Diese Evangelienstelle enthält drei bedenkenswerte Punkte, an denen niemand in seinem Leben vorbeikommt:
1) die Berufung - der Beruf mit der Frage: Was soll aus dir werden, was gibt deinem Leben Sinn? Wohin führt dein Leben? Im Evangelium heißt es dazu kurz und bündig: "Folge mir nach!"
2) Dieser Gedanke spricht vom Mahl halten, vom Essen und Trinken. Es geht aber um mehr als um lebenserhaltende, immer wiederkehrende Maßnahme.
3)"Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken!" Dieses Wort finden wir auch bei Mk. und Lk. Es klingt wie ein Allgemeinplatz, eine No-na-Feststellung. Das ist es aber nicht!
Was soll aus dir werden?
"Was soll aus dir werden, wohin führt dein Leben?" fragt Jesus den Zöllner. So kann man nur sprechen, wenn man Interesse am Menschen zeigt. Zöllner gehörten damals der unteren sozialen Schicht an, mussten Steuern einheben, und weil sie nicht staatlich fix besoldete Beamte waren, scheuten sie nicht davor zurück, die Bevölkerung auszupressen. Oft begingen sie auch Betrügereien, vielleicht auch, um selbst zu überleben. Was soll aus dir werden, wohin führt dein Leben? Berufung enthält die Sendung in bestimmte Aufgaben. Jesus will alle berufen, ohne Unterschied des sozialen Standes. Jeder Mensch hat ein göttliches Antlitz. Berufung und Beruf zeigen sich dort am schönsten, wo Talente, Begabung und Begeisterung - also im guten Geist- sich mit den Bedürfnissen der Welt kreuzen, wo sich Göttliches und Menschliches verbinden. Das ist gar nicht leicht, weil es in jedem Berufs- und Alltagsleben, aber auch in der Verkündigung der Frohen Botschaft Schwierigkeiten gibt. Berufung heißt auch, sich in den Dienst des Nächsten zu stellen, Beziehung aufzubauen.
Beziehung aufbauen
Damit sind wir beim zweiten Gedanken: Jesus tut das, indem er Tischgemeinschaft stiftet, weil "Essen und Trinken, Leib und Seele zusammenhält", so ein bekanntes Sprichwort und auf diese Weise Vertrauen geschaffen wird. Der Tisch ist d a s Kommunikationszentrum von alters her. Der Tisch steht als Symbol für Essen und Trinken, der Platz für Beziehungen und Gespräche aller Art. Deshalb nimmt auch der Altar einen wichtigen, unübersehbaren Platz ein. Hier versammeln sich Menschen zur Eucharistiefeier, zur Danksagung. Er ist im Lauf der Kirchengeschichte an die Wand gerückt worden. Seit der Liturgiereform auf dem II. Vatikanum hat man ihn wieder in die Mitte gerückt. Einige wollen ihn heute wieder an der Wand sehen. - Jesus zeigt bei den Festmählern und schon gar nicht beim Letzten Abendmahl seinen Tischgefährten den Rücken. Es darf und soll kein "Wenn und Aber" geben, Menschen vom Tisch des Herrn fernzuhalten durch Ordnungen, die den Wirklichkeiten des Lebens heute nicht mehr entsprechen. Die Kriterien, die heute Menschen vom Tisch des Herrn ausschließen, sind zu hinterfragen. Die "Rasenmähertheologie", die alles gleich stutzt, ist für die individuelle Lebenssituation des einzelnen nicht hilfreich.
"Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken!"
Der dritte Punkt unserer Überlegungen. Diesen Satz finden wir auch bei Mk. und Lk. - Niemand ist gerne krank, zwischen Kranken und Gesunden gibt es eine große Bandbreite. Viele unserer Krankheiten haben psychosomatischen Ursprung. "Was kränkt, macht krank", sagt eine alte Volksweisheit. Eine der Krankheiten heute sind die vielen Beziehungswunden, die geschlagen werden, bewusst oder unbewusst. Wenn Sakramente, im Besonderen das der Eucharistie und der Schuldvergebung, heilende Wirkung haben, wenn sie Medizin sind, ist es dann richtig, diese heilende Wirkung gerade geschiedenen Wiederverheirateten vorzuenthalten? Petrus und Judas haben den Herrn verleugnet, Thomas war ein großer Skeptiker. Jesus hat sie nicht vom Tisch gewiesen. Der Ausschluss vom Gastmahl sollte erst mit der weiteren Entwicklung des Kirchenrechts Bedeutung gewinnen. Viele sprechen heute von einer hartherzigen Kirche im Vergleich zum vergebenden Jesus. Es gibt verschiedene Formen des Scheiterns. Wer aus Schwäche scheitert, braucht aber ganz dringend Hilfe- die "Medizin" des Sakraments- und nicht den Ausschluss. Die Überraschung nach dem Scheitern ist immer wieder die Vergebung, die Barmherzigkeit. "Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer!", hörten wir im Evangelium.
Wer freilich Sakramente dazu missbraucht, sie nur als "Aufputz" zu Festen zu sehen, wer lax ist, schließt sich genau genommen selber davon aus.
Jesus zeigt in diesem Evangelium, wie aus Taugenichtsen, aus wankelmütigen Menschen, aus Versagern großartige Christen werden.
Die Kirchen scheinen zurzeit mehr auf Gesetzestreue als auf Barmherzigkeit zu bauen. Zugegeben: Die Gratwanderung zwischen beiden ist schwierig. Mit diesem Evangelium weist Jesus darauf hin, dass jeder von uns Platz hat beim Tisch des Herrn, also im Reich Gottes. Gott schaut nicht nur dem Matthäus ins Herz, bringt ihn zur Umkehr. Gott wendet sich jedem auf seine persönliche Weise zu, hat mit jedem Erbarmen. Das ist die trostvolle Botschaft dieses Sonntags.
Martin Leitgöb (2005)