Markus stellt die Ereignisse um Jesus, die er in seinem Evangelium berichten will, in den Rahmen großer Geschichte. Diese beginnt mit der Umkehrpredigt des Johannes. Er knüpft an die Verbannung Israels nach Babylon an. Mit Jesus beginnt die große Gegenbewegung.
Am Jordan wird Geschichte geschrieben
In Rom wurde Geschichte geschrieben, in Wien auch. Aber die richtig große Geschichte kommt vom Jordan. Nicht, dass sich dieser Fluss mit Donau, Rhein und Ural messen könnte, aber hier laufen gleich mehrere Geschichten in eine große zusammen. Die Historiker werden jetzt lächeln, vielleicht auch abwinken. Dass der Jordan ein Zankapfel ist oder auch in der Region Geschichte erleidet, das wohl. Aber große Geschichte?
Der Evangelist, der erste in dieser Riege, Markus, hat da seine eigene Sicht. Er beginnt sein Evangelium mit dem bemerkenswert kurzen, aber prägnanten Einstieg:
„Dies ist der Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, dem Sohn Gottes. Wie geschrieben steht im Propheten Jesaja: 'Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her, der deinen Weg bereiten soll'.“ Und dann erzählt Markus die Geschichte von Johannes, der als Täufer in der Wüste – eben am Jordan – predigt und tauft. Buße, zur Vergebung der Sünden. Umkehr. Das ganze jüdische Land und alle Leute von Jerusalem pilgern zu ihm (MK 1,5). Und sie gehen nicht nur aus ihren Behausungen – sie bekennen ihre Sünden (Mk1,5). Das ganze Land – alle Leute! Die ganze Welt ist in Bewegung! Das hat der Jordan vorher und nachher noch nicht erlebt. Ich eigentlich auch nicht. Dann aber freue ich mich: die Sehnsucht nach Veränderung, nach Neuanfang, nach einer „umgekehrten“ Welt liegt in der Luft. Holen wir jetzt einmal tief – Luft!
Dabei verweist Johannes aber schon gleich auf Jesus, der kommen wird. „Ich taufe euch mit Wasser; aber er wird euch mit dem heiligen Geist taufen“ (Mk 1,8). Ob die Leute das verstehen? Verstehen wollen? Johannes weiß nicht Größeres zu erhoffen, als dass der Heilige Geist unter uns alles verwandelt. Alles verwandeln wird. Für ihn ist die Nummer zu groß. Er kann nicht mehr sein als Steigbügelhalter, Schuhputzer oder einfach – nur Bote. Er sieht, er zeigt eine große Bühne – für eine Geschichte, die immer größer wird. Immer weiter reicht.
Das Lied vom Knecht
Ein Strom dieser Geschichte kommt aus dem Zweistromland. Babylon. Manche Einzelheit lässt sich wohl nie mehr rekonstruieren. Doch das Volk Israel ist in Babylon. Gefangen. Ein ganzes Volk in der Fremde. Eine Katastrophe! Ein Trauma! Doch dann geht ein Licht auf: „Seht, das ist mein Knecht, den ich stütze; das ist mein Erwählter, an ihm finde ich Gefallen. Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt, er bringt den Völkern das Recht.“ So heißt es in der alttestamentlichen Lesung an diesem Festtag von der Taufe unseres Herrn. Es ist von dem Knecht Gottes die Rede. Gott legt seinen Geist auf einen Menschen, nennt ihn „mein Erwählter“ und lässt ihn den Völkern das Recht bringen. Eine neue Geschichte beginnt. Nicht nur für Israel. Wenn von den Völkern die Rede ist, ist die ganze Welt gemeint. Und Israel mitten drin. Ein Zeichen der Hoffnung! Das Alte bleibt nicht alt, Geschichten bleiben nicht stecken, Eingerissenes bricht auf.
„Das geknickte Rohr zerbricht er nicht,
und den glimmenden Docht löscht er nicht aus;
ja, er bringt wirklich das Recht.
Er wird nicht müde und bricht nicht zusammen,
bis er auf der Erde das Recht begründet hat.
Auf sein Gesetz warten die Inseln.“
Ich möchte das nur vorlesen. Die Bilder sprechen für sich. Eines schöner und verheißungsvoller als das andere. Menschen sind geknickt, fast erloschen. Es ist nicht schwer, Geschichten und Gesichter zu finden. Nicht nur in Babylon. Ein Leichtes, ihnen den Rest zu geben. Oft geschieht das auch. Mal unvorsichtig, mal auch absichtlich. Wenn ein geknicktes Rohr ganz zerbricht, der Docht ganz erlöscht, gibt es auch keine Hoffnung mehr. Aus. Vorbei. Wie soll ein Mensch dann noch einmal hochkommen, aufblühen, leuchten, wenn er in seinem Ende festgehalten, eingesperrt und gedeckelt wird? Wir können auch heute noch dazu Geschichten erzählen, kleine Geschichten von Menschen unter uns. Meistens gehen sie unter, namenlos. Es reicht, Babylon zu sagen. Eine Hochkultur mit Abgründen. Fremd kann uns das nicht sein. Gott aber gibt nicht den Rest, er macht einen neuen Anfang. Er will einen neuen Anfang. Hindern kann ihn daran keiner. Sein Knecht – um in der alten Sprache zu bleiben – wird dabei keine Gewalt anwenden oder rechtfertigen.
Er ist bestimmt, Licht für die Völker zu sein:
blinde Augen zu öffnen, Gefangene aus dem Kerker zu holen
und alle, die im Dunkel sitzen, aus ihrer Haft zu befreien.
Der Strom dieser Geschichte mag zwar aus der Gegend um Euphrat und Tigris fließen, führt uns aber an den Jordan.
Die Taufe Jesu
Hier – am Jordan - werden Geschichten zusammengeführt. Johannes steht sozusagen als letzter Prophet des Volkes Israel im Wasser – und tauft. Seine Predigten sind überraschend attraktiv. Er kann zur Umkehr aufrufen und wird verstanden. Er kann eine neue Zeit ankündigen und die Leute pflücken die Worte von seinen Lippen. Er kann auf Jesus verweisen und der ist auf einmal da! Markus, der die Szene festhält, hat nur einen Satz für dieses Ereignis: „In jenen Tagen kam Jesus aus Nazareth in Galiläa und ließ sich von Johannes im Jordan taufen.“ Sie möchten mehr wissen? Ich auch. Keine Chance. Nur, was so karg erzählt wird, kann in Köpfen und Herzen Wunder wirken. Jesus, einer von den vielen, einer von allen, einer von uns. Das ist am Anfang des Evangeliums schon – fast – das ganze Evangelium. Doch eine Taube und eine Stimme weisen den Weg: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden.“ Dass die Taube für Gottes Geist steht, die Stimme für Gottes Wort, hilft uns, die himmlische Offenheit an diesem Ort in der Wüste mit eigenen Augen zu sehen, mit eigenen Ohren zu hören. Hier sehen wir den Knecht Gottes, den Erwählten.
Nur Eines ist anders: Nicht als Knecht, sondern als Sohn, als geliebter Sohn, wird er angesprochen. Und diese Liebeserklärung ist für uns gedacht, aufgeschrieben, vor die Augen gemalt. Tatsächlich: eine Liebeserklärung steht am Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, dem Sohn Gottes. Im Lauf des Jahres werden wir noch viele Geschichten von ihm lesen, seine Predigten, seine Zeichen, sein Leiden und Sterben, seine Auferstehung. In allem, was er sagt und tut, hören und sehen wir den Vater. Seine Liebe. Es ist Gottes Art, dann wirklich und wahrhaftig einer von uns zu sein. Dabei wird die Welt nicht so bleiben, wie sie in ihrer Zerrissenheit, Angst und Wut ist. Jesus predigt das Evangelium Gottes und spricht: „Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium“ (Mk 1,15).
Eine Taube
Jetzt waren wir kurz am Jordan, haben einen kleinen Abstecher nach Babylon gemacht und sind überraschend auf eine Taube gestoßen. Wussten Sie, dass sie von Anfang an Gottes Lieblingsbotin ist? Als die Urflut zurückging, brachte sie das Blatt in die Arche. Das Lebenszeichen! Selbst im Weltuntergang bewahrt Gott seine Welt. Manchmal reicht ein Blatt, eine Blüte, eine Knospe. Und der verlöschende Docht entfaltet sich in einer hellen Flamme. Die Taube steht für Sanftmut. Die Taube macht die Geschichten zu einer großen. Die Taube steht für den Geist Gottes, der eine neue Welt schafft.
Hören wir noch kurz in eine Predigt hinein, die Petrus gehalten hat. Maulheld, Versager und Apostel, gar Fels: „Ihr wisst, was im ganzen Land der Juden geschehen ist, angefangen in Galiläa, nach der Taufe, die Johannes verkündet hat: wie Gott Jesus von Nazareth gesalbt hat mit dem Heiligen Geist und mit Kraft, wie dieser umherzog, Gutes tat und alle heilte, die in der Gewalt des Teufels waren; denn Gott war mit ihm.“
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.
Alfons Jestl (2008)
Lorenz Walter Voith (1999)