Kampfplatz Religion?
"Wes das Herz voll ist, geht der Mund über", heißt es im Sprichwort. So scheint es auch bei Stephanus gewesen zu sein. Neubekehrte sind oft kämpferisch. Ihr Herz ist übervoll. Interessant ist das Umfeld, in dem sich die Auseinandersetzungen abspielen. Zunächst kam es zu Spannungen innerhalb der Jerusalemer Christengemeinde. Die Bedürftigen der griechischsprachigen aus der Diaspora zugezogene Juden, kamen gegenüber den einheimischen zu kurz. Stephanus ist einer von den sieben Diakonen, die eingesetzt wurden, um für die gerechte Verteilung der gemeinsamen Mittel zu sorgen. Seinem Namen nach war er selbst griechischsprachiger Herkunft.
Die Auseinandersetzung nach seiner Predigt spielen sich auch vorwiegend zwischen Mitgliedern der griechischsprachigen Juden ab. Zu ihnen gehört auch Saulus. Sie alle sind jung und bereit für ihre religiöse Überzeugung zu kämpfen. Sprache und Religion sind für Menschen, die dabei sind ihre Identität zu festigen, attraktive Tummelplätze - auch heute noch.
Aber zeigt sich gerade darin nicht die gefährliche Seite von Religion? Junge Menschen suchen sich durch Religion und Weltanschauung zu profilieren und sind bereit, dafür zu kämpfen; zunächst mit Worten, aber die Eskalation liegt nahe. Ist das nicht eine Schwachstelle aller Religionen? Wie können wir dem begegnen? Wie können wir als Christen damit umgehen?
Jesus ein Friedenskönig?
Jesus selbst hat für seine Überzeugung gekämpft. In Streitgesprächen mit seinen Gegnern hat er seine Sichtweise geschärft und dargelegt. "Ich aber sage euch...!" (Mt 5), ist ein Schlüsselsatz der Bergpredigt. Von Jesus werden auch Sätze überliefert wie "Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert." (Mt 10,34). Ist uns damit nicht schon ein grundsätzliches Problem in die Wiege des Christentums gelegt?
Jesus war aber auch überzeugter Pazifist. Er sagt zu dem Jünger, der ihn bei seiner Gefangennahme mit dem Schwert verteidigen will: "Steck dein Schwert in die Scheide; denn alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen." (Mt 26,52). Pilatus gegenüber betonte er, dass sein Reich nicht von dieser Welt sei und dass für ihn kein Heer kämpfen werde...
Der Friedenskönig, dessen Geburt wir gestern gefeiert haben und der zum Zeichen seiner Friedfertigkeit auf dem Fohlen einer Eselin in Jerusalem eingezogen ist, bringt kein harmloses Weichspülprogramm. Seine Botschaft will Bekehrung, fordert Umkehr und provoziert Widerstand.
Das Beispiel des Stephanus
Die Botschaft Jesu führt nicht zwangsläufig zu einer Mission mit Feuer und Schwert. Sie ist aber immer wieder in diese Richtung missverstanden worden. Stephanus ist ein hervorragendes Beispiel für die Gratwanderung, die uns Christen in der Nachfolge Jesu abverlangt wird. Seine jungen Kontrahenten spüren sehr genau, wohin die Botschaft Jesu führt. Sie fürchten, dass er, Jesus, "diese Stätte" (Apg 6,14) - gemeint ist wohl der Tempel als Ort der Gottesverehrung - zerstören und die überlieferten Bräuche ändern werde. Dies wollen sie verhindern, indem sie Stephanus zu Tode bringen. Stephanus hingegen tritt in die Fußstapfen Jesu, indem er im Sterben noch betet: "Herr Jesus, nimm meinen Geist auf! Dann sank er in die Knie und schrie laut: Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an!" (Apg 7,59 f).
Mission heute?
Wie aber können wir die Botschaft Jesu heute authentisch leben und weitergeben, ohne dabei in die Gewaltfalle zu tappen? Dabei reicht es nicht, dass wir das Schwert durch subtilere Formen von Gewalt ersetzen; durch kulturelle Überlegenheit etwa.
Im Laufe meines Missionarslebens - die Ordensgemeinschaft der Redemptoristen sieht "Mission" als ihre Hauptaufgabe - bin ich zum Schluss gekommen, dass Mission bei mir selbst beginnen muss. Wer sich von der Botschaft Jesu prägen lassen will, muss sich täglich neu dem Anspruch dieser Botschaft aussetzen und seine Lebensweise von dieser Botschaft her in Frage stellen lassen. Er/sie muss sich selbst evangelisieren und evangelisieren lassen.
Das ist gar nicht so einfach. Denn solange im Leben alles glatt geht, gleitet der Anspruch der Frohen Botschaft an mir ab, wie der Regen am Regenschutz. Unter die Oberfläche gelangt die Kraft des Evangeliums meist erst dort, wo die glatte Oberfläche unseres Lebens Risse bekommen hat; etwa durch Schicksalsschläge, durch Scheitern, durch Erfahrung der eigenen Ohnmacht... Hier kann durch die Kraft des Geistes Neues entstehen.
Selbstevangelisierung
Der Evangelisierungsauftrag der Kirche ist für mich vor allem ein Auftrag zur täglichen Selbstevangelisierung. An uns selbst spüren wir, wie resistent ein jeder gegen Veränderung ist. Das gilt nicht nur für den einzelnen Christen, das gilt auch für geistliche Gemeinschaften wie Orden oder Pfarrgemeinden. Das gilt für alle christlichen Gliederungen bis hinauf in die hierarchischen Spitzen...
Haben wir aber nicht den Auftrag, das Evangelium in die ganze Welt hinauszutragen? Wir können wir dann andere evangelisieren?
Ich für meinen Teil bin zum Schluss gekommen, dass ich andere Menschen nicht evangelisieren kann. Was ich dazu beitragen kann, ist lediglich ihnen zeigen, wie ich Bibel lese, wie ich versuche, mich dem Anspruch des Evangeliums zu stellen. Ich lade in Gemeinden ein, gemeinsam die Bibel zu lesen und sich darüber auszutauschen, was uns der Geist Gottes durch das Lesen der Frohen Botschaft sagt. Und ich habe begonnen darauf zu vertrauen, dass dies genügt. Das Weitere tut der Geist Gottes. Er evangelisiert.
Vor zwei Jahren stieg ich auf dem Rückweg aus dem Urlaub in einen Fernzug ein. In dem Abteil, in dem ich Platz fand, saß bereits ein junger Mann mit einem großen Rucksack über sich in der Gepäckablage. Er las in einem abgegriffenen dicken englischsprachigen Buch. Zwei Plätze wurden dann noch von Frauen eingenommen. Die eine trug ein Ordenskleid, die andere war wohl eine Mitschwester in Zivilkleidung. Nach einigen Minuten legte der junge Mann sein Buch weg und fragte, ob von uns jemand eine Bibel bei sich habe. Er fand die Lektüre seines Buches nicht mehr interessant genug. Es sei immer das Gleiche, was er da lese. Da niemand von uns eine Bibel dabei hatte, bot ich ihm an, er könne die Bibel auf meinem Laptop lesen. - Dank "Predigtforum" begleitet mich mein Laptop auch im Urlaub... - Er nahm das Angebot gerne an. Ich startete das Bibelprogramm und suchte den Beginn des Markusevangeliums. Er begann zu lesen. Es dauerte nicht lange und wir fanden uns mitten in einem Gespräch, was diese Erzählungen für uns heute bedeuten könnten. Dabei zeigte sich, dass er bisher mit Bibellesen noch kaum Erfahrung hatte.