Eine Geschichte, die was zu sagen hat
"Signale aus dem Morgenland” - so übertitelte die Neue Zürcher Zeitung vom 4.12.10 einen ausführlichen Bericht über die Situation der Kulturen des Nahen Ostens. Eingangs nimmt der Artikel deutlichen Bezug auf die Weisen aus dem Morgenland, die auch überall in Europa - also fernab ihres ursprünglichen Lebensraumes - wohlbekannt sind. Dann hört man leider in dem ganzen Artikel nichts mehr von diesem biblischen Bezug - so, wie man in der Bibel nie wieder was hört von den drei Weisen. Eigentlich schade.
Denn das Evangelium hätte einiges zur Diskussion des Problems im Artikel beizutragen. Eindrücklich beschreibt und bewertet dieser die Botschaften, die verschiedene Entwicklungen im Nahen Osten hinaus in die Welt senden. Da wird Bezug genommen auf Situationen in der Türkei, im Jemen, im Irak und im Iran, in Palästina. Deutlich tritt vor die Augen der Leserschaft: Die Länder des Vorderen Orients haben ihre eigenen Charaktere, sie unterliegen eigenen Formen der Entwicklung, sie haben eigene Sozialgebilde. Ihre Geschichte ist nicht die Geschichte Europas. Wer in diesen Ländern eine Entwicklung nach europäischem Vorbild erwartet und fordert, hat vieles nicht verstanden. Der Nahe Osten funktioniert nicht wie ein Märchen aus 1000 und 1 Nacht - aber auch nicht wie ein Märchen der Gebrüder Grimm.
Die Medien machen es möglich, dass diese Entwicklungen nicht mehr unbeobachtet passieren, und die Völkerwanderungen im Zeitalter der Globalisierung lassen uns alle in Europa von diesen Entwicklungen nicht unberührt.
Ein Gehen und Kommen
In dieser Situation bekommt die Erzählung des Epiphaniefstes ganz eigene Nuancen. Wir sehen und erleben: Die Thematik von der Berührung verschiedener kultureller und sozialer Welten ist keine Erfindung der Moderne - das hat's eben auch schon zu biblischen Zeiten gegeben. Nur, dass sich heute nicht mehr wie in der Bibel darauf reagieren lässt: Die Erzählung von den drei Weisen lässt uns erfahren, dass die Begegnung an der Krippe folgenlos endet und jeder der Beteiligten an seinen Platz zurückkehrt und sich eigenständig entwickelt. - Von den Weisen hören wir nichts mehr, aus dem Kind im Stall wird einer, der die Welt grundlegend verändert.
Und doch: Auch dort, wo der Stall stand, bleibt die Welt nicht stehen. Lange unbemerkt zieht schließlich eine neue Religion herauf, die heute in der Welt präsent ist wie das Christentum auch. Die Weisen haben sich entwickelt und sind zurückgekehrt: Sie haben nicht nur Gold, Weihrauch und Myrrhe im Gepäck, sondern auch viele Herausforderungen für all jene, die ihnen begegnen.
Das Fest der drei Weisen fordert uns heute heraus, uns dieser Begegnung zu stellen - wie es Maria und Josef auch getan haben. So wie sich einst an der Krippe in Bethlehem Kulturen, Sprachen und Religionen begegnet sind, geschieht das heute auch. Nur, dass dieses Zusammentreffen lebenslänglich andauert und keiner mehr - wie die Weisen - wortlos und klanglos zurückehrt, zurückkehren kann. Die "Signale aus dem Morgenland” in unserer Zeit sind laut und anhaltend.
Multikulti geht erst los
Wenn da die deutsche Kanzlerin behauptet, 'multikulti sei gescheitert', bleibt nur schlicht festzustellen: Hier herrscht Irrtum. Wir stehen angesichts eines - wahrlich nicht immer positiv - erstarkenden Islams erst am Anfang. Die Entwicklung von Multikulti geht erst los. Ob sie gelingt, liegt auch massiv an uns Christen. Denn sie führt unweigerlich zu der Frage, auf was für ein christliches Abendland die Signale aus dem Orient denn treffen. Und das christliche Abendland wird nicht gestaltet in Parlamenten und Räten, sondern von Menschen, die Visionen und Hoffnungen in Kopf und Herz tragen und offen sind für die Botschaft des Engels der Heiligen Nacht: "Fürchtet euch nicht!”
Bitte berühren!
Furcht vor dem, was passiert, hindert und lähmt. Das Kind in der Krippe aber hat's in seinem späteren Leben ja vorgemacht: Auf Fremde, Ausgestoßene, Menschen am Rande der Gesellschaft ist Jesus zugegangen und hat sie nach ihrem Leben gefragt. Er hat nicht alles toll gefunden, was er erlebt hat, aber er ist vor nichts zurückgeschreckt. Jesus hat Zeit seines Leben deutlich gemacht: Das Leben im 'Hier und Jetzt' ist keine Gefahr, sondern eine Herausforderung. Sich dieser Herausforderung zu stellen und das Leben zu gestalten, heißt: den Boden für Gottes Heil zu bereiten. Nur dann kann Reich Gottes wachsen. Und dieses Reich des Friedens und der Gerechtigkeit unter den Menschen ist keine fixe Idee, kein Hirngespinst, sondern soll zur Erfahrung der Menschen werden.
Bethlehem ist überall
Wir sind gefordert. Die Weisen sind wieder da - als Menschen nicht nur aus dem Orient, sondern aus ganz vielen verschiedenen Kulturen dieser Welt. Und sie werden bleiben. Sie stehen mit uns an der Krippe. Ihre Geschenke sind ihre Kulturen, ihr Glaube, ihre Traditionen, ihr Denken, ihre Sozialgefüge. Sie legen es vor das Kind in der Krippe - sprich: hinein ins christliche Abendland. Die Antwort der Heiligen Familie auf die Geschenke war Staunen und schweigende Dankbarkeit. Wie reagieren wir auf das Fremde, Andersartige, das unsere persönliche Welt berührt? Sind wir in der Lage, zunächst einmal mit wachen Augen hinzuschauen und mit offenen Ohren zuzuhören? Sehen wir einen Stern am Himmel oder eher das drohende Unwetter?
Die Heilsgeschichte der Weihnachtszeit ist eine Weggeschichte. An vielen Kreuzungen begegnen sich die Menschen: Wie sie die Wege weiter gehen, hängt davon ab, ob man sich gegenseitig droht oder segnet.