Bis an die Grenzen des Möglichen gehen
Als am 14. Oktober 2012 Felix Baumgartner den Sprung aus 39 km Höhe wagte und heil auf der Erde landete, saß auch ich gebannt vor dem Fernseher und hielt den Atem an. Extremsport liegt aber im Trend und fasziniert viele Menschen. Er verspricht den besonderen Kick. Es muss ja nicht gleich ein Absprung aus der Stratosphäre sein. Es reizt viele Menschen, die Grenzen ihrer körperlichen Belastbarkeit auszuloten und am eigenen Leib zu spüren, wozu der trainierte Körper fähig ist. Dass mentales Training fast genauso wichtig ist, hat sich mittlerweile auch herumgesprochen.
Es muss ja nicht Extremsport sein. Um den Körper fit zu halten, ihn zu modellieren und zu stylen, lassen sich viele viel Schweiß und Geld kosten. Notfalls muss ein Schönheitschirurg ein wenig nachhelfen. Wer nicht einen ansehnlichen Körper vorweisen kann, zählt in gewissen Kreisen nicht. Dieser wird meist auch durch eine körperbetonende sportliche Kleidung unterstrichen und zur Schau gestellt.
Es gibt aber auch das Gegenteil: "no sports"; "Sport ist Mord" pflegen andere als Grundsatz; oft als Verneinung des allgegenwärtigen Körperkults. Nicht selten wird dieser Protest auch durch ein Outfit unterstrichen, das den Körperkult verhöhnt.
Ein Weg von den Körperwelten kann man auch in ganz anderen Bereichen beobachten. Moderne Kommunikationsmittel erlauben es, sich in von der realen Welt abgehobene Kommunikationsräume zu begeben und dort eine Identität anzunehmen, die mit dem wirklichen Leben nicht mehr viel zu tun haben. Menschen tauchen von Zeit zu Zeit ab in virtuelle Welten und "leben" dort erdachte Lebensentwürfe. Sie finden Befriedigung in geistigen Welten.
Das Verhältnis zum eigenen Körper ist auch in unserer gegenwärtigen Zeit immer noch zwiespältig trotz aller Versuche, den Menschen ganzheitlich zu sehen und als unverwechselbare Person, als Einheit von Körper, Seele und Geist wahrzunehmen.
Zweispalt und Versöhnung von Körper und Geist
Ein zwiespältiges Verhältnis zu Körper und Geist hatten auch viele Menschen im ersten christlichen Jahrhundert. Das lässt sich gut beim Apostel Paulus nachlesen; und dies trotz jüdischer Denktradition, die den Menschen eher ganzheitlich in den Blick nahm. Für ihn ist der Körper irdisch, "Fleisch", und der Geist himmlisch. Allen Äußerungen des Leiblichen stand er skeptisch gegenüber. Paulus hat das nicht erfunden. Er ist ein Kind seiner Zeit. Diesen Zwiespalt gab es auch im hellenistischen Denken dieser Epoche. Einerseits erlebte der Körperkult bei den Griechen und Römern eine Hochblüte, andererseits griffen Geistesströmungen, die allem Körperlichen skeptisch gegenüberstanden, sowohl in der Philosophie wie auch in den Religionen um sich.
Umso bemerkenswerter ist, dass sich trotz dieser leibfeindlichen Tendenzen die Christen zu einem Glaubensbekenntnis durchrangen, in dem sie ausdrücklich die Inkarnation, die "Fleischwerdung Gottes" bekannten und eine Auferstehung des Fleisches erhofften. "Und das Wort ist Fleisch geworden" ist zu einem christlichen Leitgedanken geworden. Am Beginn des vierten Jahrhunderts stellte das Konzil von Ephesus klar, Maria sei "Gottesgebärerin", um keinen Zweifel an der Leibhaftigkeit und vollen Menschlichkeit Jesu aufkommen zu lassen.
Maria ist mit Leib und Seele in die Herrlichkeit Gottes eingegangen
Am 15. August feiern wir die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel. Obwohl Papst Pius XII. die Aufnahme Mariens in den Himmel mit Leib und Seele erst 1950 zu einem Dogma erklärte, geht es dabei um ein Anliegen, das die Christen seit frühester Zeit bewegte: Maria ist als ganzer Mensch mit Leib und Seele in die Herrlichkeit Gottes eingegangen. Dies bestärkt uns in der Hoffnung, dass auch wir mit Leib und Seele an der Herrlichkeit Gottes teilhaben werden.
Damit wird jeglicher spirituellen Abwertung des Leiblichen eine Absage erteilt, auch wenn offen bleibt, wie wir uns ein leibhaftes Leben in dieser neuen Welt Gottes vorstellen können. Dieses Glaubensgeheimnis verbietet uns jegliche Geringschätzung des Leibes aber auch jede Instrumentalisierung des Leibes. Bei aller Leibfreudigkeit weist es uns aber auch auf die Dimension des Seelischen und des Geistes hin, die ebenso Teil unseres Lebens ist, und spornt uns an, auch diese zu pflegen, zu trainieren und zu entwickeln.
Künstler haben dies der jeweiligen Kunstepoche gemäß mit Vorliebe an Maria dargestellt. Die vielen Marienbilder zeigen sie meist sehr leibhaft und dennoch in den Himmel entrückt. In uns wecken diese Darstellungen die Sehnsucht nach Vollendung als ganze Menschen mit Leib, Seele und Geist.
Wir stehen mitten in der Erntezeit. Es ist die Zeit der Reife. Mir scheint es kein Zufall, dass sich im Laufe der Geschichte diese Zeit für dieses Fest angeboten hat: Die Fülle und der Reichtum, der uns zu dieser Zeit begegnet ist ein ausdrucksstarkes Symbol dafür, dass auch unser Leben einmal bei Gott seine letzte volle Reife und Schönheit mit Leib, Seele und Geist erreichen wird. An Maria sehen wir diese Hoffnung erfüllt.