Ein weiser Mensch
Das persönliche Streben nach Weisheit ist in unserer Gesellschaft sehr selten geworden. Materielle Güter, Wellness, körperliche Schönheit und vermeintlich ewige Jugend sind zum Kult- und Statussymbol geworden. "Weiche Faktoren" wie Weisheit, Bedachtsamkeit oder auch Maßhalten sind in den Hintergrund getreten.
Beim Kirchenlehrer Thomas von Aquin (1225 bis 1274) heißt es in seinem Werke "Summe gegen die Heiden" noch, dass das Streben nach Weisheit sogar die vollkommenste aller menschlichen Bestrebungen sei, "weil der Mensch, insofern er der Weisheit sein Streben widmet, schon einen Teil des wahren Glücks besitzt." (Summa contra Gentiles I,2).
In der Bibel findet sich ein ähnliches Verständnis von Weisheit. Weisheit ist bspw. im Buch der Sprüche (Spr 2,1-3. 26) Garant für ein gelingendes Leben (Spr 2,1-3. 26). Wird von jemandem hingegen die Weisheit verachtet, so gilt dieser als unglückseliger Mensch (Weish 3,11).
Salomo - Idealbild eines weisen Menschen
König Salomo stellt in der Bibel das Idealbild eines weisen Menschen dar. 1 Kön 5,10f. bezeichnet ihn daher nicht von ungefähr als den weisesten aller Menschen. Von weit her kamen die Menschen, um seinen Rat einzuholen und sich von ihm beraten zu lassen. Salomos Weisheit ist bis heute sprichwörtlich. Legendär ist seine Entscheidung bei Streitschlichtung zwischen zwei Müttern, die ein Kind als jeweils ihr eigenes beanspruchten (1 Kön 3, 16-28).
Die beiden einzigen literarischen Quellen über Salomo sind das erste Buch der Könige (Kap. 1-11) und das zweite Buch der Chronik (Kap. 1-9).
Salomo war ein Sohn des Königs David und dessen Frau Bathseba (2 Sam 12,24). Auf Betreiben seiner Mutter und des Propheten Nathan wurde er, anstelle seines älteren Bruders Adonija, der Nachfolger Davids auf dem Thron Israels (1 Kön 1,1-39). Seine Regierungszeit wird mit 40 Jahren angegeben. Sie dauerte etwa von 970 v. Chr. bis ca. 931 v. Chr. Ob es sich bei der Zahl 40 um eine historisch richtige Angabe handelt, darf bezweifelt werden. Einerseits fehlen uns jegliche archäologische Belege und andererseits sind 40 Jahre in der Bibel eine Zeitspanne, die mit dem Zeitabschnitt einer Generation gleichgesetzt wird. Zuverlässige Angaben zur Person Salomos und der Dauer seiner Regentschaft sind daher nicht machbar.
Seine Regierungszeit war gekennzeichnet von Frieden und wirtschaftlichem Aufschwung. Es entstand der erste Tempel (1Kön 6,1-9,9), die Stadt Jerusalem wurde erweitert und gegen feindliche Angriffe mit einer Mauer gesichert (1Kön 9,15). Zudem gelang es ihm, das von David geschaffene Großreich in seinem Kern zu erhalten und zu modernisieren. Gerade in Anbetracht des nach seinem Tod einsetzenden Niedergangs, der eine Spaltung des Reiches zur Folge hatte (1Kön 12,1-19), erschien nachfolgenden Generationen die Regentschaft König Salomos wie ein goldenes Zeitalter. Noch im Neuen Testament gilt seine Herrschaft als Beispiel für ein prachtvolles Leben Mt 6,28-29; Lk 12,27.
Be-rufen für andere
In der Mitte der heutigen ersten Lesung finden wir folgenden Satz: "Verleih daher deinem Knecht ein hörendes Herz, damit er dein Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht." Es ist typisch für einen Weisen, der sich - nach damaliger Vorstellung - bewusst ist, dass alle anderen Gaben des Menschen Frucht dieser Weisheit sind, nicht um Macht oder materielle Güter zu bitten. Es geht ihm um sein Volk, denn "Wer könnte sonst dieses mächtige Volk regieren?" heißt es im Anschluss.
Was ist das Herausragende an dieser Aussage? Erinnert sie doch an die oft gestellten Fragen wie etwa "Welche drei Dinge würden Sie auf eine Insel mitnehmen?" oder "Wenn Sie einen Tag alle Wünsche frei hätten, was würden Sie machen?".
Das wirklich Einzigartige an dieser Antwort ist meines Erachtens die Selbstlosigkeit, die in ihr steckt. Salomo erbittet nichts für sich. Er erbittet etwas, das er für andere einsetzen und zu deren Wohl verwenden möchte. Würden wir - hätten wir drei Wünsche frei - auch so eine Antwort wie Salomo geben. Würden wir auf eine Insel den Schatz aus dem Acker oder die Perle mitnehmen?
Gemeinwohl vor Einzelinteresse
Blicken wir in die heutige politische Landschaft Europas, so sind Persönlichkeiten wie Salomo sehr selten bis gar nicht zu finden. Stellt noch jemand das Gemeinwohl vor partikuläre Einzelinteressen? Gibt es noch Politiker, die am "Großen und Ganzen" interessiert sind?
Und ist es in unserer Kirche so gänzlich anders? Spielen nicht auch hier Macht und persönliche Interessen oder die Meinungen einzelner Gruppierungen eine große Rolle und verstellen dabei gleichzeitig für viele Menschen den Blick auf die Perle?
Nun, es ist leicht, die Probleme anderer vor den Vorhang zu heben. Im Sinne des ehemaligen Bundespräsidenten Rudolf Kirchschläger, der meinte, dass der Friede im eigenen Haus beginne, müssen wir mit der Lösung der Probleme dort beginnen, wo uns dies besonders schwer fällt: bei uns selbst!
Drei Fragen
Im Anschluss an die heutigen Lesungstexte könnten uns in den kommenden Tagen folgende Fragen beschäftigen:
- Bin ich selbstlos genug, um mir Gaben zu wünschen, die zum Wohle meines Nächsten eingesetzt werden könnten?
- Welche Beziehung habe ich zu Gott? "Denn alle, die er im Voraus erkannt hat, hat er auch im Voraus dazu bestimmt, an Wesen und Gestalt seines Sohnes teilzuhaben, damit dieser der Erstgeborene von vielen Brüdern sei." Bemühe ich mich wenigstens in Ansätzen zum Bruder zu werden?
- In was investiere ich meine Energien - such ich nach dem Schatz, der Perle oder finde ich mich damit ab, gemeinsam mit den unreinen Fischen aussortiert zu werden?