Verträge schützen
Mit wem schließen Sie gerne einen Vertrag? Mit Ihrem Arbeitgeber vermutlich schon. Denn Ihr (hoffentlich fairer) Arbeitsvertrag sichert Ihnen ein festes Gehalt, eine geregelte Arbeitszeit, einen Anspruch auf Urlaub und freie Tage, schützt Sie vor ungerechter Kündigung und vieles mehr. Natürlich hat auch Ihr Arbeitgeber etwas von dem Vertrag. Aber in vielen Belangen ist er in der Position des Stärkeren und könnte sich im Zweifel auch ohne Vertrag durchsetzen. Für Sie hingegen ist der Vertrag lebenswichtig.
Würden Sie genauso gerne einen Vertrag schließen, wenn es darum ginge, einem Langzeitarbeitslosen Ihre Wohnung zu vermieten? Wohl eher nicht. Denn da wären Sie als VermieterIn in der Rolle des/der Stärkeren und würden durch den Vertrag mehr gebunden als der Mieter.
Verträge schützen die jeweils Schwächeren gegen die Macht der jeweils Stärkeren, das ist ihr Sinn. Und wer häufiger in der Rolle des Schwächeren sein wird, schließt den Vertrag lieber als der, der sich häufiger in der Rolle des Stärkeren befinden dürfte.
Gottes Bund mit der Schöpfung
In der heutigen Lesung wird ebenfalls von einem Vertragsabschluss gesprochen: Gott bietet dem Noach einen "Bund" an. Noach als der Schwächere wird diesen Vertrag gerne annehmen, denn er garantiert ihm und seinen Nachkommen, dass keine Sintflut mehr über die Erde kommt, die alles vernichtet. Und damit auch der letzte Zweifel über diese Zusage Gottes beseitigt wird, gibt Gott dem Noach das Zeichen des Regenbogens: Was für die Menschen der damaligen Zeit eigentlich ein Kriegsbogen war, mit dem Gott die Blitze als Pfeile vom Himmel herabschießt, wird nun zum Zeichen des Friedens und der Schonung.
Doch Gott hat eine Bedingung für die Annahme seines Bundes: Auch die Tiere sollen Bundespartner werden. Furcht und Schrecken hat sich auf sie gelegt, denn sie wissen, dass der Mensch sie töten kann und unter gewissen Umständen auch darf. In Maßen darf er sogar ihr Fleisch essen, anders als im Paradies, wo ihm nur die grünen Pflanzen zur Nahrung dienten (Gen 1,29). Keine Frage, die Tiere sind damit in der schwächeren Position gegenüber dem Menschen. Deswegen will Gott sie vor übermäßiger Ausbeutung und ungerechter Behandlung schützen. Die fünf Bücher Mose, aus denen der Lesungstext stammt, sind voll von Beispielen, wie die Tiere, insbesondere die Nutztiere, vor einem übermäßigen Zugriff des Menschen in Schutz genommen werden.
Ein unteilbarer Bund
Gottes Bund gibt es nur im Paket - entweder ganz oder gar nicht. Entweder akzeptiert der Mensch, dass die Tiere gleichberechtigte Bundespartner sind, oder Gott selbst zieht sich vom Bund mit dem Menschen zurück. Für Noach ist das kein Problem. Anders als seine ZeitgenossInnen hat er schon vor der Flut auf Gottes Weisung gehört. Er hat gespürt, wie sehr Gott all seine Geschöpfe liebt - nicht nur die Menschen. So war es für ihn selbstverständlich, die Tiere mit ins Boot zu nehmen und vor der vernichtenden Flut zu retten.
Auch Jesus teilt die Liebe Gottes zu allen Geschöpfen. Noch ehe er seine Botschaft vom Reich Gottes verkündet, so erzählt das heutige Evangelium, geht er in die Wüste und lebt mit den wilden Tieren. Das ist Herrschaft Gottes, will er sagen: Wenn Mensch und Tier die Erde miteinander besiedeln - in Frieden und Gerechtigkeit. Das ist Herrschaft Gottes, wenn der Mensch dem Tier faire Möglichkeiten zum Leben gibt. So ist Jesus der neue Noach. Wie der erste wendet er sich allen Geschöpfen Gottes zu.
Für Noach und Jesus wäre es nicht nötig, die Tiere in den Gottesbund hineinzunehmen. Sie handeln ohnehin richtig. Aber die meisten Menschen damals wie heute handeln nicht so selbstlos. Sie soll der Bund gegenüber Menschen und Tieren verpflichten - im Namen Gottes.
Gehen wir den Bund mit den Tieren ein?
Liebe Schwestern und Brüder, sind wir bereit, Gottes Bundesvertrag mit den Tieren zu unterschreiben? Das hätte einschneidende Konsequenzen. Denn die Realität ist so, wie ich es eingangs geschildert habe: Mit den großen und starken Tieren gehen wir noch am ehesten einen Bund ein. Mit den kleinen und schwachen hingegen kaum. Von den verschiedenen landwirtschaftlichen Nutztieren dürfte es derzeit den Rindern vergleichsweise am besten gehen. Nicht überall, auch da gibt es große Unterschiede, und auch nicht immer wirklich gut. Aber das Elend vieler Schweine und des Geflügels ist doch weit größer. Wollen wir daran etwas ändern? Wollen wir Schritte zu einer umfassenden Tiergerechtigkeit gehen?
Wohlgemerkt möchte ich nicht verallgemeinern. Es gibt landwirtschaftliche Betriebe mit vorbildlicher, tiergerechter Haltung. Aber das ist, wenn wir ehrlich sind, nicht der Normalfall. Die Schuld daran dürfen wir allerdings nicht einfach den LandwirtInnen zuschieben. Wie sollen sie denn die Tiere gut und gerecht halten, wenn wir ihnen immer weniger für ein Schnitzel oder ein Ei zahlen? Faire Preise müssen fair für die LandwirtInnen und fair für die Tiere sein - und das sind sie momentan bei weitem nicht. Würde nicht ein halb so großes Schnitzel zum doppelten Preis besser schmecken, wenn wir wüssten, dass das Schwein ein glückliches Leben hatte? Würde ein Ei nicht deutlich besser munden, wenn wir wüssten, dass das Huhn das Tageslicht sehen und sich frei bewegen durfte? Prinzipiell haben wir die Wahl - es gibt das Angebot tiergerechter Produkte. Und wenn wir unsere Konsumgewohnheiten zu ändern bereit sind, muss es nicht einmal teurer sein, solche Produkte zu kaufen.
Jeder Vertrag hat seinen Preis - und lohnt sich doch!
Jeder Vertrag hat seinen Preis. Auch der Bund mit Gott. Gott fragt uns nicht, ob es uns passt, dass in seinen Bund auch die Tiere mit eingeschlossen sind. Er liebt sie, weil sie seine Geschöpfe sind, und deswegen lässt er uns keine Wahl. Aber er verspricht uns, dass wir mehr gewinnen als wir geben, wenn wir in seinen Schöpfungsbund eintreten. Wenn wir nur sehen, wie gut es der Schöpfer mit uns meint, dann kann Gerechtigkeit gegenüber den Tieren keine Frage mehr sein. So wie für Noach, so wie für Jesus.
© Michael Rosenberger
Karl Gravogl (2000)
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