf jene, die sich vom Wort Gottes leiten lassen, obwohl sie nicht zum Volk der Juden gehören. Von ihnen sollten auch sie das rechte Hören lernen.
Das Reden vom Gehorsam ist in der deutschen Sprache schwierig geworden. Von unserer Geschichte her wissen wir, was blinder Gehorsam anrichten kann. Viele Kriegsverbrecher haben sich damit verantwortet, dass sie aus Gehorsam gehandelt haben. Wir wissen aber auch, dass keine Organisation ohne ein gewisses Maß an Gehorsam funktionieren und existieren kann. Handeln im Gehorsam enthebt uns nicht der Pflicht und der Mühe des Mitdenkens und Mitverantwortens.
Wenn wir in Zusammenhängen des Glaubens von Gehorsam reden, geht es um das Hinhören auf das, was Gott von uns will. Und das kann unter Umständen auch das Gegenteil von dem sein, was organisatorischer Gehorsam von uns verlangt. Der mittlerweile seliggesprochene Franz Jägerstätter ist ein berührende Beispiel eines solchen Gehorsams geworden.
Auch wir müssen dazulernen
Gemeinsam haben Paulus und Jesus, dass sie bei ihrem eigenen Volk nicht jenen Anklang gefunden haben, den sie erhofften. Vielleicht hat sie gerade diese bittere Erfahrung hellhörig für den Glauben jener gemacht, die nicht zum ursprünglichen Gottesvolk gehört haben.
Geht es uns Christen heute nicht ähnlich? Die Frohe Botschaft findet in unserem eigenen Umfeld oft wenig Widerhall. Gibt es jedoch nicht auch in unserer Zeit Menschen, die gesellschaftlich an Rande stehen aber für das Geheimnis Gottes ansprechbar sind? Die gerade in ihrem Überlebenskampf hellhörig für die Botschaft Gottes geworden sind?
Wir stehen ratlos da gegenüber den vielen Fremden, die in unsere Zivilisation hereindrängen und einen neuen Lebensraum suchen. Erstaunt sind wir, wenn sich in großen Städten herausstellt, dass viele dieser Fremden eine Offenheit für Gott und ein Vertrauen in Gott mitbringen, die wir in unserem eigenen Umfeld oft vermissen. – Sind wir fähig dazuzulernen? Möchte uns Gott durch die Begegnung mit diesen Menschen eine Botschaft ausrichten?