Vermögen verdoppeln?
Finanzhaie, Hedgefond-Spezialisten, Leute aus Rating-Agenturen müssten mit diesem Evangelium eine Freude haben, wenn sie hören, wie geschickt Mitarbeiter ihr Vermögen verdoppeln. Es geht ja nicht so klar aus dem Evangelium hervor, wie sie das tun, sondern nur, dass sie tüchtig sind. Wer nicht risikobereit ist wie der dritte Diener, wird bestraft. Er verliert sogar, was er schon besessen hat und wird hinausgeworfen. Wirtschaftlich gesehen heißt das, die Geschäftsbeziehung ist abgebrochen, der Mann ist gekündigt, verliert seine Existenz.
In Zeiten großen Umbruchs, wo Menschen um ihre Arbeitsplätze zittern, um ihr Erspartes bangen müssen und auch überlegen, ob sie nicht ihr Geld (ihre Talente) bei so niedrigen Zinsen besser unter dem Kopfpolster lassen oder sich wenigstens kurzfristige Vergnügen leisten, scheint es unverständlich, dass ein Mann, der auf Sicherheit baut, der nicht die Absicht hat, zu betrügen, der alles erhalten will, so wie es ist, bestraft wird. Er muss sich sagen lassen: "Du bist ein schlechter und fauler Diener!" (Mt.25,26)
"Bei uns muss Ihr Geld arbeiten und nicht Sie!" lautete ein Werbespruch einer Bank. Das Evangelium lobt, wer das erhaltene Geld (Talent) verdoppelt. In der Bibel sind aber Zinsen umstritten. Wie also umgehen mit so einer Stelle?
Gott traut dem Menschen viel zu
Dieses Gleichnis wird bei genauerem Hinsehen von Beziehung und Vertrauen getragen und nicht von Angst. "Er rief seine Diener undvertraute ihnen sein Vermögen an." (Mt. 25,14). Gott traut dem Menschen sehr viel zu. Er verteilt auf drei Personen acht Talente - eine mathematische Spielerei. Mit Hilfe einiger Lexika fand ich heraus, dass 1Talent nach heutiger Währung ca. 222 000 EURO betragen würden. Diese Summe mit acht vervielfacht, ergibt einen Millionenbetrag. Für unsere Staatsschulden oder für Bestechungsgelder wahrscheinlich eine eher unbedeutende Summe.
Das ist aber nicht der Sinn dieser Angaben, vielmehr soll damit ausgedrückt werden, was Jesus uns anvertraut, ist unbezahlbar. Der dritte Diener nimmt aber dieses Vertrauen nicht wahr. Er gibt zu: "Weil ich Angst hatte, habe ich dein Talent in der Erde versteckt." (Mt. 25,25). Angst ist wohl einerseits ein Schutzmechanismus für unser Leben, anderseits hemmt Angst den Fortschritt. Angst kann bis zur Lähmung, Faulheit und Apathie führen. In solch einem extremen seelischen Zustand lassen sich kaum Lebensperspektiven oder gar Zukunftshoffnungen entwickeln. Diesen Zustand prangert Jesus im Gleichnis an.
Wir erleben heute in der Gesellschaft viele Ängste, die man nicht kleinreden soll. Diese Evangelienstelle ermuntert aber mit den Talenten, mit den Begabungen, die unterschiedlich verteilt sind, klug umzugehen. Interessant, dass Talent und Begabung eine Sinnverwandtschaft zulassen und man Begabungen tatsächlich in Geld umsetzen kann. Klug ist, wer einen lebendigen Geist hat, wer Ziele, auch sein persönliches Lebensziel erkennt und auch versucht, es zu erreichen, auch wenn wir Um- und Irrwege dabei in Kauf nehmen müssen.
Talente und Begabungen einsetzen
Paulus schreibt den Korinthern, dass es verschiedene Gnadengaben gibt und damit auch verschiedene Dienste, die der eine Geist in den verschiedensten Menschen wirkt: den Geist der Weisheit, der Erkenntnis, prophetisch zu reden, nicht als Kaffeesudleser und Wahrsager, sondern als Mensch, der erkennt, was jetzt und heute nottut, der sich der Folgen seiner Handlungen bewusst wird im Umgang miteinander, in der Politik, in der Wirtschaft, in der Kirche, der mit der Kraft der Argumente mutig für notwendige Veränderungen eintritt. Jesus lobt somit die beiden Diener, weil sie das auf ihre Weise unterschiedlich getan haben.
Das Gleichnis gibt aber auch Gelegenheit, nachzudenken, ob wir schon alle unsere Talente entdeckt, genützt und nicht das eine oder andere aus Angst vergraben haben. Versuchen wir aber auch neidlos in unsere Umgebung zu schauen, was es da an Talenten gibt: die Gabe des geduldigen Zuhörens, die Gabe des unerschütterlichen Glaubens und der Hoffnung trotz aller Missstände und Schicksalsschläge, die Gabe der zähen Ausdauer, auf Probleme hinzuweisen, die längst gelöst gehören, deren gibt es im kleinen Kreis und weltweit genug, auch in der Kirche.
Jeder hat etwas, keiner hat alles
Wenn in uns die Einsicht wächst, dass jeder von uns verschiedene Talente, Begabungen hat, niemand aber alles für sich beanspruchen kann, haben wir ein Etappenziel erreicht.
Vielleicht ist Gott auf diesen einen Diener nicht gut zu sprechen, weil er aus Angst nicht imstande ist, den unendlichen Reichtum der Liebe Gottes an die Menschen weiterzutragen und sichtbar werden zu lassen.
"Das Leben gelingt, wenn wir aus Vertrauen leben und nicht aus Angst, wenn wir unser Leben wagen und nicht vergraben, damit es ja keine Schramme davonträgt." (Anselm Grün).