Lesung aus der Apostelgeschichte.
In jenen Tagen
kamen einige Leute von Judäa herab
und lehrten die Brüder:
Wenn ihr euch nicht
nach dem Brauch des Mose beschneiden lasst,
könnt ihr nicht gerettet werden.
Da nun nicht geringer Zwist und Streit
zwischen ihnen und Paulus und Barnabas entstand,
beschloss man, Paulus und Barnabas
und einige andere von ihnen
sollten wegen dieser Streitfrage
zu den Aposteln und den Ältesten
nach Jerusalem hinaufgehen.
Da beschlossen die Apostel und die Ältesten
zusammen mit der ganzen Gemeinde,
Männer aus ihrer Mitte auszuwählen
und sie zusammen mit Paulus und Barnabas
nach Antiochia zu senden,
nämlich Judas, genannt Barsabbas, und Silas,
führende Männer unter den Brüdern.
Sie gaben ihnen folgendes Schreiben mit:
Die Apostel und die Ältesten, eure Brüder,
grüßen die Brüder aus dem Heidentum
in Antiochia, in Syrien und Kilikien.
Wir haben gehört,
dass einige von uns, denen wir keinen Auftrag erteilt haben,
euch mit ihren Reden beunruhigt
und eure Gemüter erregt haben.
Deshalb haben wir einmütig beschlossen, Männer auszuwählen
und zusammen
mit unseren geliebten Brüdern Barnabas und Paulus
zu euch zu schicken,
die beide für den Namen Jesu Christi, unseres Herrn,
ihr Leben eingesetzt haben.
Wir haben Judas und Silas abgesandt,
die euch das Gleiche auch mündlich mitteilen sollen.
Denn der Heilige Geist und wir haben beschlossen,
euch keine weitere Last aufzuerlegen
als diese notwendigen Dinge:
Götzenopferfleisch, Blut, Ersticktes und Unzucht zu meiden.
Wenn ihr euch davor hütet,
handelt ihr richtig.
Lebt wohl!
Konflikte gehören wohl zum Leben der Kirche wie die Eucharistie. Die erste Lesung aus der Apostelgeschichte berichtet von dem ersten grundlegenden Streitfall der jungen Urkirche. Das Problem: Muss jeder, der Christ werden will, sich dem Gesetz - der Torah - unterwerfen oder reicht auch (nur) die Taufe? Die Diskussion führte schließlich zum Apostelkonzil (44/49 n. Chr.). Nach diesem Konzil erging der Beschluss, dass, wer Christ werden wollte, nicht beschnitten werden musste. Bzgl. der Einhaltung der Kultvorschriften existieren Divergenzen zwischen der lukanischen (Apg) und der paulinischen Darstellung (Gal) der Ergebnisse des Konzils.
Die Lesungsperikope kann aus dem Fragehorizont gedeutet werden: Wie kann das kirchliche Amt handeln und entscheiden? Die Leitung der Urgemeinde war durch die Bekehrung des Kornelius und vor allem durch die Gründung von heidenchristlichen Gemeinden vor eine veränderte Situation gestellt worden, über die es zu befinden galt. Die Judenchristen hielten sich noch an das jüdische Gesetz; sollte man auch die Heidenchristen dazu verpflichten? Das kirchliche Amt könnte vor diesem Hintergrund mit einem Alleinanspruch auftreten, es mag sich im Alleinbesitz des Heiligen Geistes fühlen, es kann aber auch im gemeinsamen Hören mit allen Christen und Christinnen den Willen Gottes suchen. Die zweite Form war in der Urkirche üblich. Der Beschluss des Apostelkonzils erweist sich als Kompromiss. Grundsätzlich war klar, dass nicht das Gesetz rettet, sondern die Gnade Christi. In der Praxis versuchte man zu einer mittleren Linie zu kommen. Geschwisterliche Rücksichtnahme bei aller grundsätzlichen Klarheit stellt sich als echt christliche Lösung einer offenen Frage dar. Wo diese Form der Auseinandersetzung praktiziert wird, blüht kirchliches Leben auf.
Die Lesungsperikope setzt die Erzählreihe der letzten Sonntage über das Wachsen der jungen Kirche fort. Aus der Tatsache, daß das Evangelium bei den Nichtjuden so großen Anklang findet, erwächst ein handfestes Problem. Die Frage, ob sich die sog. Heidenchristen der Beschneidung und dem mosaischen Gesetz zu unterwerfen haben, ist nicht nur eine Frage der unterschiedlichen Bräuche und Lebensgewohnheiten oder des praktischen Zusammenlebens in den Gmeinden, sondern beinhaltet eine grundsätzliche theologische Meinungsverschiedenheit. Durch die Taufe des Kornelius (Apg 10) war zwar schon geklärt worden, daß Heiden ohne Beschneidung zum Heil gelangen können. Strittig blieb aber die Frage, wie weit die Einhaltung des mosaischen Gesetzes auch als angemessene Form der christlichen Lebenshaltung zu betrachten sei. Aus Antiochia, wo diese Streitfrage offenbar am drängendsten erlebt wurde, schickt die Gemeinde eine Gesandtschaft nach Jerusalem, um von dort eine Entscheidung einzuholen. Jerusalem ist für Lukas, den Verfasser der Apostelgeschichte, ein theologischer Ort. Von dort ging das Heil in die ganze Welt hinaus, von dort her hat sich die neue Praxis der heidenchristlichen Gemeinde zu legitimieren.
Die Erzählung von der Lösung dieses ersten großen und grundlegenden Konflikts der jungen Kirche hat exemplarischen Charakter. Der Konflikt wird beschrieben, die große Aufregung und die heftige Auseinandersetzung nicht verschwiegen. Die Gemeinde (!) schickt eine Gesandtschaft zu den Aposteln und Ältesten nach Jerusalem; man erzählt, freut sich, der Konflikt bricht an Ort und Stelle von neuem auf; man prüft, Petrus und Jakobus nehmen Stellung. Die Apostel und die Ältesten mit der ganzen Gemeinde wählen eine Gesandtschaft aus und übersenden das Schreiben mit ihrer Entscheidung. Diese beinhaltet überraschend geringe Auflagen für die Heidenchristen.
Martin Stewen (2010)
Jörg Thiemann (2004)
Hans Hütter (1998)