Ein unreiner Geist
Das Evangelium beginnt mit der Heilung eines unreinen Geistes. Diese Perikope lässt doch einige Fragen offen, die nicht leicht zu beantworten sind: die Frage nach "unreinen Geistern", in weiterem Zusammenhang nach dem Bösen und Besessensein. Wie soll man damit umgehen? Heilung ja, aber wie? Was ist bzw. worin besteht die "Lehre in Vollmacht"?
Auch im Christentum hören wir, genauso wie in anderen Religionen, von guten, helfenden, aber auch bösen, störenden Geistern. So erwächst allmählich die Erkenntnis, dass der Mensch nicht nur helle Seiten, sondern auch Schattenseiten in sich trägt.
Besessen, besetzt...
Die "unreinen Geister" werden zweimal in dieser Stelle erwähnt, und Markus spricht auch in Kapitel 5 von der Heilung des Besessenen in Gerasa. Wie wir heute wissen, gibt es psychosomatische Zusammenhänge und Vorgänge. Besessenheiten sind krankhaft, sind Süchte, etwa nach Drogen, Alkohol. Auch sehr gebildete Menschen wissen, dass zuviel Alkohol der Gesundheit schadet, Unglück verursacht, dass Drogen nur für ganz kurze Zeit in eine scheinbar bessere Welt versetzen - trotzdem frönen sie dem Laster und werden abhängig.
Wahnvorstellungen wiederum gehen auf Besetztheit zurück, sind meist krankhafte Entwicklungen, bei denen Verhaltensabläufe entstehen, die unverständlich, ja gefährlich werden können (dissoziative Störungen). Die Grenzen von Besessenheit und Besetztheit sind sehr fließend, sind berauschend, wie eine Redewendung zeigt: machtbesoffen sein; Verfolgungswahn mit allen unangenehmen Begleiterscheinungen. Dadurch werden verschiedene Geisteshaltungen offenbar. Manche dieser Formen können sich auch in krankhaften körperlichen Erscheinungen zeigen. Wenn die Psyche krank ist, trifft das auch sehr oft den Körper.
Zerstörerische Kräfte
Zur Zeit Jesu und auch noch danach sah man Fieberanfälle, Epilepsie als unheimliche, nicht erklärbare Phänomene an, die dem Bösen, dem Dämonischen zugeschrieben werden. Und tatsächlich gibt es auch im Inneren des Menschen die Kraft der Zerstörung, sogar den Todestrieb. Blicken Sie nur in die Zeitungen, ins Internet oder Fernsehen. Da finden Sie alles bestätigt.
Heilende Kräfte
Dieser Mann, der uns im Evangelium dargestellt wird, den Jesus heilt, hat beide Kräfte in sich: die Kraft des Lebens, aber auch die Kraft der Zerstörung. Eine lebenslange Bewährung wird sein, wie wir mit diesen kaum lösbaren Gegensätzen umgehen. Es gibt Menschen, die haben die Fähigkeit durch Berührung, Handauflegung, durch eine angenehm vertraute Stimme, durch ein einladendes Äußeres etwas zu bewirken. Dann sprechen wir von der Aura, vom Fluidum einer Person.
Es ist schön, wenn wir sagen können: Du bist ein Segen für uns. Sie wird uns im Evangelium in der Person Jesu vorgestellt, weil er gekommen ist zu heilen, was verwundet ist und als wirksamer Ausdruck der Gottesherrschaft auch zu retten. Leider wird das nicht überall begriffen, deshalb scheint nach wie vor auch die Macht der Zerstörung Oberhand zu gewinnen.
Die Überwindung des Bösen
"Heiliger Gottes" ist ein christologischer Titel, der sagt: Jesus stellt sich der Macht der Zerstörung entschieden entgegen.
"Lehre in Vollmacht", was das ist, sagt der Text an dieser Stelle nicht konkret. Die Austreibung wird als Folge der Lehre Jesu angesehen und auf seinem Weg mit den Jüngern später entwickelt. Dazu zählt auch, dass jeder sein "Kreuz auf sich nimmt", ihm "nachfolgt" (Mk 8,34f) und sich zu Christus bekennt. Es geht somit um die Überwindung des Bösen. Grundsätzlich ist dieser Kampf schon entschieden. Die Frage ist nur, welchen Mächten wir glauben.
Welche Möglichkeiten einer Heilung gibt es heute außer medizinischen psychotherapeutischen Behandlungsweisen? Heilung wird nicht durch gewaltsame Ausrottung des Bösen, sondern durch Liebe möglich werden: durch Sozialkontakte, etwa eingebunden in eine lebendige Pfarrgemeinde, die Vertrauen stärkt.
Wenn wirklich Böses durch die Tat eines Menschen geschieht, darf trotz allem keiner zum Teufel gemacht werden. Genau das ist unfassbar, nicht zu erklären, geradezu paradox. Der Glaube bekundet darüber eine Fassungslosigkeit, die Opfer wie Täter gleichermaßen ernst nimmt. Wie können wir diesem Umstand aus gläubiger Sicht begegnen? In wenigen Tagen beginnt die Vorbereitungszeit auf Ostern. Vielleicht hilft schon jetzt ein Blick auf das Kreuz mit einem der "Sieben Worte Jesu" nach Lk. 23,43: "Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein." Neben Jesus hängt der Gute neben dem Bösen. Mit b e i d e n tritt Jesus ins Gespräch. Er scheut nicht auch Kontakt mit dem Bösen zu haben, weil er alle - auch die Sünder retten will. Eine gute Nachricht für diesen 4. Sonntag im Jahreskreis, verbunden mit großer Selbstüberwindung, die uns zum Guten, auch zum inneren Frieden, führt.
Martin Leitgöb (2006)