Dreisatz
Eine Predigt über eine Predigt - das ist schon etwas!
Eine Predigt Jesu über die Predigt eines Propheten - das ist noch mehr!
Eine Predigt Jesu über das Neue ganz und gar aus dem Alten - das ist die Krönung!
Bei den Hinterwäldlern
Aber erst einmal langsam zum Mitdenken. Lukas nimmt uns heute mit nach Nazareth. Hier ist Jesus aufgewachsen. Hier kennt ihn jeder. Hier nennen sie ihn alle nur mit Vornamen. Jesus. Für uns hat der Name einen besonderen Klang. In Nazareth war es ein Allerweltnamen. Verwundert werden die Menschen fragen: Ist das nicht der Sohn des Zimmermanns? Dabei werden sie sich vielsagend ansehen.
Nach langer Zeit ist Jesus wieder einmal zu Hause. Mit den Leuten aus seinem Dorf geht er am Sabbat in der Synagoge. Heute ist er sogar dran, aus der Bibel vorzulesen - und eben auch die Stelle zu erläutern. Nichts Besonderes. Ich sehe die große Rolle auf dem Pult - aufgerollt . Die Stelle, die heute dran ist, zeigt sich in ihrer ganzen Schönheit. Buchstabe für Buchstabe gemalt. Jesaja! Wie alt mag Jesus sein? Viele haben ihn lange nicht mehr gesehen. Viele haben aber von ihm gehört. Er soll großartig reden können, sagen die einen, er soll sogar Wunder tun, flüstern die anderen. Geredet wird viel, wenn der Tag lang ist. Jetzt reicht es wenigstens für die Vorschusslorbeeren. Verwundert, vielleicht sogar ein wenig lakonisch, vermerkt Lukas, der sich dieser Geschichte angenommen hat, dass er "von allen gepriesen" wird. Wenn das man gut geht!
Überhaupt: Lukas erzählt die Geschichte Jesu für einen lieben Freund, den hochverehrten Theophilus. Ob der überhaupt weiß, wo Nazareth ist? Über Galiläa machten die Leute ihre Witze - wie die Schweizer über die Appenzeller und die Deutschen über die Ostfriesen. Hinterwäldler, alles Hinterwäldler! Mensch, Lukas, du spielst mit den Vorurteilen!
Sie können es kühn nennen, meinetwegen auch verwegen: Hier in Nazareth - wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen - wird eine Predigt gehalten, die Weltgeschichte schreibt. Eine Predigt über eine Predigt!
Die offene Buchrolle
Was ist denn heute dran? Am liebsten würde ich Ihnen den ganzen Gottesdienst aus Nazareth erzählen - wenn ich es nur könnte! Ich weiß leider auch nicht mehr als Sie gehört haben. Entschuldigung. Lukas, der Evangelist, inszeniert auch nur einen Abschnitt - eben die Lesung aus den Propheten. Übrigens: an diesen Brauch halten wir uns bis heute. Mehr als Abschnitte passen nicht in den Kopf, nicht in das Herz.
Die Predigt, die auf dem Pult liegt, wurde von Jesaja gehalten. Sie wurde in schwerer Zeit gehalten. Als Israel aufgerichtet werden musste, Trost brauchte, nach Hoffnung lechzte. Die Menschen sahen sich am Ende. Am Ende ihrer Geschichte, am Ende ihres Glaubens. Das Gott tot sei, wagten sie zwar noch nicht zu sagen, aber es lag wie ein schrecklicher Zweifel über ihren Geschichten und Biographien: Gott hat uns aufgegeben. - Es hat schon etwas, wenn auch diese Erfahrungen in der Schrift aufbewahrt werden, die wir die Heilige nennen.
Wir hören Jesaja sagen:
Der Geist des Herrn ruht auf mir;
denn der Herr hat mich gesalbt.
Er hat mich gesandt,
damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe;
damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde
und den Blinden das Augenlicht;
damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze
und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe.
Gut Zweieinhalbtausend Jahre später werden wir von diesen Worten immer noch angerührt und aufgescheucht. Ein Wort gibt das andere - ein Wort braucht das andere. Gott gibt seine Menschen nicht auf. Den Armen wird eine gute Nachricht gebracht, Gefangenen die Freiheit, Blinden das Licht, Zerschlagenen die Freiheit verkündet. Ein Gnadenjahr Gottes wird ausgerufen! Laut, öffentlich, mutig. Mit dem Gnadenjahr verbinden sich seit alters her die größten Hoffnungen: dass eine ausweglose Geschichte einen Ausweg bekommt, dass Ruhe einkehrt, dass Menschen aufatmen und neu anfangen können. Jesaja lehnt sich weit aus dem Fenster. Wo doch so viele Menschen ihre Hoffnungen verloren haben!
Ich müsste Ihnen jetzt die Geschichte von der babylonischen Gefangenschaft des Volkes Israel erzählen. Wenn uns nur die Zeit nicht davon liefe! So denken wir jetzt nur an die Predigt, die Jesus hält - und die mit einem Satz auskommt: Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt.
Ich wüsste zu gerne, ob Jesus nicht mehr gesagt hat. Ein Satz! Nur ein Satz? Und dann auch noch solchen! In dieser Synagoge! Unter diesen Menschen! Jesus präsentiert sich in seiner Heimatstadt Nazareth als - Messias. Messias, das ist der von Gott gesalbte und gesandte Bote. Jetzt wird das Evangelium verkündigt (sprich: die gute Nachricht), die Schuldverstrickungen werden aufgekündigt, eine weite Sicht in das Leben geschenkt und den Zerschlagenen, Verbrauchten und Abgeschriebenen Zukunft, Liebe verkündigt. Jetzt wird ein Gnadenjahr Gottes ausgerufen. In Nazareth! Bei den Hinterwäldlern. Bei uns auch - sorry, auch wenn wir keine Hinterwäldler sind. Wie das im Evangelium so ist: Jetzt ist Jetzt, Heute ist Heute. Schaut mal auf die Uhr!
Es wird eine große Hoffnung laut.
Aufgelöst wird, was uns schuldig spricht, womit wir uns schuldig sprechen. Wir werden noch einmal neu anfangen. Menschen werden mit ihren eigenen Augen die Welt, sich selbst, gar Gott neu sehen lernen. Wo alles am Ende zu sein scheint - jetzt tut sich eine große Freiheit auf. Es ist, als ob enge Räume weit werden, enge Gedanken aufbrechen, enge Herzen aufatmen. Es werden Wege sichtbar. Ein Gnadenjahr Gottes: alte Geschichten dürfen sich zurückziehen - neue Geschichten werden erzählt.
Vielleicht reicht dieser eine Satz wirklich: Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt.
Das ist schon ein Anspruch! Was die Leute wohl denken? In Nazareth? Die Spielkameraden Jesu von einst, die Nachbarn der Eltern, die Kinder, die langsam erwachsen werden. Die Honoratioren schütteln die weisen Häupter, die Autoritäten sind alarmiert. Lukas erzählt später, dass Jesus aufpassen muss. Ihm droht der Tod. Schon in Nazareth. Dabei legt er doch nur die Schrift aus.
Oder ist es nicht doch - mehr?
Das Alte neu
In seiner Heimatstadt identifiziert sich Jesus mit einer alten Predigt, tritt in eine alte Geschichte ein und legt alte Worte aus. Er übernimmt sogar die alte Rolle: die Rolle des Gesalbten, des Messias. Messias heißt auf Griechisch: Christus. Der Gesalbte. Es ist gut zu wissen, dass die alte Rolle ein neues Gesicht bekommt - und ein endgültiges. Jesus ist der Name - Christos die königliche Würde, der höchste Titel, die Auszeichnung für alle Zeit. Von Gott verliehen. Seine Verheißungen können nicht veralten, verfallen oder hinfällig werden. Für diese Gewissheit reicht ein Satz: Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt.
Haben Sie gemerkt? Es ist Jesu Antrittspredigt.
Professoren, die einen Lehrstuhl übernehmen, halten eine Antrittsvorlesung.
Geschäftsführer, die bestellt werden, halten eine Antrittsrede.
Pfarrer, Bischöfe und Papst halten, ganz am Anfang, ihre Antrittspredigten.
Am Anfang hören wir den Klang der Worte, sehen wir Gesichter, bilden wir uns eine Meinung. Von dem, von der. Angeblich täuscht der erste Eindruck nicht. Heute stehen wir noch einmal am Anfang!
In Nazareth hinterlässt Jesus einen zwiespältigen Eindruck. Ist es sein Anspruch, der auf Widerstand stößt? Ist es die Verheißung, die sowieso nie in Erfüllung gehen kann? Ist es die Angst, dass sich tatsächlich etwas ändern könnte?
Mit Jesus aber lebt die alte Hoffnung auf.
Mit Jesus ist ein Gnadenjahr ausgerufen - es lässt sich nicht auf 365 Tage eingrenzen..
Mit Jesus fängt eine neue Geschichte an.
Es ist auch meine Geschichte.
Eine Predigt über eine Predigt - das ist schon etwas!
Eine Predigt Jesu über die Predigt eines Propheten - das ist noch mehr!
Eine Predigt Jesu über das Neue ganz und gar aus dem Alten - das ist die Krönung!
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.