Aus dem heiligen Evangelium nach Lukas.
In jener Zeit ging Jesus nach Jerusalem hinauf.
Und es geschah:
Er kam in die Nähe von Betfage und Betanien,
an den Berg, der Ölberg heißt,
da schickte er zwei seiner Jünger aus
und sagte: Geht in das Dorf, das vor uns liegt!
Wenn ihr hineinkommt,
werdet ihr dort ein Fohlen angebunden finden,
auf dem noch nie ein Mensch gesessen hat.
Bindet es los und bringt es her!
Und wenn euch jemand fragt: Warum bindet ihr es los?,
dann antwortet: Der Herr braucht es.
Die Ausgesandten machten sich auf den Weg
und fanden alles so, wie er es ihnen gesagt hatte.
Als sie das Fohlen losbanden,
sagten die Leute, denen es gehörte:
Warum bindet ihr das Fohlen los?
Sie antworteten: Weil der Herr es braucht.
Dann führten sie es zu Jesus,
legten ihre Kleider auf das Fohlen
und halfen Jesus hinauf.
Während er dahinritt,
breiteten die Jünger ihre Kleider auf dem Weg aus.
Als er sich schon dem Abhang des Ölbergs näherte,
begann die Schar der Jünger
freudig und mit lauter Stimme Gott zu loben
wegen all der Machttaten, die sie gesehen hatten.
Sie riefen:
Gesegnet sei der König, der kommt im Namen des Herrn.
Im Himmel Friede und Ehre in der Höhe!
Da riefen ihm einige Pharisäer aus der Menge zu:
Meister, weise deine Jünger zurecht!
Er erwiderte:
Ich sage euch:
Wenn sie schweigen,
werden die Steine schreien.
Der Schilderung des Einzuges Jesu in Jerusalem geht bei Lukas das Gleichnis vom anvertrauten Geld unmittelbar voraus. Dieses endet mit dem Ausblick, dass nicht alle Menschen wollen (das Evangelium spricht in diesem Zusammenhang von Feinden), dass der genannte König ihr König werde.
Der letzte Vers des in der Leseordnung vorgesehenen Evangeliums (Vers 40) ist inhaltlich mit den folgenden Versen 41 - 44 verbunden. Aus diesem Grunde empfiehlt sich eine Lektüre des Einzugs Jesu in Jerusalem in diesem Kontext.
Für meinen Predigtvorschlag habe ich die Erweiterung um die Verse 41 - 44 mit berücksichtigt.
Empfohlene Erweiterung:
Als er näher kam und die Stadt sah, weinte er über sie und sagte:
Wenn doch auch du an diesem Tag erkannt hättest, was dir Frieden bringt.
Jetzt aber bleibt es vor deinen Augen verborgen.
Es wird eine Zeit für dich kommen,
in der deine Feinde rings um dich einen Wall aufwerfen,
dich einschließen und von allen Seiten bedrängen.
Sie werden dich und deine Kinder zerschmettern
und keinen Stein auf dem andern lassen;
denn du hast die Zeit der Gnade nicht erkannt.
Die lukanische Version der "Einzugsgeschichte" - sie ist in allen vier Evangelien sehr akzentuiert erzählt - fällt schon durch ihre sprachliche Schönheit auf. Lukas, auch sonst ein Meister konzentrierter und ansprechender Erzählkunst, hat eine "Jünger"-Geschichte geformt, die in seinem sog. Reisebericht einen Faden aufnimmt, der in 9,51 ff. "stracks" nach Jerusalem führt.
Zwei Jünger werden in das vor ihnen liegende Dorf geschickt, einen jungen Esel zu holen. Was Jesus den beiden als Wegweisung mitgibt, erweist ihn als Propheten: Die Jünger finden alles so vor, wie es ihnen Jesus sagt, und auch die Frage, auf die er sie vorbereitet, wird dann so gestellt. "Der Herr braucht ihn". Warum? Für was? Im Hintergrund steht die prophetische Verheißung, die bei Sacharja formuliert ist (Sach. 9,9f.): Nicht nur, dass "dein König kommt" (angesprochen ist die Tochter Zion = Jerusalem) auf einem jungen Esel, sondern auch, dass Streitwagen, Rosse und Waffen vernichtet werden. "Er verkündet für die Völker den Frieden; seine Herrschaft reicht von Meer zu Meer und vom Eufrat bis an die Enden der Erde."(Vers 10b). Dass diese Verheißung in Erfüllung geht, hat der Evangelist in Szene - 2 Jünger in einem Dorf vor Jerusalem - gesetzt, ohne auch nur ein Wort zuviel zu sagen.
Es sind die Jünger, die ihre Kleider auf den Esel legen und wie einen Roten Teppich auf den Weg vor ausbreiten. Die Menge hat Lukas ausgeblendet, ebenso die Palmzweige. Ihm lag an der Kleiderszene, die diesen Einzug von vielen anderen herrschaftlichen Empfängen abhebt und noch einmal unterstreicht, wer denn hier kommt. Dieser König kommt ohne Eskorte und ohne gepanzerten Begleitschutz (Statussymbol bis heute), sondern vor ihn legen Menschen ab, ziehen sich aus - und haben Anteil an seiner Wehrlosigkeit. Das Sacharjawort meint ursprünglich auch, dass ein König kommt, dem geholfen wird (passiv) bzw. dem geholfen werden muss.
Als der Abstieg (!) beginnt, begannen alle Jünger freudig und mit lauter Stimme Gott zu loben, wegen all der Wundertaten, die sie erlebt haben (nachdrücklich: alle Jünger - alle Wundertaten!). Ihr Lobpreis knüpft an den Psalm 118 an: "Ach, Herr, bring doch Hilfe - ach, Herr, gib doch Gelingen. - Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn" (Vers 25 f.). Lukas lässt eine Nähe erahnen zwischen der Akklamation der Jünger und dem Lobgesang der Engel aus Kap. 2,14: während die Engel auf die Menschen blicken ("Friede auf Erden"), wenden die Jünger ihre Blicke zum Himmel ("Friede im Himmel"). Anspielungen und Zuspitzungen liebt Lukas besonders. Überhaupt klingt in den Cantica Lukas 1 - Benedictus und Magnificat - an, wie Gott sein Volk besucht. Den roten Faden hat Lukas fein verwoben. Der Lobpreis der Jünger nimmt das Heil aus Gottes Hand. Jetzt.
Die kunstvolle Komposition von Lukas, in der der Einzug Jesu von langer Hand vorbereitet erscheint, aber nur in kurzen Schlüsselszenen aufleuchtet, erinnert gegen Ende an den Konflikt zwischen Jesus und den Pharisäern. Für sie ist die Akklamation ein Affront. Aber wenn der Lobpreis verstummt, wird der Tod das Wort an sich ziehen. Ohne vorwegzunehmen, was er dann weiter erzählt, bereitet Lukas das Ende vor. Das Bild von den "schreienden Steinen" stellt das Unheil dar, in das Jesus zieht. Umso nachdrücklicher hat Lukas "seine" Geschichte vom Einzug geformt.
Die Botschaft des Lukas hat Ähnlichkeiten mit Markus, aber starke eigenständige Akzente.
Jerusalem hat eine heilsgeschichtliche Schlüsselstellung. Dort hat die Verkündigung des Evangeliums begonnen (Lk 1,8-22) und in Jerusalem wird sie auch enden (Lk 24,52 ff.). Von dort wird auch das Evangelium zu allen Volkern und in alle Länder getragen werden (Lk 24,46-49 und Apg 1,4-8).
Der Einzug in Jerusalem schließt den sogenannten "lukanischen Reisebericht" (Lk 9,51-19,27) ab. Jesus nimmt Jerusalem gleichsam in Besitz. Seine Verkündigung erreicht in der Stadt und im Tempel den Höhepunkt und führt zur letzten Entscheidung.
Der Einzug in die Stadt Jerusalem bedeutet das gleichsam "alles entscheidende" Heilsangebot an Israel. Der Jubel der Engel bei der Geburt in Betlehem (Lk 2,14) wird zum Jubel der Jünger vor Jerusalem. Die Huldigung geschieht auf dem Ölberg. Nur die Jünger, nicht die Volksmassen, proklamieren Jesus als als König Israels und rufen das politisch unverdächtige religiöse Reich Jesu aus.
Lukas verkündet hier eine Stunde der Entscheidung. Der Entscheidung zwischen der "Fülle des Lebens" und dem "ewigen Tod" in der Gottesferne.
Gabi Ceric (2007)
Manfred Wussow (2004)
Bernhard Zahrl (2001)