Gäbe es Weihnachten nicht, müsste man es erfinden
In den hektischen letzten Tagen vor dem Weihnachtsfest ertappte ich mich beim Gedanken: Was wäre, wenn die Kirche das Weihnachtsfest abschaffte? Bei Tisch stellte ich diese Frage auch meinen Mitbrüdern. Ohne langes Nachdenken waren wir uns einig, dass sich am Verhalten der Menschen nicht viel ändern würde. Weihnachten ist längst schon ein "Selbstläufer" geworden. Es funktioniert auch ohne christlichen Hintergrund. Um auch jene Kunden anzusprechen, die über keinen christlichen Zugang zum Weihnachtsfest verfügen, hat die Wirtschaft genügend Anreize geschaffen, die ohne christliche Symbole und christlich gefärbte Erzählungen auskommen. Gäbe es Weihnachten nicht, müsste man es erfinden.
Es besteht ein hoher Bedarf, wenigstens einmal im Jahr den Familienangehörigen, nahen Verwandten, Freunden, Mitarbeitern und Vereinsmitgliedern gegenüber ein Zeichen des Dankes und der Verbundenheit zu setzen; vorzugsweise in kleine Aufmerksamkeiten.
Weiters besteht Bedarf, sich wenigstens einmal im Jahr auch selbst zu belohnen; vorzugsweise am Ende eines Wirtschaftsjahres, wenn alles gut gelaufen ist.
Schließlich gibt es auch Bedarf, wenigstens einmal im Jahr an jene Menschen zu denken und für sie etwas zu tun, die auf die Schattenseite des Lebens gefallen sind.
Weihnachten kommt da gerade recht, ganz gleich, ob man an die Geburt des Messias glaubt oder von einer saisonalen Zweckmäßigkeit ausgeht.
Hunger nach Sinn
Ich möchte diese Art, ein Fest zu feiern keinesfalls abwerten oder madig machen. Mich bewegt eher die Frage: Was steht hinter diesem Bedürfnis? - Ich vermute hinter dem Eifer, mit dem Menschen Weihnachten feiern, sich beschenken und beglückwünschen, einen tiefen Hunger nach Sinn.
Sinnvoll und wertvoll wird unser Leben durch gute intakte Beziehungen. Und dafür möchten wir ab und zu ein Danke sagen.
Auch aus unserer Leistung und aus unserer Arbeit beziehen wir Sinn. Und es ist verständlich, dass wir dafür auch einmal belohnt werden möchten.
Die Beachtung der Menschen, für die das alles nicht so selbstverständlich ist, gehört ebenso dazu. Sie sollen wenigstens indirekt an dem teilhaben, was unserem Leben Sinn gibt.
Weihnachten – ein Sinnangebot
Um die Sinnfrage kreist auch das Weihnachtsevangelium des Johannes. In einer großartigen Einleitung zu seinem Evangelium legt er dar, dass der Logos von allem Anfang an da war; noch vor der Schöpfung, noch vor dem Urknall. Dieses griechische Wort lässt sich nicht mit einem einzigen Wort ins Deutsche übersetzen. Logos bedeutet Geist, Sinn, Wort...
Der Evangelist spielt damit auf die Schöpfungserzählung an, in der es immer wieder heißt: "und Gott sprach...". Auf sein Wort hin entstand alles. Auf sein Wort hin wurde Licht und alles andere.
Und nun, so behauptet Johannes, wurde das Wort Gottes, also der Sinn der Schöpfung, der Geist Gottes, Fleisch in einem konkreten Menschen. Der Logos nimmt menschliche Gestalt an. An diesem Menschen sehen wir, wie Gott ist. Dieser Mensch ist die Antwort Gottes auf unseren Hunger nach Sinn.
Wenn ich von dieser Frohen Botschaft aus auf den Eifer so vieler Menschen schaue, wie sie Weihnachten feiern, sich beschenken, sich bedanken, sich belohnen, stimmt mich das zuversichtlich. Ihr Hunger nach Sinn wird für mich darin sichtbar. Und im Auftreten Jesu gibt es eine Antwort auf diese Sinnfrage.
Auch wenn ich mit dem Evangelisten zur Kenntnis nehmen muss, dass viele diesen Zusammenhang nicht herstellen können, so bleibt dennoch die Hoffnung, dass alle, die es begreifen, ihren Hunger nach Sinn auch in einem spirituellen Sinn sättigen können. In den Worten des Johannes ausgedrückt haben sie die Macht, Kinder Gottes zu werden.
Abbilder Gottes
Kinder geraten ihren Eltern nach, sind in einem gewissen Sinn Abbilder ihrer Eltern. Kinder Gottes sind Abbilder Gottes. Damit sind wir wieder bei der Schöpfung. Dort heißt es: "Dann sprach Gott: Lass uns den Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich."
Damit ist auch unsere Berufung als Christen ausgedrückt: Je mehr wir Christus ähnlich werden, desto mehr werden wir Abbilder Gottes, verwirklichen wir uns selbst nach dem Vor-Bild unseres Schöpfers.