Am Rand der Welt
Sie müssen nicht wissen, wo Sebulon und Naftali liegen - es reicht, die Einöde, die Verlassenheit, die Unwirtlichkeit zu sehen, sie förmlich zu riechen. Da ist die Welt am Ende! Ein finsteres Loch! Der Prophet Jesaja stellt sich mutig hin und redet gegen Verachtung und Trostlosigkeit an:
"Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht;
über denen, die im Land der Finsternis wohnen,
strahlt ein Licht auf."
Woher dieser Mensch den Mut hat? Jesaja weiß, dass Gott sich der Menschen annimmt, die sich längst verloren gegeben haben. Die längst aufgegeben wurden. Über die längst der Stab gebrochen ist. Die Geschichte wird noch einmal neu aufgerollt! In Sebulon und Naftali. Gott sagt das, Gott gibt das deutlich zu verstehen.
Wo alle nur schamhaft hinschauen: In dieser Ecke wird es richtig hell. Aus dieser Ecke kommt auf einmal Licht. Über dieser Ecke liegt ein warmer Glanz. Wo ist jetzt das - finstere Loch?
Ein Licht geht auf
Sebulon und Naftali tauchen dann auf einmal im Evangelium auf. Jesus ist in Galiläa angekommen. Er wohnt in Kafarnaum, am See Genezereth - tatsächlich: im Gebiet von Sebulon und Naftali. Galiläa ist - vorsichtig gesagt - das schwarze Schaf unter den Landstrichen Israels. Immer gut für einen schlechten Witz. Aus Galiläa kommt nichts Gutes! Nicht einmal den rechten Glauben haben die Leute dort - sagt man. Und was Weltläufigkeit und Bildung angeht: hier hausen die Hinterwäldler. Bis, ja bis Jesus dort auftaucht. Mit einer Botschaft, die alles umkehrt:
Es soll sich erfüllen, was durch den Propheten Jesaja gesagt worden ist: "Das Land Sebulon und das Land Naftali, die Straße am Meer, das Gebiet jenseits des Jordan, das heidnische Galiläa: das Volk, das im Dunkel lebte, hat ein helles Licht gesehen; denen, die im Schattenreich des Todes wohnten, ist ein Licht erschienen."
Über die Geschichte von Sebulon und Naftali, über die Geschichte Galiläas ließe sich viel erzählen. Über Vorurteile, Besserwisserei und Abgrenzungen auch. Aber sprechen wir lieber von dem, was die vielen dunklen Orte, die wir kennen, hell macht. Weil Galiläa in der Rangfolge ganz unten ist und aus sich auch nichts machen kann, mag ich das Evangelium besonders.
Im Licht
Ich denke an viele Menschen, die in den Augen anderer abgehängt sind. Die nicht mehr mithalten können, wenn es gilt, Spitzenplätze zu erobern. Die sich mit ihrem Status, Verlierer zu sein, auf Gedeih und Verderb arrangieren müssen. Im Konkurrenzkampf spielen sie nicht mehr mit - auf der Siegertribüne machen sich andere breit - und strotzen vor Kraft.
Ich gehe durch die Stadtviertel. Mancher Straßenzug erzählt nicht nur von besseren Tagen, sondern auch von dem Ghetto, das sich längst gebildet hat. Hier wohnen die Menschen, die ihre Perspektivlosigkeit nicht einmal mehr verstecken müssen. Man sieht es den Hauseingängen an, den Fenstern, den Gesichtern. Es ist nicht immer der Migrationshintergrund, der soziologisch klug her halten muss, Abgrenzungen plausibel zu machen. Es ist vielmehr so, dass viele Menschen in ihrer kleinen Welt verschwinden.
Ich höre auch von vielen Menschen, wie traurig sie sind, wenn sie auf misslungenes Leben zurückschauen - oder meinen, ihr Leben sei misslungen. Manchmal stellen sie sich als Opfer dar, oft erzählen sie aber auch von ihrer Rolle, ihrer Schwäche, ihrer Angst. Lebensentscheidungen werden aneinander gereiht - und ergeben dann doch nicht immer ein Bild, mit dem sich Menschen aussöhnen können. Wenn dann noch von Schuld zu reden ist, empfinden wir die Löcher im Leben eines Menschen. Auch bei uns. Schuld hat immer eine Geschichte. Schuld schreibt immer eine Geschichte. Einfach ist sie nicht.
Finstere Orte
Auf einmal sind wir wieder in Sebulon und Naftali. Wir sehen unsere eigenen finsteren Orte in ihnen. Für das Dunkle im Leben der Menschen gibt es viele Bilder, viele Erfahrungen, viele Albträume.
Wer nach Sebulon und Naftali geht, freiwillig, setzt sich den dunklen Seiten aus, übersieht sie nicht, verdrängt sie nicht. Jesus wohnt hier - sprich: hier ist er zu Hause. Er ist einer von denen. Er teilt das Leben und die Dunkelheit und schenkt gerade so die Lichtblicke, die von einem neuen Vertrauen, einer neuen Kraft, einer neuen Geschichte künden. Jesus stellt Menschen ins Licht. Er gibt ihnen ihre Würde zurück. Und ein helles Gesicht. Die größte Überraschung ist: er traut ihnen zu, umzukehren, einzuhalten, noch einmal neu anzufangen. Jesus sagt: Das Himmelreich ist nahe!
Für mich ist das die Erfüllung eines großen Traumes: Wer aus Sebulon und Naftali kommt, wohnt auf einmal im Reich Gottes! Es ist, als ob alle Scheinwerfer darauf gerichtet werden. Jesus verkündigt nicht nur eine neue Zeit. Er steht sogar mit seinem Leben für sie ein. Jetzt müssen wir von Menschen erzählen, die geliebt sind. Wo Menschen geliebt werden, wird es hell.
Mitarbeiter
Eigentlich könnte ich "Amen" sagen. Schlusswort einerseits, Bekräftigung andererseits. Ja, so ist es! Aber etwas muss ich noch los werden:
In Galiläa findet Jesus Menschen, die ihm helfen. Fischer, einfache Fischer. Also Leute aus Sebulon und Naftali. Simon, genannt Petrus ist von dort, sein Bruder Andreas, die Brüder Jakobus und Johannes. Vier von Zwölf. Sie verlassen ihre kleine Welt und folgen Jesus. Ab jetzt werden auch sie das Licht verbreiten, das sie an ihrem See entdeckt haben oder von dem sie entdeckt wurden. Ein ebenso feines wie kluges Lehrstück: Licht will wachsen, Licht schafft Licht, Licht weiß alles zu erneuern.
Jesus braucht Jünger, Jesus braucht Menschen, die ihm folgen, Jesus braucht uns. Manche unter uns tragen auch so schöne Namen wie Simon, Peter, Andreas, Jakob und Johannes - und wer anders heißt, anderes gerufen wird, kommt auch in diesen Kreis.
Jesus zog in ganz Galiläa umher, lehrte in den Synagogen, verkündete das Evangelium vom Reich und heilte im Volk alle Krankheiten und Leiden.
Das ist das Evangelium unseres Herrn Jesus Christus! Amen!
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.