Lesung aus der Apostelgeschichte.
In jenen Tagen
blickte Stephanus, erfüllt vom Heiligen Geist,
zum Himmel empor,
sah die Herrlichkeit Gottes
und Jesus zur Rechten Gottes stehen
und rief:
Siehe, ich sehe den Himmel offen
und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen.
Da erhoben sie ein lautes Geschrei,
hielten sich die Ohren zu,
stürmten einmütig auf ihn los,
trieben ihn zur Stadt hinaus und steinigten ihn.
Die Zeugen legten ihre Kleider
zu Füßen eines jungen Mannes nieder, der Saulus hieß.
So steinigten sie Stephanus;
er aber betete
und rief: Herr Jesus, nimm meinen Geist auf!
Dann sank er in die Knie
und schrie laut:
Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an!
Nach diesen Worten starb er.
Die Lesung aus der Apostelgeschichte gehört zum Erzählkreis um Stephanus, dem ersten Martyrer. Dabei entdecken wir christologische Motive aus der Leidensgeschichte Jesu: Der Blick in den Himmel, der Vorwurf der Gotteslästerung, das Gebet für die "Feinde". Hieß es bei Jesus "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun", hören wir Stephanus sagen: "Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an".
Lukas stellt in seinem Doppelwerk - Evangelium und Apostelgeschichte - besonders das Wirken des Geistes heraus: Stephanus sieht die Herrlichkeit Gottes und Jesus zu seiner Rechten in der Kraft des Geistes. Wir werden als Leser und Hörer Zeugen einer trinitarischen Offenbarung. Der Geist öffnet den Himmel. Was die alttestamentlichen Geschichten andeuten - etwa in den Mose-Überlieferungen - wird hier durchsichtig gemacht: Stephanus sieht die Herrlichkeit Gottes - sie zieht nicht nur an ihm vorbei. Besonders gewichtig ist jedoch, dass Jesus zur Rechten Gottes steht. Lukas, der am Ende seines Evangelium kurz von der Himmelfahrt Jesu erzählt, ausführlicher dann am Anfang seiner Apostelgeschichte, lässt uns in der Stephanusgeschichte sehen, was er bisher nur angedeutet hat: dass Jesus zum Vater geht. Die Wolke verdeckte, was Stephanus (nicht die Jünger!) als erster sehen durfte.
Die Stephanusüberlieferung, die nach Apg. 6 wesentlich die "diakonische Seele" der Kirche begründet und beschreibt, ist eng mit dem ersten Martyrium als Christuszeugnis verbunden: Seitdem wird Martyrium als geistgewirkt verstanden und auch ikonografisch als Schau der Herrlichkeit Gottes und Jesu zu seiner Rechten verbildlicht.
Der lukanische Bericht von der Steinigung des Stephanus schwankt zwischen dem Vollzug eines Gerichtsurteils und Lynchjustiz. An sich mußte ein Todesurteilvom Hohen Rat verhängt und vom römischen Statthalter gebilligt werden. Üblicherweise fanden Steinigungen außerhalb der Ortschaften statt, wobei ein Zeuge den Verurteilten in einen Graben stieß und ein zweiter Zeuge einen schweren Stein auf sein Herz warf. Mit diesen Handlungen übernahmen die Zeugen gleichsam die "Verantwortung" für die Exekution. Saulus (= Paulus) wird zwar in der Erzählung erwähnt. Ob er aber als Vertreter des Hohen Rates anwesend war, "zufällig" vor Ort war oder eine andere Funktion ausübte, erwähnte Lukas nicht. Während Stephanus stirbt, betet er das Sterbegebet der Juden und bittet Gott um Vergebung für die Sünden seiner Mörder - analog zur Vergebungsbitte Jesu am Kreuz (vgl. Lk 23,34).
Die Einleitung der Apg nimmt Bezug auf das Evangelium des Lukas. Sie markiert den Einschnitt zwischen der Zeit der Jünger mit Jesus (Lk-Evangelium) und dem neuen Abschnitt, der Zeit der Kirche. Zuvor war Jesus unmittelbar erfahrbar, nun ist er es durch den Geist. Zuvor gab er den Jüngern Aufträge, nun wird geschildert, wie sie diesen Aufträgen nachkommen. Die Himmelfahrt markiert so den Einschnitt zwischen diesen beiden Zeiten.
Die 40 Tage der Erscheinungen Jesu sind symbolisch zu verstehen und kommen im Zusammenhang mit dem besonderen Handeln Gottes vor (Noach, Gen 8,6; Elija, 1Kön 19,8; Zeit der Vorbereitung: Mose am Sinai Ex 24,18; Jesu Fasten Lk 4,1). Die 40 Tage widersprechen ansonsten der Darstellung von Lk 24, wo die Himmelfahrt unmittelbar an die Rückkehr der Jünger aus Emmaus anschließt, also wenige Stunden nach der Auferstehung stattfindet..
In der Darstellung greift Lukas zurück auf Entrückungserzählungen des AT mit den Bildern der Wolke (= Hinweis auf das Eingreifen Gottes) und den Deuteengeln, die den Zeugen die Augen öffnen.
Es geht nicht um eine historische Erzählung; sie wird auch nur von Lk gebracht (und wurde dann in den Markus-Schluß übernommen) - alle anderen kommen ohne den Bericht der Himmelfahrt aus. Es geht um eine Veranschaulichung des neuen Zustandes Jesu, der "Erhöhung zum Vater". Lk macht diese Erhöhung fest am "Himmel": Dieser Himmel ist der Ort des Vaters, auch der Ort, von dem aus der Auferstandene seine Herrschaft ausübt und von wo er einst wiederkommen wird.
Die Himmelfahrtserzählung setzt einen endgültigen Schlußpunkt unter die Christuserscheinungen.
Manfred Wussow (2007)
Bernhard Zahrl (2001)
Johann Pock (1998)