Wir sprechen vom verborgenen Leben Jesu in Nazaret. Verborgen, weil wir über diese Zeit nur wenig wissen. Nachdem seine Eltern Jesus zum Tempel in Jerusalem gebracht hatten, um ihn dem Herrn zu weihen, kehrten sie nach Nazaret zurück (Lk 2,51 f.). Es heißt dann von Jesus: "Das Kind wuchs heran und wurde kräftig. Gott erfüllte es mit Weisheit, und seine Gnade ruhte auf ihm" (Lk 2,40). Weiter hören wir, dass die Eltern den zwölfjährigen Jesus zum Paschafest nach Jerusalem mitnahmen. Der Anlass war die Bar Mizwa, womit ein Zwölfjähriger in die Gemeinde als vollwertiges, mit Rechten ausgestattetes Mitglied aufgenommen wurde. Es wird erzählt, wie Jesus unter den Schriftgelehrten saß, ihnen zuhörte und ihnen Fragen stellte. "Alle, die ihn hörten", schreibt Lukas, "waren erstaunt über sein Verständnis und seine Antworten" (Lk 2,47).
Die Taufe im Jordan.
Erst als Jesus an die dreißig Jahre alt war, trat er in die Öffentlichkeit. Dies war am Jordan, wo Johannes taufte. Über das Taufgeschehen berichten die Evangelien in vier Versionen. Heute haben wir den Text gehört, der im Johannesevangelium überliefert ist (Joh 1,29-34).
Johannes, der Täufer erkennt in Jesus denjenigen, der ihm voraus ist, weil er vor ihm war. In dieser Aussage spricht sich der nachösterliche Glaube aus, dass Jesus der Sohn Gottes ist. So hörten wir im heutigen Evangelium das Wort des Täufers: "Ich bezeuge: Er ist der Sohn Gottes". Erst später konnte Johannes erkennen, wozu Jesus gesandt war. "Ich sah, dass der Geist vom Himmel herabkam wie eine Taube und auf ihm blieb. Auch ich kannte ihn nicht; aber er, der mich gesandt hat, mit Wasser zu taufen, er hat mir gesagt: Auf wen du den Geist herabkommen siehst und auf wem er bleibt, er ist es, der mit dem Heiligen Geist tauft" (Joh 1,32f.).
Im Markusevangelium hören wir das so: "Ich habe euch nur mit Wasser getauft, er aber wird euch mit dem Heiligen Geist taufen" (Mk 1,8). Wenn in der Überlieferung des Lukasevangeliums Johannes der Täufer über Jesus sagt, einer komme, der stärker sei als er und dem er den Weg bahnte, dann muss er in ihm einen Menschen wahrgenommen haben, in dem der Geist Gottes auf eine ungewöhnliche Weise wirksam geworden ist. Johannes sagt zu denen, die zu ihm gekommen sind, um die Bußtaufe zu empfangen und sich von ihren Sünden reinigen zu lassen: "Ich taufe euch mit Wasser zur Umkehr, der aber nach mir kommt, ist stärker als ich" (Mt 3,11). Dennoch lässt sich Jesus von Johannes taufen, obwohl Johannes dies nicht zulassen wollte (Mt 3,15). Denn eigentlich hätte Johannes von Jesus getauft werden müssen. Doch Jesus reiht sich, obwohl selbst sündenlos, in die Schar der Sünder ein.
Im Taufgeschehen selbst erfährt sich Jesu als der von seinem Vater geliebte Sohn. Davon berichtet die Markustradition. "Als er aus dem Wasser stieg, sah er, wie sich der Himmel öffnete und der Geist wie eine Taube auf ihn herabkam. Und aus dem Himmel sprach eine Stimme: Du bist mein geliebter Sohn; an dir habe ich mein Wohlgefallen" (Mk 1,10 ff.). Im Lukasevangelium wird das Geschehen als eine Gebetserfahrung dargestellt. "Während er betete, öffnete sich der Himmel und der Heilige Geist kam sichtbar in Gestalt einer Taube auf ihn herab, und eine Stimme aus dem Himmel sprach: Du bist mein geliebter Sohn, an die habe ich mein Wohlgefallen" (Lk 3, 21 f.).
Nach der Überlieferung des Markus und des Lukas hat nur allein Jesus die Stimme aus dem Himmel vernommen, nicht einmal der Täufer Johannes. Jesus beginnt zu ahnen, dass er einer einzigartigen Beziehung zu seinem himmlischen Vater steht. In der Auferstehung wird Jesus dann endgültig von seinen Vater als sein geliebter Sohn bestätigt. Aus dieser nachösterlichen Sicht lassen die Evangelisten Jesus schon in der Taufe als Gottes Sohn erscheinen (Rückprojektion, narrative Antizipation). Durch diese göttliche Erwählung sieht sich Jesus vor die denkbar größte Aufgabe seines Lebens gestellt. Er soll das, was der Geist Gottes in ihm gewirkt hat, dem Volk Israel und später der ganzen Menschheit kundtun. Mit diesem göttlichen Anspruch konnte er jedoch nicht vor die Menschen seines jüdischen Umfelds hintreten, ohne der Blasphemie und damit eines todeswürdigen Verbrechens bezichtigt zu werden.
Vom Geist in die Wüste geführt.
Um sich der Tragweite des ihm von seinem Vater zugesprochenen Auftrags bewusst zu werden, um das ihm Aufgetragene sich innerlich zu eigen zu machen, wird er vom Geist Gottes in die Wüste geführt. Im Markusevangelium lesen wir: "Danach trieb der Geist Jesus in die Wüste. Dort blieb er vierzig Tage lang und wurde vom Satan versucht" (Mk 1, 12 f.). Jesus stand vor der Entscheidung, welchen Weg er gehen sollte. Den Weg der Gewaltlosigkeit, der scheinbaren Ohnmacht. Oder den Weg irdischer Machterweise. Davon berichtet die Versuchungsgeschichte. Eine widergöttliche Macht, Satan oder Teufel genannt, führte Jesus in Versuchung und wollte ihn von dem ihm von Gott gewiesenen Weg abbringen. Er sollte dazu geführt, dazu verführt werden, durch äußere Machterweise die Menschen von sich zu überzeugen Der Satan legte ihm nahe, Steine in Brot zu verwandeln. Nachdem er dies zurückgewiesen hat, versuchte der Satan ein Weiteres. Jesus sollte sich durch einen spektakulären Sturz von der Tempelzinne als Messias erweisen. Schließlich will der Versucher Jesus dazu bringen, von ihm die Herrschaft über alle Reiche dieser Welt zu erlangen, wenn er sich vor ihm niederwirft und ihn anbetet. Jesus hat auch dieser letzten abgründigen Versuchung widerstanden. Er hat den Weg der Erniedrigung gewählt. Diesen ist er bis zum Ende gegangen. Bis hinein in Todesangst und Gottesverlassenheit. Jesus hätte diese fundamentale, für das Heil der Menschheit so entscheidende Wahl nicht treffen können, wäre er nicht vom Geist Gottes geleitet gewesen, aufgeschienen schon in der Taufe am Jordan. Nach vierzig Tagen in der Wüste kehrt Jesus, "erfüllt von der Kraft des Geistes", wie es im Evangelium des Lukas heißt, "nach Galiläa zurück (Lk 4, 14).
Gesandt zu den Armen und Hilfsbedürftigen.
Dann hören wir noch einmal davon, wie sich der Geist Gottes in Jesus machtvoll erweist. In der Synagoge seiner Heimatstadt Nazaret wird ihm in einem Sabbatgottesdienst das Buch des Propheten Jesaja gereicht. Darin findet er die Stelle: "Der Geist des Herrn ruht auf mir, denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen die gute Nachricht bringe, damit ich den Gefangenen Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht, damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setzte und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe (Lk 4, 18 ff.). Nachdem Jesus das Buch dem Synagogenvorstehers zurückgegeben hatte, sagt er, dass sich heute das Schriftwort an ihm erfüllt hat: Denn er ist zu den Armen, den Gefangenen, den Zerschlagenen gekommen. Zu all denen, die von Not und Leid geplagt sind. Zu denen, die nicht mehr weiter wissen. Zu ihnen gehören auch wir, in dieser oder jener Weise. Wir dürfen Jesu Wort auch an uns gerichtet hören: Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid. Ich werde euch Ruhe verschaffen in eurem Herzen (vgl. Mt 11, 28-30).
Wir können uns nicht mit Jesus vergleichen, auf den in der Taufe der Geist Gottes herab gekommen ist. Jesus steht in einer einzigartigen Beziehung zu Gott, den er seinen Vater nennt. Dennoch sind wir seit unserer Taufe hinein genommen in das göttliche Leben. Gottes Geist, der in Jesus in seiner ganzen Fülle lebt, lebt auch in uns. Wir müssten ihm in unserem Herzen noch mehr Raum geben. Bei Meister Eckart, dem großen Mystiker des Mittelalters, lesen wir: "Wäre ich so bereit und fände Gott so weit Raum in mir wie in unserem Herrn Jesus Christus, er würde mich ebenso völlig mit seiner Flut erfüllen. Denn der Heilige Geist kann sich nicht enthalten, in all das zu fließen, wo er Raum findet, und soweit er Raum findet."
Norbert Riebartsch (2012)
Maria Wachtler (2004)