Wohin mit Freude und Schmerz?
"Wohin soll ich mich wenden, wenn Gram und Schmerz mich drücken? Wem künd' ich mein Entzücken, wenn freudig pocht mein Herz?" lauten die Anfangszeilen eines Kirchenliedes, das einige Kirchenmusiker vergeblich aus dem kirchlichen Liedschatz zu verbannen suchten. Vielleicht hat dies damit zu tun, dass manchen Menschen schon am eigenen Leib, besser an der eigenen Seele, Gefühle und Gemütsverfassungen erlebt haben, die sie mit niemand aus ihrer Umgebung teilen konnten; seien es schmerzliche oder auch freudige.
Vor Jahren wandte sich eine Krankenschwester an mich. Sie war von einem Kollegen schwanger. Dieser wollte von der Beziehung nichts mehr wissen, als er von ihrer Schwangerschaft erfuhr. Auch ihre Angehörigen legten ihr nahe, sich das Kind nehmen zu lassen. Doch dies kam für sie von Anfang an nicht in Frage. Sie fühlte: Dies ist mein Kind und das lass ich mir nicht nehmen. Zu mir kam sie in der Hoffnung, dass sie jemand trifft, der sie versteht und mit dem sie ihre Vorfreude auf ihr Kind teilen konnte. Die Fragen nach ihrer beruflichen Zukunft und der wirtschaftlichen Absicherung hatte sie schon mit einer Beratungsstelle geklärt. Ich war zutiefst berührt von ihrer Entschlossenheit, durch diese schwierige Phase hindurch zu gehen. Sie suchte mich mehrmals auf, bis sie in ihrem Umfeld Menschen fand, die ihr beginnendes Mutterglück mittrugen.
Die Freude zweier schwangerer Frauen
Das Evangelium stellt uns heute zwei Frauen vor, die überglücklich sind, jemand zu begegnen, die ihre Freude und vielleicht auch ihre ganze Unsicherheit und Angst mitvollziehen konnte. Beide sind unter sehr ungewöhnlichen Umständen schwanger geworden, und es war vermutlich nicht leicht, Verständnis dafür zu finden.
In der Freude ihrer Begegnung schwingt jedoch noch eine andere Ebene mit: Beide Frauen sind davon überzeugt und bringen es überschwänglich zum Ausdruck, dass Gott in außergewöhnlicher Weise an ihnen gehandelt hat. Sie wissen sich von ihm in besonderer Weise gesegnet. Mit wem könnten sie eine so dichte Glaubenserfahrung teilen? Es ist nicht einfach jemand zu finden, mit dem man so persönliche Glaubenserfahrungen teilen kann. Und oft haben die eigenen Partner keine Antenne dafür.
Diskutieren kann man heute ohne Tabu über fast alles. Ganz persönliche Glaubenserfahrungen möchte ich aber keiner Diskussion preisgeben. Dafür wünsche ich mir Gesprächspartner, die mich anhören, verstehen und bereit sind, den kostbaren Schatz meiner Erfahrung mit mir zu hüten. Und manches Mal geschieht es, dass mir dann mein Gegenüber seine/ihre persönlichen Erfahrungen anvertraut.
Freude und Hoffnung, Trauer und Angst miteinander teilen
"Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände", lautet der programmatische Beginn des wohl wichtigsten Dokumentes des Zweiten Vatikanischen Konzils mit dem Titel "Über die Kirche in der Welt von heute". Es legt die Leitlinien des Dienstes der Kirche und jeder kirchlichen Seelsorge fest.
50 Jahre nach dem Konzil müssen wir uns die Frage stellen: Wie weit haben wir als Kirche dieses Programm umgesetzt? Sind wir als Kirche, als konkrete Pfarrgemeinde offen für die intensiven Lebens- und Glaubenserfahrungen der Menschen? Wo gibt es Orte, an denen man darüber reden kann, ohne belächelt oder irgendwie eingeordnet zu werden?
Das Programm, das uns die Konzilsväter vorgegeben haben, ist kein Zufall. Denn dort, wo Menschen miteinander ihre intensivsten Lebenserfahrungen teilen, kann die Gegenwart Gottes spürbar und sichtbar werden. Eine Kirche, in der Menschen Freude und Hoffnung, Trauer und Angst miteinander teilen, wird zum Ort der Gottesbegegnung.
Weihnachten, eine Chance zur Begegnung
In wenigen Tagen feiern wir Weihnachten. Es ist daraus ein sonderbares Fest geworden. Einerseits wurde es extrem kommerzialisiert, und weihnachtliche Stimmungen, Gefühle und Motive werden bis ans Äußerste ausgebeutet und vermarktet. Andererseits spricht dieses Fest trotz allem viele Menschen an. Vermutlich weil es eine tiefe Sehnsucht nach Begegnung in Aussicht stellt, nach Geborgenheit, die alles, was Menschen einander bieten können, übersteigt.
Das Weihnachtsfest kann diese Sehnsucht erfüllen, wenn wir zu seinem ursprünglichen Sinn zurückkehren, wenn wir zwischenmenschliche Nähe auch zulassen, wenn wir Begegnungen suchen und einander geben; Begegnungen, in der jede und jeder sein und bleiben darf, was er oder sie sind. Dies können wir von den beiden Frauen des Evangeliums lernen: die Freude teilen, miteinander Gott danken und preisen für alles, was er uns geschenkt hat. Und vielleicht erhalten wir auf diesem Wege das größtmögliche Weihnachtsgeschenk, das man auf keinem Weihnachtsmarkt erstehen kann: Dankbarkeit und Freude darüber, dass Gott mitten unter uns da ist, und wir uns von ihm gesegnet wissen dürfen.