Schicksalsschläge
Wie geht es Ihnen, wenn Sie solche Texte hören? Ich muss gestehen: Ich muss dabei immer ganz schön schlucken. Da ist nichts mit dem „lieben Gott“ oder dem einfühlsamen Jesus.
Wie haben ein Evangelium gehört, das von Unglücken spricht – und von einem Gott, der das alles geschehen lässt – und eine Lesung, die von einem eigenartigen Gott berichtet, der sich im Dornbusch als brennendes Feuer offenbart.
Es geht um die Spannung von Gottferne und Gottesnähe
Die heutige Lesung ist für mich eine der wichtigsten Stellen überhaupt in der Bibel und für unseren Glauben. Gott sagt, was er für die Menschen sein will bzw. was er eigentlich ist: „Ich bin der »Ich-bin-da«". Ein Gott, der immer da ist, gerade auch, wenn die Not groß ist; ein Gott, der mit seinem Volk unterwegs ist.
Aber stimmt das mit meiner Erfahrung überein? Erlebe ich nicht immer wieder, dass Gott gerade nicht da ist? Wie kann Gott so großes Leid zulassen, wie ich es tagtäglich sehe und erlebe – gerade in den letzten Monaten, mit den ertrinkenden Kindern im Mittelmeer, den hungernden Menschen in Äthiopien (und das ist ja auch die Frage im Evangelium)? Es wäre doch so schön, hätten wir einen Gott, der uns vor jedem Leid beschützt; der nichts Böses an uns heranlässt.
Aber wäre das wirklich so gut? Wie ginge es mir mit einem Gott, der mich wie am Gängelband herumführte? Ich möchte keinen Gott, der mir keinen Spielraum ließe, meine eigenen Erfahrungen zu machen, auch wenn ich dabei manchmal auf die Nase falle. Ich möchte keinen Gott, der mir nicht die Freiheit lässt, auch meine Fehler zu machen.
Es ist doch die Erfahrung der Eltern: Sie können die Kinder nicht steril von jeglichen Umwelteinflüssen aufziehen, keiner Gefahr ausgesetzt. Denn ein jeder Mensch muss seine eigenen Erfahrungen machen. Wichtig ist aber, dass man dabei Grundsätze hat, die es erleichtern, den richtigen Weg zu finden; die uns helfen, gut und böse zu unterscheiden.
So nimmt auch Gott mir mein Leben nicht ab – und das bedeutet, dass ich auch immer wieder leidvolle Erfahrungen mache. Seine Zusage dabei ist aber: Er lässt mich in den Erfahrungen nicht allein. Genau dort ist er an meiner Seite, mitten im Leid, und leidet mit mir, leidet mit uns. Gerade das Kreuz Christi weist uns darauf deutlich hin.
Und dies ist auch der Grund, warum sich Gott dem Mose offenbart: Weil er Mit-Leid hat; weil er um das Leid des Volkes weiß: „Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen. Ich kenne ihr Leid.“ (Ex 3,7). Wir sind Gott nicht egal, sondern er sorgt sich um uns und ist bei uns. Oder wie wir es jetzt ein ganzes Jahr lang feiern: Er ist ein gnädiger und barmherziger Gott.
Gott hat einen Namen
Aber noch ein Zweites ist in dieser Lesung wichtig: Gott offenbart seinen Namen. Einen Namen zu haben war immer schon sehr wichtig: Mit einem Namen ist eine Person benennbar. Umgekehrt macht etwas Unbekanntes, nicht Benennbares Angst. (Mir wird das gerade in der Flüchtlingswelle so deutlich: Die namenlose Masse macht Angst; man kennt sie nicht. Aber sobald man eine Person, eine Familie kennt; sobald man die Namen kennt, sich bekannt gemacht hat – da schwinden solche Ängste sehr schnell.)
Gott offenbart seinen Namen, um dem Volk damals und uns heute die Angst zu rauben: die Angst vor einem Unbekannten, Namenlosen. Damit aber gibt er uns auch ein wenig Macht über sich – denn wer den Namen des anderen kennt, hat auch Macht über ihn gewonnen. Von daher leitet sich das Gebot ab, den Namen Gottes nicht zu missbrauchen: Denn der Name ist nicht nur Beiwerk, ein kleiner Zusatz, sondern er drückt das Wesen aus. (Gott selber sagt es ja: "Ich habe dich bei deinem Namen gerufen – mein bist du.")
Und der Name, den Gott dem Mose nennt, ist nicht nur die Zusage „Ich bin der »Ich-bin-da«“, sondern er sagt auch: Ich bin der „Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs“. Damit aber sagt Gott, dass er ein Gott der Menschen ist; dass er ein persönlicher Gott ist, der eine Beziehung zu den Menschen sucht. Er ist nicht ein ferner Gott, dem die Menschen und die Welt egal sind; er ist nicht ein unpersönliches Prinzip, wie ihn heutige esoterische Bewegungen immer wieder haben wollen. Er ist nicht ein Gott, den ich mir selbst stricken kann. Und er ist auch nicht nur irgendeine höhere Macht. Sondern er ist der Gott, der mit den Menschen mitgeht; der die Geschichte von uns Menschen mitbestimmt. Er ist der Gott, den die Vorfahren auf ihrem Lebensweg erfahren haben – als den, der rettet und erlöst.
Und er ist auch ein Gott, der sich nicht aufdrängt und der die Menschen zwingt, an ihn zu glauben. Vielmehr wird er von den Eltern an ihre Kinder weitergegeben. „Der Gott unserer Väter“ heißt es in der Bibel immer wieder – meist müsste man heute sagen: der Gott unserer Mütter und Großmütter. Die Glaubensweitergabe, die Weitergabe dieses Gottesnamens – es ist ein Auftrag, der heute mehr denn je an uns als christliche Gemeinden und an die Familien ergeht.
Das persönliche Gottesbild
Ich habe mein persönliches Gottesbild jedenfalls nicht aus Büchern, auch nicht aus einer einmaligen Gotteserfahrung, sondern aus dem Glauben der Familie, aus dem Zeugnis meiner Großeltern und Eltern, meiner Onkeln und Tanten mitbekommen. Und ich durfte erleben, wie dieser Glaube an Gott das Zusammenleben geprägt hat – durch Rücksichtnahme, Respekt und Förderung des gegenseitigen Vertrauens.
Wenn wir heute so häufig von einer gottlosen Zeit hören, davon, dass die Menschen immer weniger glauben, so macht mich das nachdenklich und hellhörig. Ich meine, dass wir als Christen viel mehr von unserem persönlichen Gott sprechen sollten; davon, wie wir Gott in unserem Leben erfahren: in Glück und im Leid. Nur so wird das Reden von Gott und wird sein Name auch bei uns lebendig bleiben. Denn das ist auch der Weg der Bibel: Sie ist keine theoretische Abhandlung über Gott, sondern sie erzählt, wie Gott an den Menschen handelt. Und da lesen wir, dass er mit seinem Volk unterwegs ist in schönen und schweren Zeiten; dass er sich über die Sünden der Menschen aufregt und über das Gute der Menschen freut; dass er Menschen beruft; und dass er die Menschen liebt.
Gott, der barmherzige Vater
Gott offenbart dem Mose seinen Namen – und dieser Name bedeutet: Er ist da, er ist mit uns. Und dieser unser Gott ist ein persönlicher Gott.
Für uns Christen ist dieser Gott aber auch wie jener Weingärtner im Gleichnis Jesu (Lk 13): Er hat Geduld mit uns Menschen und er lässt nichts unversucht, dass wir doch noch gute Früchte bringen. Jesus gibt Gott für uns vor diesem Hintergrund einen noch persönlicheren Namen, der Beziehung ausdrückt: Er ist unser Vater, und er ist ein barmherziger Vater.
Ein gegenwärtiger Gott, ein Gott der Beziehung, ein sehr persönlicher Gott – mit diesen Beschreibungen wird deutlich, dass wir keinen Gott haben, der Angst machen will oder mit dem wir Angst machen dürfen, sondern einen, dessen größte Sorge es ist, dass unser Leben gelingt.