Wie sehen mich die anderen?
Erinnern Sie sich noch an die Bewerbungsgespräche, die Sie im Laufe Ihres Berufslebens geführt haben? Bei manchem liegt das letzte Gespräch vielleicht schon Jahrzehnte zurück, andere haben sich das letzte Mal erst vor wenigen Jahren oder Monaten beworben. Es ist eine anspannende Situation. Jeder weiß, dass neben den Zeugnissen und Beurteilungen vor allem der persönliche Eindruck wichtig ist. Mein Auftreten, meine Umgangsformen, die Art und Weise zu antworten usw. Ich möchte ein positives Bild von mir vermitteln, um möglichst gute Chancen zu haben, den Job auch zu bekommen. Manchmal gelingt es und manchmal auch nicht. Besonders enttäuschend ist es, wenn der Personalchef ein ganz anderes Bild von mir gewonnen hat, als ich vermitteln wollte bzw. als ich selber von mir habe.
Wer Mut hat, fragt manchmal gute Freunde danach, wie andere mich sehen und was sie selber von mir halten. Im heutigen Evangelium sind wir Zeugen eines solchen Gespräches geworden. Christus fragt seine Jünger danach, für wen die Menschen ihn halten. Und danach, welches Bild sie selbst von ihm haben. Ein mutiger Schritt! Und sozusagen auch ein Zwischenzeugnis für seine Verkündigung: Haben die Menschen, haben seine Jünger die Botschaft verstanden, die er vermitteln will?
Es fällt auf, dass seine Zuhörer und Zuhörerinnen ganz in ihrer überlieferten Tradition verwurzelt geblieben sind: Sie vergleichen den Herrn mit einem der großen Propheten des Judentums. Von Gott gesandte Menschen, die das in der (fernen) Zukunft liegende Kommen Gottes ankündigen und bis dahin die Menschen zur Umkehr, zu einer gerechten sozialen Praxis und zu einem dementsprechend ausgerichteten Tempelkult aufrufen.
Nun wird es spannend: Welches Bild haben seine engsten Freunde von ihm? Für wen halten sie ihn? Petrus, der hier als Sprecher der Jünger auftritt, antwortet ihm: Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes.
Beide Begriffe sind uns sehr vertraut. Es lohnt sich aber trotzdem, sie vor allem in ihrem Kontakt zu den Vorstellungen der anderen Leute noch einmal zu betrachten.
Messiasträume
Mir der babylonischen Gefangenschaft geht um 586 v. Christus das jüdische Königtum zu Ende. Die Verkündigung der Propheten entwickelt seitdem zunehmend die Idee einer endzeitlichen Rettergestalt, deren Kommen alles verändern wird: Ein von Gott ausgewählter Mensch, der eine radikale und endgültige Wende zur Durchsetzung der Gottesherrschaft vollziehen wird. Indem Petrus Jesus als Messias bezeichnet, sagt er letztendlich: Anders als die alten Propheten warten wir nicht mehr auf Gottes rettendes Eingreifen in die Welt. Wir glauben, dass Gott in deiner Person dieses Eingreifen jetzt endgültig begonnen hat.
Christus ist aber nicht nur der erwartete Messias, sondern auch der Sohn des lebendigen Gottes. Die endgültige Aufrichtung der Gottesherrschaft überträgt Gott nämlich nicht einem auserwählten Menschen. In Jesus Christus ist er selbst in diese Welt gekommen, um seiner Herrschaft den endgültigen Durchbruch zu verschaffen.
Leben in Fülle - das ist das, was Gott für uns will. Leben. Der größte Feind des Lebens ist der Tod, der das Leben endgültig vernichtet. Diesen Feind hat Christus, der Sohn des lebendigen Gottes am Ostermorgen besiegt. Der Tod konnte ihn nicht festhalten. Christus ist auferstanden von den Toten und hat das Leben für alle neu geschaffen.
Petrus hat also wirklich Recht: Er ist der Messias und der Sohn des lebendigen Gottes. Und wenn man uns heute fragen würde, würden wir wahrscheinlich auch diese Antwort geben.
Warten auf das Eingreifen Gottes
Tja, aber ehrlich gesagt: Ist das wirklich unsere innerste Überzeugung? Die Terrorwelle, die Europa zur Zeit überzieht. Säbelrasseln in Korea. Eine Nation, die nicht am Wohlergehen aller Völker interessiert ist, sondern nur ihre eigenen Interessen durchsetzen will. Wir erleben eine zunehmende Vereinsamung der Menschen in unserem Land. Trotz guter wirtschaftlicher Zahlen wächst die Schere zwischen Armen und Reichen. Die Liste ließe sich beliebig verlängern. Wenn ich das in mein Herz hineinlasse, dann sehe ich mich manchmal mehr auf der Seite der „Leute“ im heutigen Evangelium als auf der Seite des Petrus. Eher auf der Seite derer, die auf das Eingreifen Gottes immer noch warten, als auf der Seite derer, die überzeugt sind, dass der Anbruch der Gottesherrschaft tatsächlich schon begonnen hat.
Das ist das Perfide der lebensfeindlichen Kräfte. Obwohl sie durch den Sieg Christi am Kreuz tödlich getroffen sind, haben sie immer noch Macht über uns und versuchen unser Vertrauen in die längst angebrochene Gottesherrschaft zu zerstören.
Sensibel werden für das Wirken Gottes in der Welt
Mir ist es wichtig, meine Sinne immer wieder zu schärfen und eine hohe Sensibilität für Gottes Wirken in dieser Welt zu entwickeln. Ich denke zum Beispiel an die klatschenden Menschen nach der Gedenkminute für die Opfer des Anschlages in Barcelona: „Wir haben keine Angst!“ - riefen sie minutenlang rhythmisch im Chor. Ich denke an die vielen Ehrenamtlichen, die sich in kommunalen oder auch kirchlichen Initiativen für Senioren und Seniorinnen engagieren, um der Alterseinsamkeit und Altersarmut etwas entgegen zu setzen. Ich denke an die Engagierten in den Hospizvereinen, die Menschen in Würde in der letzten Phase des Lebens begleiten und sich so mutig und engagiert gegen Tötung auf Verlangen einsetzen. Ich denke auch die Vielen, die trotz Unverständnis oder auch Spott ihrer Mitmenschen, treu zum christlichen Glauben stehen und sich in unseren Kirchengemeinden engagieren.
Es stimmt einfach nicht, dass das Böse stärker ist, als das Leben. Das Böse erzielt nur mehr Aufmerksamkeit. Was bleibt ihm auch anderes übrig? Es hat verloren. Gewonnen hat die Herrschaft Gottes, die ich immer mehr spüren darf.
Ich möchte mich bemühen, dieses vielfältige Wirken Gottes in der Welt und in meinem Leben immer stärker wahrzunehmen. Ich möchte nicht nur aus guter christlicher Tradition, sondern voller Überzeugung und Glauben sagen können: Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes.