Nein, es geht noch nicht auf Weihnachten zu. Obwohl ich zugeben muss: das Evangelium hört sich sehr adventlich an. Es ist eine sehr schöne Geschichte, reizvoll und anrührend, weil sie von zwei alten Leuten erzählt, Zacharias und Elisabeth, die in hohem Alter überraschend ein Kind bekommen. Das lang ersehnte, das längst aufgegebene. Der alte Vater kann die Ankündigung, die ihm im Tempel zuteil wird, nicht einmal glauben. Was ihm widerfuhr, kennen Sie? Er verstummt - bis er seinem Sohn tatsächlich den Namen Johannes gibt. Was so viel heißt, wie: Gott ist gnädig, Gott hat Gnade erwiesen. Das muss laut gesagt werden! Ein ebenso schöner wie bedeutungsvoller Name! Er ist ganz leicht, weht aus dem Himmel zu uns, ein Traum! Was dem kleinen Johannes da mitgegeben (oder auch aufgebürdet) wird, hat er selbst in die Worte gekleidet: Tut Buße - das Reich Gottes ist nahe. Nein, es geht noch nicht auf Weihnachten zu. Wir sind mitten im Jahr, mitten im Leben.
Das 1. Geheimnis
Reden wir von Johannes! Es ist sein Geburtstag, den wir feiern. Wir stellen uns einfach dazu. Hin und her: wie soll das Kind heißen? Zacharias, wie sein Vater? Das wäre nicht schlecht. Heißt das doch: Gott hat sich erinnert - auch ein schöner Name für ein Kind, das nach langen und eben lange nicht erhörten Gebeten geboren wird. Dass Gott sich erinnert - das passt zu dieser, auch sehr menschlichen, Geschichte. Aber Zacharias kennt aus erster Quelle - aus dem Mund eines Engels -, wie Gott dieses Kind genannt wissen will: Gott ist gnädig. Das ist viel mehr als dass er sich erinnert - das zeichnet ihn aus, das ist sein Name, der Name Gottes. Dieser Name erzählt zugleich eine Geschichte. Nein, viele Geschichten. Viele Geschichten, in denen Gott Menschen begegnet ist - und begegnen wird. Johannes, der Jesus den Weg bereitet, trägt den Namen Gottes. Seine Verheißung. Das ist das 1. Geheimnis. Sage mir, wie er heißt - und ich sage dir, wer er ist.
Das 2. Geheimnis
Als der kleine Johannes seinen richtigen Namen bekam, auf einem Wachstäfelchen geschrieben, in der Handschrift seines Vaters, tritt er in die lange Geschichte der Propheten ein. Er wird der letzte Prophet sein, den Höhepunkt markieren - und am Ende einer langen Kette die Glieder fest verbinden. Wortgewaltig wird er beschrieben, so wortgewaltig, dass die Menschen von weit her kamen, um ihn zu hören, ihn zu sehen, sich von ihm taufen zu lassen. Aber alles, was er sagte, passte in wenige Worte, variierte sie, ließ sie in ihrer ganzen Schönheit klingen: Kehrt um - das Reich Gottes ist nahe. Seine Vorgänger haben diesen Tag herbeigesehnt, gelegentlich auch schon kommen sehen.
Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott. Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist; denn sie hat doppelte Strafe empfangen von der Hand des HERRN für alle ihre Sünden.
Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem HERRN den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott! Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden; denn die Herrlichkeit des HERRN soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen; denn des HERRN Mund hat's geredet.
So Jesaja (40,1-5), als er dem nach Babylon verbannten und vertriebenen Volk Israel seine große Predigt hielt. In der Wüste. Wüste vor Augen. Wüste im Herzen.
Jetzt sehen wir Johannes - auch in der Wüste. Einen Weg vor Augen. Einen Weg für viele Herzen. Kehrt um - das Reich Gottes ist nahe! Das ist das 2. Geheimnis. Sage mir, wie er heißt - und ich sage dir, wer er ist.
3. Geheimnis
Johannes - der Letzte? Nicht so ganz richtig bei einem Menschen mit diesem Namen. Johannes ist - der Erste. Er steht an einem Anfang. Er markiert eine Wende. Als Vorläufer Jesu steht er in seinem Schatten. Gewollt, gewünscht. Dass nach ihm einer kommt, dem er nicht einmal die Schuhriemen lösen könne - wir würden sagen: ihm das Wasser nicht reiche könne - hat er immer wieder gesagt. Neben dem eingängigen, gleichwohl so schweren Ruf, umzukehren, Buße zu tun. Den Menschen stellt Johannes den vor, der mit Heiligem Geist taufen wird. Nicht nur mit Wasser. Johannes hält ihm den Platz frei - und räumt ihn für ihn. Als er im Gefängnis ist -Johannes hat sich mit Herodes angelegt – lässt er Jesus fragen, zweifelnd, ob er es denn überhaupt sei, auf den er, auf den viele warten würden. Jesus antwortet ihm (Mt. 11):
Geht und erzählt Johannes, was ihr hört und seht:
Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, und Tote werden auferweckt, und Armen wird das Evangelium verkündigt, und selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt.
Zeichen der Gegenwart Gottes, Zeichen seines Reiches: sie begleiten Jesus. Bis heute warten Menschen nicht nur darauf, dass Gottes Reich endlich kommt - sie wissen die Zeichen zu lesen, sie aufzugreifen, sich ihnen anzuvertrauen. Krankenhäuser, Sozialeinrichtungen und Heime (um nur sie stellvertretend zu nennen) halten auf ihre Weise fest, dass Menschen Barmherzigkeit brauchen - und geben. Gnade ist ein altes Wort, von Missverständnissen geradezu umzingelt. Aber nicht zu ersetzen: dieses Wort hat den warmen Ton, der Seelen zum Klingen bringt. Ohne Aufrechnung, ohne Zahlenspiel, ohne Leistungsspiegel. Das ist das 3. Geheimnis. Sage mir, wie er heißt - und ich sage dir, wer er ist.
Der gnädige Mensch
Für viele unter uns ist der gnädige Mitmensch ein unerreichter Traum. Wenn wir unsere Erfahrungen zusammenlegen, auch die Erfahrungen, die wir mit uns machen, entdecken wir Schlaglöcher, Abgründe und Höheflüge.
Johannes hat einen Namen, der nicht nur schön klingt, sondern uns auch auf eine Fährte lockt. Paulus hat das so gesagt:
"Aus seinem Geschlecht hat Gott dem Volk Israel, der Verheißung gemäß, Jesus als Retter geschickt. Vor dessen Auftreten hat Johannes dem ganzen Volk Israel Umkehr und Taufe verkündigt."
Wer sitzen bleibt, alles laufen lässt, wird keine Gnade finden - und keine Gnade geben. Umkehr hat mit Aufstehen zu tun, mit offenen Augen - und der beherzten Richtungsänderung. Wo steht denn geschrieben, dass alles beim Alten bleibt?
Später soll Johannes gesagt haben: "Er (Jesus) muss wachsen, ich aber muss abnehmen" (Joh. 3,30). Dem entsprechen die Sonnenstunden am 24. Juni und am 24. Dezember: Am 24. Juni gibt es die kürzeste Nacht und den längsten Tag im Jahreslauf; aber ab diesem Termin werden die Tage immer kürzer und die Nächte immer länger. Am 25. Dezember ist es dann genau umgekehrt. Die Nächte werden kürzer, die Tage länger. Was wie ein Naturschauspiel aussieht, wird zum Gleichnis des Lebens - und zur Hoffnung auf einen gnädigen Menschen.
Durch die barmherzige Liebe unseres Gottes
wird uns besuchen das aufstrahlende Licht aus der Höhe,
um allen zu leuchten, die in Finsternis sitzen und im Schatten des Todes
und unsere Schritte zu lenken auf den Weg des Friedens.
So endet das Lied, das Zacharias angestimmt hat (Lk. 1,68-79). Die Töne tragen uns bis heute. Sie sind aus einer anderen Welt. Liegen uns aber auf der Zunge. Erobern Ohren und Herzen.
Doch, jetzt muss es gesagt werden: es geht auf Weihnachten zu!
Und der Friede Gottes,
der zärtlicher klingt als alle unsere Töne,
bewahre unsere Füße und Hände,
in Christus Jesus,
unserem Herrn.
Norbert Riebartsch (2012)
Maria Wachtler (2004)