Es muss nicht immer erst weh tun
Wenn man kleine Kinder beobachtet, wie sie sich ihre Welt erobern, dann ist das oftmals ein ganz amüsantes Schauspiel. Sie probieren aus, erleben Missgeschicke und je nach Fähigkeit, solche Erfahrungen zu verarbeiten, geschehen diese Missgeschicke öfter oder seltener. Dazu gehört dann vielleicht auch der berühmte Kontakt mit der heißen Herdplatte, nach dem eigentlich ein vorsichtigerer Umgang mit dem Gerät angesagt sein sollte.
Die einen lernen schneller, die anderen langsamer. Das Prinzip ist immer dasselbe: Eindrücke werden auf der Ebene der konkreten Erfahrung gemacht und anschließend - gleichsam - hochgerechnet auf ähnliche Situationen. Auf diese Art funktioniert nicht nur das individuelle Lernen von Menschen, sondern auch so manche erfahrungsgeleitete Wissenschaft. Nach einer Erfahrung versucht man, sich zu einer verallgemeinernden Theorie durchzuringen.
Alles Theorie?
In einem solchen Verhältnis muss man den bekannten Einleitungstext zum Johannesevangelium und letztendlich das ganze Evangelium lesen. Viele Jahrzehnte nach dem Tod Jesu und im Angesicht der ersten Gemeinden in seiner Nachfolge reflektiert Johannes auf philosophischem Niveau seine Erfahrungen mit dem Mann aus Nazareth, der so nachhaltig in das Leben der Menschen eingegriffen hat. Die Theorie des Johannes, also seine Theologie, versucht von der Erfahrung mit diesem Jesus eine Erklärung für sein Auftreten und sein Wirken zu finden.
Drei sehr zentrale Bekenntnisstellen des Johannesevangeliums sind dabei effektvoll eingesetzt: zum einen die Eingangsworte, die wir gehört haben, zum anderen der Satz "Ich und der Vater sind eins” (10,30) ziemlich genau in der Mitte des Evangeliums und schließlich ganz am Ende die Aussage "Diese (Zeichen) aber sind aufgeschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Messias ist, der Sohn Gottes”. Im Wechselspiel von Erzählungen und Reflexionen versucht Johannes den Menschen, die ihn hören, das eigentliche Wesen Jesu verständlich zu machen: Dieser Mann ist Gottes Sohn, ist Gott selbst.
Dann stellt sich bald einmal die Frage: Warum so kompliziert, geht das nicht auch einfacher? Nun: Zunächst einmal ist der Autor des Johannesevangeliums ein Denker und Philosoph und liebt das Spiel mit der Sprache und den Gedanken, liebt das Ideenkonstrukt. Lassen wir ihm das doch! Wichtiger ist die Frage, warum es denn Johannes nicht einfach beim Erzählen von ausgefeilten Geschichten belassen hat, die unter die Haut gehen.
Vom Hören der Worte zum Verstehen der Botschaft...
Erfahrungen, die wir Menschen machen, haben leider die Angewohnheit bald einmal wieder zu verblassen. Nach dem Griff auf die heiße Herdplatte braucht es die Reflexion, die Erklärung, das mahnende 'Siehst du, das macht man besser nicht' der Mutter, um abzuwenden, dass das ein nächstes Mal geschieht, wenn die Hand nicht mehr weh tut. Klar: Oft nutzen Mahnungen nichts, aber sie erhöhen doch die Chance zu lernen.
Ebenso steht es um die Erklärungen, Ausdeutungen und Philosophien eines Johannes: Allein das Kennen der Geschichten Jesu reicht nicht, - es bedarf der Ausdeutung, der Erhellung, der Weiterführung. Es bedarf des Wissens um die Absichten Jesu, um die Bedeutung seines Todes und seiner Auferstehung für heute nachvollziehen zu können. Gottesbegegnung, Glaube als Erfahrung unseres Lebens und seine Reflexion als stetig vorangehende Verinnerlichung müssen einander unbedingt ergänzen. Das Johannesevangelium ist dafür ein hervorragendes, wenn vielleicht auch etwas kompliziertes Beispiel.
Mit dem gehörten Prolog legt der Autor des Evangeliums den roten Faden des Buches. Diese Reflexion trifft auf unser Ohr unmittelbar nach den Feiern des Geburtsfestes Jesu. Dieses Fest ist sehr massiv geprägt von eingehenden Stimmungen. Das wollen wir uns auf keinen Fall nehmen lassen und das ist auch gut und richtig so. Aber: Die Emotionen des Weihnachtsfestes sind zumeist, aber nicht immer nur schön. Die Zeitungsmeldungen der Festtage zeigen, dass gerade an diesen so stimmungsvollen Tagen auch viele Konflikte eskalieren, weil eben auch negative Gefühle an diesen so gefühlsbetonten Tagen hoch kommen.
...zum lebendigen Glauben
Dann ist es umso wichtiger, damit dieses Fest unseres Glaubens nicht zu einem Happening verkommt oder zur tragischen Lebenssituation eskaliert, dass der Grund des Feierns nicht aus dem Blick gerät. Das ist die eindringliche Botschaft des Johannes: Wir feiern Weihnachten nicht allein - wenn auch wohl - wegen des Kerzenscheins und des Zimtduftes, sondern zu allererst aus diesem einen Grund: "Und das Wort ist Fleisch geworden / und hat unter uns gewohnt / und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, / die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, / voll Gnade und Wahrheit.”
Das so hochphilosophische Johannesevangelium ist somit auch eine eindringliche Einladung: Genießt wohl bei all den Feiern all das Schöne, das ihr erlebt! Aber vergesst dabei nie, was der Grund eures Feierns ist. Und dieser Grund trägt eben auch dann noch, wenn der Christbaum seine Nadeln längst verloren hat.