Glühwürmchen
Unlängst bin ich abends in der Dunkelheit auf der Autobahn durch das Rheintal* gefahren. Von weit her leuchteten die Lichter der Ortschaft Triesenberg*. Und mir ist aufgefallen, wie sehr sie in den letzten Jahren grösser geworden ist - und mit ihr das abendliche Lichtermeer. Und unwillkürlich machte ich ein Gedankenspiel: Würde ich nicht in dieser Gegend wohnen und hier nur auf der Durchfahrt sein, und würden nicht so viele Lichter dort oben auf dem Berg brennen, wüsste ich nicht einmal, dass es diesen Ort Triesenberg gibt und käme nicht auf die Idee, ein Dorf auf diesem Berg zu vermuten. Erst die Lichter lassen nächtliche Durchreisende fragen, was das da oben für ein Ort ist.
Übertragen wir diese Alltagsbeobachtung auf unseren Glauben. Wir haben ihn, den Glauben, den christlichen Glauben. Vielen von uns wurde er in die Wiege gelegt. Die meisten der Christen leben ihn so recht und schlecht, manchmal mehr, manchmal weniger. Bewusst, wenn wir uns - wie heute hier - Zeit für Gebet und Gottesdienst nehmen, unbewusst, wenn wir reden, schweigen, handeln, anderen begegnen. Manches Mal beiläufig. Oft auch beliebig. Was von meinem Glauben wird eigentlich für andere wahrnehmbar? In der Arbeit? Im Zusammenleben? In der Begegnung?
Ab und zu müssten wir uns als Christinnen und Christen ein Beispiel an den Glühwürmchen nehmen. Zugegeben: sie sind selten geworden. Und man muss schon Glück haben, eines in der Natur zu entdecken. So ein Glühwürmchen ist ein faszinierendes Wesen: es leuchtet von innen her. Es wird nicht von außen angestrahlt. Sein Licht leuchtet von innen nach außen und vermag in der dunkelsten Nacht ein heller Lichtpunkt zu sein. So ein kleines Geschöpfchen vermag so etwas Großartiges und Staunenswertes.
Es gibt eine Redensart, die sagt: Wenn du wissen willst, was Christen glauben, lebe eine Zeitlang mit ihnen. Wenn unser Glaube nicht durch uns in der Welt zum Leuchten kommt, fangen Menschen nicht an, danach zu fragen. Wo er aber durchkommt, kann er eine ungeahnte Strahlkraft entwickeln.
Ein guter Pädagoge bestärkt
Jesus hat uns im Evangelium ein großes Wort gegeben. Er hat nicht aufgezählt, was wir alles nicht können oder nicht tun sollen. Das macht einen klein und mutlos, verhindert ein gesundes Selbstbewusstsein, wenn man solche Sätze ständig gesagt bekommt. Jesus erweist sich als guter Pädagoge. Er bestärkt. Er sagt nicht: Ihr sollt das Salz der Erde sein. Er sagt: Ihr seid das Salz der Erde! Er sagt nicht: Ihr sollt das Licht der Welt sein. Er sagt: Ihr seid das Licht der Welt.
Matthäus schreibt sein Evangelium für die verfolgte junge Christengemeinde, in der den Jüngern einiges abverlangt wird, für die es kein Honigschlecken ist, ihren christlichen Glauben zu leben geschweige denn ihn in der Öffentlichkeit zu bekennen. Ihnen wird - wie uns heute - zugesagt: Schon hier und jetzt sind Christen und Christinnen Licht der Welt und Salz der Erde. Schon hier und jetzt haben Christinnen und Christen eine für andere Menschen vielleicht unglaubliche Kraft ihre Umwelt, ihre Umgebung zu prägen, wie das Licht die Dunkelheit ringsum erhellt, oder das Salz die Speise durchwirkt und Geschmack verleiht.
Christen haben eine Kraft von innen her,
weil ihnen Kraft von oben geschenkt ist.
Wir erinnern uns an ein anderes Jesuswort, das uns der Evangelist Johannes überliefert hat: Jesus spricht: "Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben." (Joh 8,12) Wer Jesus nachfolgt, dem mag keine Finsternis etwas anhaben, weil er das Licht des Lebens hat, Lichtträger/Lichtträgerin ist. Das Entzünden der Taufkerze an der Osterkerze bringt dies in der Taufliturgie auf sinnenfällige Weise zum Ausdruck.
Weil uns das Licht Christi in der Taufe geschenkt wurde, vermögen wir es, Licht der Welt zu sein. Weil uns das Licht Christi anvertraut wurde, ist es aber auch unsere Aufgabe, in unserer gottgeschenkten Freiheit für dieses Licht Sorge zu tragen, wenngleich Jesus damit auch Gefahr läuft, dass es verlöscht, wie wenn eine Flamme erstickt wird, wenn sie keinen Sauerstoff mehr bekommt, weil ein Gefäß darüber gestülpt wurde.
Es mag Christinnen und Christen geben, denen das Licht angesichts der Verfehlungen einzelner Vertreter der Kirche "abgelöscht" hat.
Vielleicht mag es auch so sein, dass manche es übersehen haben, dafür Sorge zu tragen, dass das Licht des Glaubens jenen Sauerstoff bekommt, den es zum Leuchten braucht, sodass die Flamme kleiner geworden ist und nur mehr "ein kleines Flunzerl" brennt.
Und vielleicht kennen wir Menschen oder spüren wir sogar tief in uns selbst, dass das Licht Christi in uns brennt, das Herz erwärmt und nach außen strahlt.
Hört nicht auf, Licht des Lebens zu sein
Wie auch immer: Jesus hört nicht auf, Licht des Lebens zu sein. Jesus hört auch nicht auf, uns zuzumuten, Licht der Welt zu sein. Christlicher Glaube bewahrheitet und bewährt sich in Taten. Christlicher Glaube wird in Werken der Nächstenliebe Wirklichkeit. "So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werken sehen und euren Vater im Himmel preisen."
Europäisches Jahr der Freiwilligen
Schauen wir auf die guten Werke, die Getaufte inner- und außerhalb der Kirche wirken, dann haben wir Grund zur Freude und Dankbarkeit. Es muss nicht immer "Kirche" draufstehen, was Kirche ist. Wichtig ist die Antriebskraft, aus der heraus das Gute in der Welt geschieht.
Dieses Jahr wird als Europäisches Jahr der Freiwilligen begangen. Eine Möglichkeit, vermehrt in den Blickfeld jenes Gute zu nehmen, das Menschen unentgeltlich und freiwillig tun. Eine Einladung auch an uns wieder verstärkt wahrzunehmen, wo Christen und Christinnen Hand anlegen, ihren Mund öffnen, ihre Zeit schenken, und unaufhörlich dazu beitragen, dass das Licht Christi in der Welt aufleuchtet.
Christus zum Leuchten bringen
Durch gute Werke bringen wir Christus selbst zum Leuchten. Durch unsere guten Werke laden wir ein, andere zu fragen: Was ist das, was dich zu solchen Taten bewegt? Was ist es, das dich mit Freude und Kraft erfüllt? Und wenn wir dann noch den Mut haben und sagen können: das ist mein Glaube an Jesus, dann freut sich nicht allein unser Vater im Himmel. Dann ist dieses Zeugnis hundertmal besser als jedes Credo, das wir im Gottesdienst über die Lippen bringen, dann kann vielleicht dieses Zeugnis Anstoß sein, dass andere zu fragen beginnen und dann und wann wieder ein Licht des Glaubens mehr entzündet wird.
Das heutige Evangelium ist Zuspruch Jesu, seine Ermutigung an uns, wieder neu wahrzunehmen, dass auch ich Licht bin für andere, ja, auch für die Welt. Es lädt uns aber auch ein, all' das Gute um uns wahrzunehmen, was in seinem Namen geschieht oder neu zu entdecken und zu erfahren, dass Jesu Licht auch mir einmal geschenkt wurde, geschenkt ist: Auch ich habe eine Kraft von innen her, weil mir Kraft von oben geschenkt ist.