Wie ist es Ihnen beim Hören des Evangeliums ergangen? Die Jesusworte, die wir eben gehört haben, könnten uns entmutigen. Was traut uns Jesus da zu? Die Familie verlassen. Auf allen Besitz verzichten. Unser Leben gering achten. Und unser Kreuz auf uns nehmen. Jesus hat diese Worte der Nachfolge an seine Jünger gerichtet, als sie ihn auf seinem Weg nach Jerusalem begleiteten. Sie haben alles hinter sich gelassen. Ihre Familie, ihren Beruf.
Die Situation der ersten Jünger – unsere Situation
Am ehesten leuchtet mir das Wort Jesu vom Kreuztragen ein. „Wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein“ (Lk 14, 27). Jesus sagt nicht, wir sollen sein Kreuz auf uns nehmen, sondern wir sollen unser Kreuz annehmen. Jeder hat sein Kreuz zu tragen, in dieser oder in jener Weise. Und manche Menschen tragen ein schweres Kreuz. Doch die Familie verlassen und auf allen Besitz verzichten? Wir wollen die Forderungen Jesu nicht verharmlosen. Doch sie sind nur schwer auf uns zu beziehen, nur schwer mit unserem konkreten Leben zu vereinbaren. Wir können nicht unsere Familie verlassen, unsere Freunde und Bekannten. Auch Ordensleute, die ihre Heimat im Kloster gefunden haben, behalten Kontakte zu ihren Familien, zu ihrem Freundes- und Bekanntenkreis. Und was den Besitz angeht, so können wir nicht die totale Armut leben .Wenn Ordenslaute ihre Güter teilen, so leben sie dennoch nicht arm. Das Wort Jesu: „Keiner von euch kann mein Jünger sein, wenn er nicht auf seinen ganzen Besitz verzichtet“ (Lk 14, 33) ist wohl das am schwersten zu verstehende Jesuswort. Darum möchte ich darauf näher eingehen.
Unser Verhältnis zum Besitz
Fragen wir uns, wenn wir schon nicht auf den ganzen Besitz verzichten können, welchen Platz er in unserm Leben einnimmt. Die Güter dieser Welt sind als solche nicht verwerflich. Sie sind es auch nicht in den Augen Jesu. Er selber gehörte, aus einer Handwerkerfamilie stammend, nicht der unteren sozialen Schicht an, Und er war auch später nicht völlig besitzlos oder obdachlos. Es ist von „seinem Haus“ in Kafarnaum die Rede (Mk 2, 15). Von vornehmen Frauen, die ihn begleiteten, ließen er und seine Jünger sich unterstützen (Lk 8, 2). Anders als Johannes der Täufer war Jesus kein Asket. Berührungsängste mit Reichen, von denen er sich einladen ließ, kannte er nicht. Er geriet sogar in den Ruf, ein „Fresser und Weinsäufer“ zu sein (Mt 11, 19 und Lk 7, 34). Vom Oberzöllner Zachäus hat er nicht den völligen Verzicht auf sein Eigentum gefordert. Darum wäre es verfehlt, Jesus in die Rolle eines Armutsfanatikers zu bringen.
Der Blick auf die Armen.
Dennoch sind seine Warnungen vor dem Reichtum nicht zu überhören. Reichtum kann uns vom dem abbringen, was uns in der Tiefe des Herzens reich macht. Vor allem beim Evangelisten Lukas hören wir sehr deutlich die Warnungen vor dem Reichtum und seinen Gefahren. In seinem Evangelium stellt er uns einen Jesus vor Augen, der sich besonders den Armen zuwendet, in leiblicher und seelischer Hinsicht. Die Armen haben in den Augen Jesu eher die Möglichkeit, am Reich Gottes teilzuhaben. Jesus preist sie nicht deswegen selig, weil sie in Armut leben. Dass Not und Armut abgeholfen werden muss, zeigt das Gerichtsgleichnis, in dem Jesus von den Geringsten seiner Brüder und Schwestern spricht, denen wir beistehen sollen (Mt 25, 31-46). Wenn es aber dennoch oft so ist, Gott sei es geklagt, dass trotz all unserer Bemühungen, Abhilfe zu schaffen, die Armen nicht aus ihrer Armutssituation herauskommen, dann haben sie größere Chancen, in das Reich Gottes zu gelangen als diejenigen, die schon alles zu haben meinen und darüber hinaus nach nichts mehr Verlangen spüren. Die Armen hingegen haben nichts oder jedenfalls nicht genug zum Leben und werden dankbar sein, wenn ihnen etwas geschenkt wird – und sei es noch so wenig. Jene jedoch, die viel besitzen, können sich allzu leicht mit dem zufrieden geben, was sie ihr Eigen nennen. Das Herz kann so voll gestellt sein mit irdischen Gütern, dass kein Platz mehr besteht für das, woran Gott uns teilnehmen lassen will. So ist das fast beschwörend klingende Wort Jesu zu verstehen: „Amen. das sage ich euch: Ein Reicher wird nur schwer in das Himmelreich kommen. Nochmals sage ich euch: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt“ (Mt 19, 23).
Freigebigkeit
Die rechte Einschätzung dessen, was ich besitze, lässt sich auch ablesen an meiner Freigebigkeit. Wer leichten Herzens etwas weggeben kann, bekundet damit die Relativität der irdischen Güter. Auf diese Weise erhält der irdische Besitz eine neue Qualität, einen positiven Stellenwert. Mir steht noch eine Szene vor Augen aus dem tragikomischen Schauspiel von Molière: „Der Geizige“. Ernst Ginsberg hat ihn damals auf den Münchner Bühnen dargestellt als tragische Figur. Der Geizhals, der niemandem etwas abgeben will, sitzt auf seiner Schatztruhe, umklammert sie, wird gleichsam eins mit ihr. Ganz anders handelt der Sannyasi, ein indischer Wandermönch, von dem folgendes erzählt wird
„Der Sannyasi hatte den Dorfrand erreicht und ließ sich unter einem Baum nieder, um dort die Nacht zu verbringen, als ein Dorfbewohner angerannt kam und sagte: »Der Stein! Gib mir den kostbaren Stein!« »Welchen Stein?« fragte der Sannyasi. »Letzte Nacht erschien mir Gott Shiwa im Traum«, sprach der Dörfler, ‚und sagte mir, ich würde bei Einbruch der Dunkelheit am Dorfrand einen Sannyasi finden, der mir einen kostbaren Stein geben würde, so dass ich für immer reich wäre.« Der Sannyasi durchwühlte seinen Sack und zog einen kostbaren Stein heraus. »Wahrscheinlich meinte er diesen hier«, als er dem Dörfler den Stein gab. »Ich fand ihn vor einigen Tagen auf einem Waldweg. Du kannst ihn natürlich haben.« Staunend betrachtete der Mann den Stein. Es war ein Diamant. Wahrscheinlich der größte Diamant der Welt, denn er war so groß wie ein menschlicher Kopf. Er nahm den Diamant und ging weg. Die ganze Nacht wälzte er sich in seinem Bett und konnte nicht schlafen. Am nächsten Tag weckte er den Sannyasi bei Einbruch der Dämmerung und sagte: »Gib mir den Reichtum, der es dir ermöglichte, diesen Diamanten so leichten Herzens wegzugeben«“.
Wie in den damaligen sozialen Verhältnissen der römisch-hellenistischen Welt standen auch in Palästina einer kleinen Oberschicht und einer etwas breiteren Mittelklasse unzählig viele arme und unter dem Existenzminimum lebende Menschen gegenüber. Ihnen begegnete man tagtäglich. Unsere heutige Situation lässt sich damit nicht vergleichen – jedenfalls nicht dort, wo wir leben. Aber auch in unseren Regionen gibt es immer noch viele sozial schlecht gestellte Menschen. Alte Menschen beispielsweise mit einer geringen Rente, auch Familien mit vielen Kindern, denen es wirtschaftlich nicht so gut geht. Und wer wollte die Augen verschließen vor der unbeschreiblichen Armut in zwei Dritteln unserer Welt.
Konsumaskese
Ich müsste mir Rechenschaft über meinen Lebensstil geben. Das Genießen der Gaben, die in Gottes Schöpfung für uns bereit liegen, ist etwas Gutes. Der hl. Augustinus meinte zwar, man dürfe sich nichts gönnen, was über das Stillen des Hungers hinausgeht; was wohl aus seiner krassen Umkehr von einem genießerischen zu einem asketischen Leben zu erklären ist. Wenn ich seine Meinung auch nicht teilen kann, wenn ich auch guten Gewissens mir einiges gönnen darf, was über das Lebensnotwendige hinausgeht, so müsste ich mich dennoch fragen, ob ich immer das rechte Maß finde. Ist nicht so etwas wie »Konsumaskese« angesagt? Das griechische Wort Askese bedeutet Übung, die damals vor allem als Übung im Sich enthalten oder im Fasten verstanden wurde. Heute könnte man eine solche Askese verstehen als ein Sich-Einschränken, als ein Zurückfahren unserer Bedürfnisse.
Auch das Kaufgebaren wäre zu überprüfen. Mir hat eine Frau erzählt, dass sie, bevor sie in ein Kaufhaus geht, einen Zettel aufstellt und sich genau daran hält, um nicht der Versuchung zu erliegen, noch alles Mögliche einzukaufen. Der Wirtschaftswissenschaftler A. Tautscher hat etwas ironisierend das Konsum- und Besitzverhalten mancher Menschen so gekennzeichnet: „Man kauft etwas, was man nicht braucht; mit dem Geld, was man nicht hat; um denen zu imponieren, die man nicht mag“ Gibt es nicht so etwas wie einen »zivilisierten Futterneid«? Wer trägt den neuesten Look, wer trägt das neuste Brillengestell, das jetzt angeboten wird, wer besitzt die kostspieligsten Möbel?
Gute Verhaltensweisen
Bei jüngeren Menschen sind manchmal Verhaltensweisen anzutreffen, die auf einen anderen Lebensstil hindeuten. Es gibt es gottlob immer noch Menschen, die von dem abgeben, was sie besitzen. Oder denken wir an diejenigen, die sich als Entwicklungshelfer in der so genannten Dritten Welt einsetzen und ihren Lebensstandard reduzieren. Zu übersehen sind auch nicht die Hilfsaktionen für in Not geratene Menschen. In diesem Jahr beispielsweise auch bei den katastrophalen Überschwemmungen in Ostdeutschland. Und da gibt es recht viele, die durch Spenden ihren finanziellen Beitrag leisten, um Not zu lindern. Allerdings sind es oft gar nicht diejenigen, die ohne irgendeine Einbuße helfen könnten, sondern die kleinen Leute.
Was wir im Einzelnen von unserer Habe abgeben sollen, dafür gibt es im Evangelium keine Handlungsanweisungen. Jeder muss für sich selber einschätzen, wo er in seiner Situation nach Kräften helfen kann. Es gilt jedenfalls Verantwortung zu übernehmen, um mit den jeweils dem Einzelnen zur Verfügung stehenden Mitteln Menschen zu helfen. Damit sie menschenwürdig leben können, Damit sozialem Unrecht abgeholfen wird, Damit der technische Fortschritt nicht zerstörerisch wirkt.
Zum Schluss sei es noch einmal so gesagt: Wir können nicht auf den ganzen Besitz verzichten. Doch wir sollten uns bemühen, die nötige innere Distanz zu erlangen zu dem, was wir besitzen. Auf dass wir nicht unser Herz daran hängen.
Martin Stewen (2013)
Manfred Wussow (2007)
Feri Schermann (1998)