Das Pfingstereignis befähigt uns, das Leben unter der Führung des Heiligen Geistes frei, gerecht und weise zu entfalten und angstfrei zu gestalten.
Gegen Angstmacherei
In der „guten alten Zeit“ vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil konnte man von Zeit zu Zeit noch eine Höllenpredigt hören. Mit der Androhung der Höllenstrafe für alle, die ohne Beichte in einer schweren Sünde sterben, wollte man die Menschen zur Umkehr und Beichte bewegen. Für heutige Ohren ist kaum zu glauben, was damals alles als schwere Sünde galt.
Als Kind erlebte ich noch, dass manche Erwachsene die Angst vor der Hölle als Erziehungsmittel einsetzten. Sie waren rasch mit der Drohung in die Hölle zu kommen bei der Hand, wenn man dies oder jenes tat. Den Abschnitt aus dem Johannesevangelium, den wir eben gehört haben, hatten sie offenbar ausgeblendet:
„Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt,
damit er die Welt richtet,
sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird.
Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet;
wer nicht glaubt ist schon gerichtet,
weil er nicht an den Namen des einzigen Sohnes Gottes geglaubt hat.“
(Joh 3,17-18).
Jesus hat in seiner Predigt vom Reich Gottes nicht Angst vor dem gerechten und strafenden Gott geschürt, sondern Gott als liebenden und warmherzigen Vater vorgestellt, der ihn in die Welt gesandt hat, damit er sie rette.
Dieses positive Gottesbild Jesu birgt jedoch auch eine Gefahr in sich: Gott wird von vielen Menschen nicht mehr ernst genommen. Sie fühlen sich nicht mehr gefordert, ihr Leben auch nach den Regeln des Reiches Gottes, das Jesus gepredigt hat, auszurichten. Viele unterschieden in ihrem Verhalten heute nicht mehr zwischen gut und böse, sondern richten sich vor allem danach, was ihnen einen Vorteil bringt, Geld, Macht, Reichtum oder was Spaß macht.
Moralische Entwicklungsstufen
Vor diesem Hintergrund ist für mich interessant, dass viele Menschen sich zwar von religiösen Angstmachern befreit haben, dafür aber neuen Angstmachern Glauben schenken: Verschwörungstheoretikern, Katastrophenpredigern und anderen mehr.
Im vorigen Jahrhundert hat sich der amerikanische Psychologe Lawrence Kohlberg vor allem mit der moralischen Entwicklung der Heranwachsenden beschäftigt und die viel beachtete Theorie aufgestellt, dass jeder Mensch bis zum Erwachsensein sechs moralische Wachstumsstufen durchmacht. Erst dann verfügt er über eine entsprechende Reife des Urteilens und Handelns. Erst dann sei er fähig, selbst zu entscheiden, was für ihn und für die Mitmenschen gut und richtig ist.
Ein Kind tut aus Furcht und Angst vor Strafe oder Liebesentzug, was seine Eltern von ihm verlangen, formulierte er als die erste und unterste Stufe. Manche Menschen bleiben in Teilbereichen ihres Lebens auf dieser kindlichen Entwicklungsstufe hängen und werden so leicht zu Opfern von Angstpredigern, die ihre Anhänger mit ihren Theorien zu manipulieren und kontrollieren suchen.
Jesus weigert sich, den Menschen Angst zu machen. Dazu ließen sich mehrere Bibeltexte anführen. Er will, dass wir freie und lebensfrohe Persönlichkeiten werden. Zu einer reifen Persönlichkeit gehört aber auch, dass sie gefährliche Situationen und Entwicklungen erkennt und ernst nimmt.
Sich vom Heiligen Geist Gottes führen lassen
Zu Pfingsten feiern wir, dass Jesus uns seinen heiligen Geist als Erzieher, Führer und Begleiter gesandt hat. Dieser befähigt uns, dass wir erkennen, war für uns und unsere Mitmenschen gut und richtig ist. Das setzt allerdings voraus, dass wir ihn auch zu Rate ziehen und in unser Leben hereinlassen. Manche Menschen sind „beratungsresistent“. Sie wissen alles besser und lassen sich von niemand etwas sagen. Das Johannesevangelium beschreibt sie als Menschen, die die Finsternis mehr lieben als das Licht. Sie glauben, gescheiter als alle anderen zu sein und manche bilden sich ein über Geheimwissen zu verfügen.
Jesus hat vor 2000 Jahren nicht auf Fragen geantwortet, die sich Menschen erst viel später gestellt haben. Wenn er es gekonnt hätte, hätte er es vermutlich trotzdem nicht getan, da seine Zuhörer die Fragen nicht verstanden hätten. Es lohnt sich aber, sich in das zu vertiefen, was er damals gesagt, getan und vorgelebt hat, denn er hat sich selbst vom Heiligen Geist Gottes führen und leiten lassen. (Auch dazu könnte man eine Reihe von biblischen Texten anführen.)
Von Jesus können wir lernen, was es heißt, aus dem Geist Gottes zu leben. Das ist der tiefere Grund, warum wir in unseren Gottesdiensten biblische Texte lesen und immer besser zu verstehen suchen, was der Geist Gottes uns damit sagen will. Der Heilige Geist befähigt uns, für unser Leben selbst Verantwortung zu übernehmen und es weise und gut zu gestalten.
Wolfgang Jungmayr (2003)