"Wir verlangen, das Leben müsse einen Sinn haben, aber es hat nur soviel Sinn, wie wir ihm selbst zu geben imstande sind." (Hermann Hesse)
Die richtige Straße finden
Jedes Jahr werden wir mit der Fastenzeit zur Umkehr gerufen, zu einer radikalen Kehrtwende. Umkehren, nimmt man das wörtlich, meint einen völligen Richtungswechsel. Zugleich aber auch, wieder dorthin zurückgehen, woher man gekommen ist. Und wenn wir im Jahr darauf wieder umkehren, ist man eigentlich wieder am selben Ort angelangt. Macht das Sinn? Wenn man ständig umkehrt, kann es dann einem - wie in einem Kreisverkehr - ganz schön schwindlig werden, sodass man ins Straucheln gerät. Ist das der Sinn des Ganzen?
Unlängst habe ich - im Auto unterwegs - in St. Gallen eine falsche Ausfahrt genommen. Statt rechts bin ich links gefahren. Es blieb nur wenig Zeit zu überlegen. Und für mich auch zu wenig Platz noch einen Spurwechsel unbeschadet vorzunehmen. Recht schnell habe ich gemerkt: Oje, doch falsch gefahren. Geahnt hatte ich es bereits. Da war ich nun auf dieser Straße, und nicht auf der anderen. Ich konnte nicht einfach stehenbleiben und innehalten und überlegen. So suchte ich zwischen allen anderen Autos meinen Weg. Die Richtung wusste ich - und auch wohin ich wollte: zum Friedhof beim Krematorium (wie passend auch für den heutigen Tag). Ich schaute, dass ich in etwa dorthin zurückfuhr, wo ich die falsche Abzweigung genommen hatte und spurte mich dann richtig ein.
Ein Ereignis, das so manchem passiert, und doch auch Begebenheit, die man gut mit dem Aschermittwoch als Beginn der Fastenzeit in Verbindung bringen kann.
Wir sind unterwegs auf der Straße des Lebens. Immer wieder werden wir gewollt oder nicht gewollt vor die Entscheidung gestellt, welche Abzweigung wir als nächstes nehmen. Wir machen auch die Erfahrung, dass vieles gut verläuft. Manches Mal müssen wir aber auch erkennen: da bin ich jetzt falsch unterwegs, da komme ich nicht weiter. Und es kann sein, dass wir für diese Erkenntnis eine längere Zeit brauchen. Und später dann auch dementsprechend viel Aufwand, uns wieder richtig einzuspuren.
Fastenzeit - Umkehrzeit
Fastenzeit, das ist die Zeit, dem Leben (neu) Richtung zu geben. Einmal auf die Bremse zu steigen und ran zu fahren und stehen zu bleiben, innezuhalten. Und überhaupt mal zu schauen: Wo bin ich eigentlich? Hier und jetzt in meinem Leben? Passt die Richtung eigentlich noch? Oder habe ich schon mal eine falsche Abzweigung genommen, ohne es zu merken?
Ich gebe zu, ich gehöre zu jenen Zeitgenossen, die in ihrem Auto kein Navigationsgerät haben, das mitteilt, wie es weitergeht. Keine Stimme von außen, die mir aufträgt, was zu tun ist. Ich bin letztlich auf mich selbst angewiesen und auf das, was in mir ist.
Die Stimme eines Propheten
Heute hören wir in der Lesung aus dem kleinen Prophetenbuch des Ersten Testamentes noch eine andere Stimme, die da ruft: Kehrt um zu mir von ganzem Herzen! Es ist die Stimme des Herrn, der zu einer Korrektur, vielleicht auch zu einer Richtungsänderung mahnt. Eindringlich. Denn es ist eng geworden. Es bleibt nicht mehr viel Zeit. Wie auf der Autobahn beim Spurenwechsel.
Manches Mal geht die Richtungskorrektur nicht so ohne Weiteres über die Bühne, kann sie schmerzhaft sein und einiges abverlangen. Wie beim Abbau der Schuldenberge in Europa, so gibt es vielleicht auch in uns selbst und im persönlichen Leben einiges, das abgebaut werden muss, was sich angehäuft hat, was schädlich ist, für mich und für meine Nächsten, was sich einfach so, auch unbemerkt oder ungewollt, eingefahren hat. Manches Mal ist es auch dasjenige, von dem ich im Stillen weiß, dass, wenn ich so weiterfahre, es auf Länge nicht gut gehen wird.
Gerade dann ist es gut, dass von außen oder von oben oder von "weiß Gott woher" (tatsächlich!) - vielleicht sogar aus der Zeitung oder vom Nachbarn ... - eine Stimme kommt, die mich aufrüttelt und innehalten lässt: Halt mal an. Und schau, ob du wirklich auf dem richtigen Weg bist, ob du, wenn du hier und so weiterfährst, wirklich an dein Ziel kommst.
Was im Leben zählt
Die Liturgie des Aschermittwoches ist geprägt von diesem "Halt mal", wenn die Asche über dem Haupt ausgestreut wird, und man zugesagt bekommt: Bedenke, o Mensch, dass du Staub bist und zu Staub zurückkehrst. Angesichts dieser Perspektive, die des Menschen Geschöpflichkeit und Vergänglichkeit so knallhart vor Augen führt, ist es offenkundiger, was im Leben zählt.
"Kehrt um zu mir von ganzem Herzen, mit Fasten, Weinen und Klagen." spricht der Herr. Die Umkehr, von der der Prophet spricht, ist kein Lippenbekenntnis, keine oberflächliche Angelegenheit. Wenn sie vom Herzen kommt, umfasst sie den ganzen Menschen, dann dringt das, was innen (versteckt) ist, nach außen.
Die Fastenzeit ist eine Zeit, nicht im Kreisverkehr hängen zu bleiben, sondern die richtige Ausfahrt zu nehmen. Dorthin, wo Leben in Fülle uns verheißen ist und uns erwartet.
Wir verlangen, das Leben müsse einen Sinn haben. Der Mensch findet Sinn, indem er auf sein Herz hört und auf die Stimme des Herrn, die zu ihm spricht. Wer auf sie hört, fährt gut in seinem Leben. "Höre ... und du wirst ankommen." (aus der Regel des Hl. Benedikt).