In der Lesung aus Dtn erinnert Gott Mose daran, dass er sein Volk aus der Hand der Ägypter befreit und es auf Adlerflügeln getragen habe. Auch wir dürfen uns von Gott getragen wissen.
Auf "Adlerflügeln" getragen
In der Lesung des heutigen Sonntags steht ein Wort, das mich persönlich anspricht, das mir für den Glauben wichtig ist. Es heißt: „Ihr habt gesehen, was ich den Ägyptern angetan habe, wie ich euch auf Adlerflügeln getragen und hierher zu mir gebracht habe.“ Im Buch Deuteronomium fand ich eine ähnliche Stelle. Sie lautet: „Wie der Adler, der sein Nest beschützt und über seinen Jungen schwebt, der seine Schwingen ausbreitet, ein Junges ergreift und es flügelschlagend davonträgt.“ (Dtn 32,11).
Beobachtungen eines Vogelkundlers
Solche Stellen: „Ein Adler ergreift sein Junges und trägt es,“ haben auch die Ornithologen, die Vogelkundler, gelesen. Sie sagten: „Schön und gut, kann schon sein, dass es so etwas gibt, aber gesehen haben wir das noch nie.“
Im Jahre 1978 beobachtete ein Vogelkundler in Mühlheim an der Ruhr Folgendes: Er wohnte an einem alten Kirchplatz, ihm gegenüber im Turm nistete jedes Jahr ein Falken-Paar. Zwei Junge schlüpften gewöhnlich aus, wuchsen heran, und eines Tages mussten sie in die Luft gehen, das heißt: fliegen. Die Kleinen standen dann zwei, drei Stunden an der Kante des Turmfensters, bis sie den Flug wagten. Und es ging auch immer gut.
In einem Jahr hatten die Falken-Eltern relativ schwach entwickelte Junge. Vor allem das zweite war noch klein, als es ans Fliegen ging. Die beiden standen drei Tage an der Brüstung und wagten es nicht, sich vom sicheren Halt abzuheben. Nun, endlich packte es das größere, der Flug gelang. Der kleinere Vogel brauchte noch eine Weile, bis er zu fliegen begann. Aber er flatterte so ängstlich und ungeschickt, dass er in dem Baum, der auf dem Kirchplatz stand, eine Notlandung produzierte. Die Mama setzte ihm nach, ordnete das Gefieder, schob den Kleinen ein paar Äste hinauf. Von dort startete er den zweiten Versuch. Aber er zappelte wieder und es ging mit ihm steil hinunter. Unten auf dem Kirchplatz spielten Kinder mit ihren Hunden. Bevor der Jungvogel unten aufprallte, schoss die Mutter wie ein Pfeil hinter ihm her, tauchte unter ihn, so dass sich das Junge an ihrem Rücken festkrallen konnte und hob es in die Höhe. Nun, aus dem Jungen wurde auch ein richtiger Falke, der alle Flugkünste beherrschte.
Aber, erstmals hatte ein Vogelkundler so etwas beobachtet. Was bei einem Falken möglich ist, kann auch bei einem Adler vorkommen. Wenige Jahre später wurde dies in der Steiermark bestätigt. Das gibt es, dass ein Adler ein Junges ergreift und es flügelschlagend davonträgt.
Gott hat sein Volk getragen
Was die Heilige Schrift mit diesem Wort meint, ist klar: Gott hat sein Volk Israel, das in Ägypten versklavt war und vernichtet werden sollte, herausgeholt und durch die Wüste, durch eine lebensfeindliche Gegend geführt, er hat es aus einer bedrohlichen Situation gerettet, wie eben der Falke bei seinem Jungen.
Wenn wir dann weiterfragen, warum tut Gott das? Die Antwort steht auch an dieser Stelle: „Ihr seid mein besonderes Eigentum;“ „ihr gehört mir als ein heiliges Volk.“ Gott ist es, der von sich aus beginnt, gerade dieses Volk zu lieben, es zu führen, es zu schützen, zu retten. Er tut es, weil er es so will.
Was für Israel galt, gilt erst recht für das Volk Gottes des Neuen Bundes, für die Kirche, für uns als Christen. Gott ist zu uns wie der Adler, der sein Junges ergreift und es flügelschlagend davonträgt. Bereits am Beginn, der Ursprung wurde das klar: Gott hat sich in seinem Sohn ganz für uns eingesetzt, er ist am Kreuz für uns gestorben und auferstanden. Wir Menschen wären sonst in Sünde, in Schuld untergegangen. Er hat uns den Heiligen Geist gesandt. Damit wissen wir: Wir gehören zu ihm, wir sind sein auserwähltes Volk, wir sind seine Familie, wir haben Beziehung zu ihm, wie Kinder zu ihren Eltern.
Wenn Gott uns trägt
Wenn wir dann fragen: Was bringt uns das? Wohin führt uns diese Erkenntnis, von Gott getragen und geschützt zu sein, dann sehe ich drei Bereiche:
1. Wir dürfen wahrnehmen, müssen es erkennen: Gott hat uns dieses Leben geschenkt und er unternimmt alles, um es uns zu erhalten, um es zu schützen, um uns auf einen guten Weg zu führen, um unser Leben wertvoll werden zu lassen. Dafür haben wir zu danken, ich hoffe, Sie tun es jeden Tag. In uns lebt und wirkt der Heilige Geist, er trägt uns und führt uns. So können wir in Ruhe und Vertrauen leben, können gelassen unseren Weg gehen. Selbst wenn wir sterben, er trägt uns ins ewige Leben, in die ewige Gemeinschaft mit ihm.
2. Es wird bei uns allen Wegstrecken geben, da fühlen wir uns „wie in der Wüste.“ Das kann eine lebensbedrohliche Krankheit sein, schweres Leid, zerbrochene Beziehungen. Oder: Wir führen ein alltägliches, allzu durchschnittliches Leben, langweilig, kleinkariert, kämpfen mit täglichen kleinen Sorgen, haben die ewigen unnützen Streitereien. Das Leben hat uns wirklich nichts Großartiges, Besonderes zu bieten. Solche Wüstenstrecken können wir nur bestehen, wenn wir darauf vertrauen: Da ist einer, der trägt mich. Da ist einer, der holt mich aus einer Situation, in der es wirklich bedrohlich für mich wird, heraus.
3. Damit das Bewusstsein „Gott trägt mich“ bei uns greift, damit es uns hilft, ist etwas nötig: Sich erinnern. Wie Israel sich jede Woche am Sabbat daran erinnert hat: Gott hat uns befreit, er hat uns durch die Wüste getragen, so müssen auch wir immer wieder daran denken: Jesus Christus hat uns alle, hat die Kirche gerettet, hat uns erlöst. Und jeder Einzelne hier hat das – so hoffe ich, - oft genug erfahren: Er hat mir geholfen, er hat mich getragen, er hat mich geführt.
Erinnerungskultur
Allerdings, wir Menschen sind manchmal sehr vergesslich. Wir nehmen das Gute selbstverständlich, gewöhnen uns locker daran, vergessen gern den Gott, der uns das schenkt. Deshalb brauchen wir Formen, um uns zu erinnern. Eine ist das Gebet, eine andere der Gottesdienst, wie wir ihn jetzt und jeden Sonntag feiern. Hier denken wir an Jesu Tod und Auferstehung, dieses Geschehen wird hier gegenwärtig. Dafür müssen wir dankbar sein. Und ich hoffe, niemand hindert Sie, am Sonntag zu beten: „Ich danke dir, dass du mich durch diese Woche getragen hast.“
Alfons Jestl (2008)
Lorenz Walter Voith (1999)