Abgezählt
Tolle Bilder: Der Spatz für 2 Pfennig auf dem Markt - wertlos also -, aber Herr der Luft. Beflügelt, gehalten von dem Willen des Vaters im Himmel. Wie gelungen sein Flug ist! Schaut ihn euch an!
Größer noch als dieses ist das Bild von den abgezählten Haaren. Eins, zwei, drei, hundert, tausend - irgendwann verheddern sich Finger und Haare. Ein schier unmögliches Unterfangen, die Haare auf dem Kopf zu zählen. Ihr könnt es versuchen. Ein schönes Gefühl auf dem Kopf wird es zwar sein. Aber es kommt nichts dabei rum. Verliebte tun es trotzdem. Sie spielen mit den Haaren. Absichtslos. Zärtlich.
Große Bilder kommen immer bescheiden daher: Gott schenkt dem Zwei-Pfennigs-Spatzen den Himmel und lässt nicht einmal eins unserer Haare aus den Fingern. Bilder für Gottes Fürsorge und Größe, für seine Liebe. Was ist schon ein Spatz? Was ist schon ein Haar? Auf dem Markt: nichts. In den Augen Gottes: alles.
Jochen Klepper hat 1938 in bedrückender Zeit diese Erfahrung in Worte gekleidet:
Auch deines Hauptes Haare
sind wohl von ihm gezählt.
Er bleibt der Wunderbare,
dem kein Geringstes fehlt.
Den keine Meere fassen
und keiner Berge Grat,
hat selbst sein Reich verlassen,
ist dir als Mensch genaht.
Angst
"Als Mensch genaht." Es ist die Geschichte Jesu. Seine Geschichte auch mit mir. Ich spüre eine Vertrautheit, die meiner Seele Flügel verleiht.
Jesus spricht die Angst an, die Menschen vor einander haben - und einander machen. Die Bilder, die er nachzeichnet, mit einfachen Strichen, erzählen Lebenserfahrungen: drei davon mögen beispielhaft für sie stehen
Ein Mensch steht morgens auf und hat Angst vor dem Tag. Die Gedanken drehen sich im Kopf. Er fürchtet, seinem Leben nicht gewachsen zu sein, darf es aber nicht zeigen. Hinter einer sicheren Fassade wohnt die Unruhe. Nachts aber kommen Gesichter hoch: Chefs,
Kollegen, Untergebene…
Mit Liebe fing alles an. Schönes Einvernehmen, viel Verständnis. Dann aber, das Ja-Wort ist längst verklungen, wächst der Druck. Die Erwartung. Warum entpuppt sich die Partnerin, der Partner jetzt als Drache? Irgendwann versagt die Rechtfertigung. Die Angst wächst. Lähmt. Macht aus der Liebe einen Albtraum…
Jemand möchte sagen, dass er Christ ist. Er möchte sich nicht rechtfertigen. Im Gespräch aber merkt er, wie schwer es ist, darüber zu reden. Ihm schlägt Unverständnis entgegen. Er hört, mal ausgesprochen, mal hinter Floskeln versteckt, die Frage, wie er als moderner Mensch solchen Unsinn glauben könne. Manchmal beschleicht ihn die Angst. Er könne doch auch schweigen…
Über Ängste könnte jeder von uns etwas sagen. Wie sie sich einnisten, sich in Gedanken vergraben, Herzen gefangen nehmen. Dabei ist die Angst vor Arbeitslosigkeit, Krankheit, Liebesverlust hier nicht einmal auf dem Bildschirm. Heute dreht sich alles um die Angst, die ein Mensch vor dem anderen hat - oder macht. Schlimm sind die Ängste, die nicht bejaht werden können, nicht ausgesprochen werden, zum Schweigen verurteilt sind.
Fürchtet euch nicht
Jesus sagt: Fürchtet euch nicht! Im Evangelium hören wir das immer wieder deutlich heraus. In unserem Abschnitt gleich 3 Mal. Wir spüren, wie viel Gewicht in diesen Worten liegt.
Aber weil Imperative dieser Art nicht helfen, eher die Angst noch schlimmer machen, redet Jesus anders mit uns: Er lässt uns Spatzen nachsehen - und auf die Haarpracht schauen. Für ihn sind das Beispiele: Beispiele, wie Gott Weite und Nähe schafft. Er fragt nicht nach dem Wert, auf den wir Menschen stoßen - nur 2 Pfennig, er fragt auch nicht danach, was uns unmöglich ist - Haare zählen, er lässt uns staunen. Über Gottes Art, den Dingen ihr Gewicht zu geben. In Gottes Hand schrumpft die Angst auf ihr Maß und verliert die Macht. Jesus sagt: "Fürchtet euch also nicht! Ihr seid mehr wert als viele Spatzen".
Einen Punkt stellt Jesus allerdings besonders heraus: die Angst, sich zu ihm zu bekennen. Die Furcht, sich als Christ zu outen, ist also uralt und keineswegs ein Zeichen unserer Zeit. Was schwierig ist und hemmt, kennen wir, wir kennen auch die Vorurteile, die eigenen Zweifel. Die Angst, sich einem anderen Menschen zu öffnen, das Vertrauen, ja Glauben mit ihm zu teilen, steht aber für viele Ängste, den eigenen Weg zu gehen. In jeder Angst vor einem anderen Menschen steckt die Sehnsucht, nicht aufzufallen, mit dem Strom zu schwimmen, in keine Auseinandersetzung gezogen zu werden. Und jede Angst, die ein Mensch schürt, dient einem Machtanspruch, will Unterwerfung, fordert Übereinstimmung.
Das Bekenntnis zu Jesus aber drückt aus, dass wir nicht Unterworfene, sondern Befreite sind. Nicht Alleingelassene, sondern Geliebte. Wir gehören zu dem Herrn, der die Kapriolen der Spatzen kennt - und meine Haare auf dem Haupt. Mehr noch: Er misst den Spatzen den Himmel aus!
Jesus sagt: "Fürchtet euch also nicht! Ihr seid mehr wert als viele Spatzen.
Wer sich nun vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen."
Rede am hellen Tag
Angst stellen wir immer dunkel dar. Schemenhaft, schattenhaft. Es ist geradezu ein Merkmal der Angst, sich aus dem Hellen zurückzuziehen, ja, die Sonne in ein schwarzes Loch zu verwandeln. Wenn aber die Angst die Flucht antreten muss, wird aus Nacht Tag. Die Schemen und Schatten verlieren ihre Konturen, werden sichtbar, ans Licht gebracht.
Jesus hat für uns den hellen Tag vorgesehen. Das tut gut. Wir stehen auf. Wir lassen uns nicht unterdrücken. Jesus sagt:
Was ich euch im Dunkeln sage, davon redet am hellen Tag, und was man euch ins Ohr flüstert, das verkündet von den Dächern.
Philipp Spitta hat diesen Auftrag gereimt:
Es gilt ein frei Geständnis
in dieser unsrer Zeit,
ein offenes Bekenntnis
bei allem Widerstreit,
trotz aller Feinde Toben,
trotz allem Heidentum
zu preisen und zu loben
das Evangelium.