In der heutigen alttestamentlichen Lesung haben wir verheißungsvolle Worte des Propheten Jesaja gehört. Sie sagen eine Zeit des universalen Friedens an. Gott werde Recht sprechen im Streit der Völker und viele Nationen zurechtweisen. Nach diesen Gerichtsworten wird eine Zeit des Frieden vorausgesagt: "Dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen. Man zieht nicht mehr das Schwert, Volk gegen Volk, und übt nicht mehr für den Krieg" (Jes 2,4). An einer anderen Stelle dann hören wir Worte, die Jesaja an Gott richtet: "Du zerbrichst das drückende Joch, das Tragholz auf unserer Schulter und den Stock des Treibers. Jeder Stiefel, der dröhnend daher stampft und jeder Mantel, der mit Blut befleckt ist, wird verbrannt, wird ein Fraß des Feuers" (Jes 9, 3.f.).
Der historische Hintergrund war vor allem die Bedrohung Israels durch die Großmacht Assyrien zwischen 740 und 701 v. Chr. Dies weckte in Israel die Sehnsucht nach einer Zeit des Friedens. Hören wir noch einen weiteren Text, in dem das messianische Zeitalter sinnbildlich dargestellt wird als eine Wiederkehr paradiesischer Zustände: "Dann wohnt der Wolf beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Knabe kann sie hüten. Kuh und Bärin freunden sich an, ihre Jungen liegen beieinander. Der Löwe frisst Stroh wie das Rind. Der Säugling spielt vor dem Schlupfloch der Natter, das Kind streckt seine Hand in die Höhle der Schlange" (Jes 11,6-8).
Wenn wir uns indes vor Augen führen, welche zerstörerischen Kriege im Laufe der Menschheitsgeschichte geführt worden sind und wie sich gegenwärtig Völker bekriegen, wenn wir daran denken, wie in weiten Teilen der Welt Menschen unterdrückt und ausgebeutet werden oder wie Terroristen Angst und Schrecken verbreiten, dann erscheinen die prophetischen Verheißungen des Jesaja völlig utopisch. Was uns durch Jesaja verheißen ist, kann nur endzeitlich gedeutet werden. Gott wird die dem Propheten eingegeben Verheißungen am Ende dieser Weltzeit erfüllen, sie wahr machen.
Macht in menschlicher Ohnmacht
Jesaja hat zwar als erster der Propheten dem Volke Israel einen künftigen Messias als Richter und Retter verheißen, doch ihm blieb verborgen, in welcher Weise sich dies in Jesus von Nazaret erfüllen sollte. Gott geht in Jesus einen Weg völliger Erniedrigung und menschlicher Ohnmacht. Schon in der Armseligkeit seiner Geburt, in seinem Auf-der Flucht-sein vor den Menschen kündigt sich sein künftiger Weg an, gezeichnet vom Unverständnis selbst seiner Freunde. Jesus ist anders Herr als die Herren dieser Welt, die Gewalt ausüben und auf Macht aus sind. "Mein Königtum", sagt Jesus dem Pilatus, "ist nicht von dieser Welt. Wenn es von dieser Welt wäre, würden meine Leute kämpfen, damit ich den Juden nicht ausgeliefert würde. Aber mein Königtum ist nicht von hier" (Joh 18,36). In Jesus wollte Gott keine andere Macht zum Heil der Menschen ausüben als die Macht der Liebe. Über diese ohnmächtig erscheinende Liebe schreibt Dietrich Bonhoeffer: "Gott lässt sich von der Welt herausdrängen ans Kreuz. Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt. Und gerade so und nur so ist er bei uns."
Verzicht auf Gewalt
Den Weg, wie Friede und Versöhnung unter den Menschen Wirklichkeit werden könnte, hat Jesus in den Seligpreisungen und in der Bergpredigt gewiesen. Es ist gut, sagt Jesus in der dritten Seligpreisung, wenn Menschen gewaltlos und freundlich miteinander umgehen. "Selig die Sanftmütigen" übersetzt Martin Luther die fünfte Seligpreisung (Mt 5,5). Sanftmut hat nichts mit Duckmäuserei oder Unterwürfigkeit zu tun. Im Gegenteil, sie ist entschiedenes Handeln; nämlich das Böse durch das Gute zu überwinden. (Röm 12,21).In der siebten Seligpreisung nennt Jesus diejenigen glücklich, die um den Frieden bemüht sind: die Friedfertigen. In der fünften so genannten Antithese der Bergpredigt wendet sich Jesus gegen ein Denken, das auf Vergeltung aus ist: "Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge für Auge, Zahn für Zahn. Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand" (Mt 5,38). Jesus hat in seinem Leben wahr gemacht, was er uns in der Bergpredigt nahe legt. Denen, die ihn dem Tode auslieferten, hat er keinen Widerstand geleistet.
Die Worte Jesu: "Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben" - "Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Kinder Gottes genannt werden", sie gelten all denen, die sich im Geiste Jesu für den Frieden einsetzen, sie gelten aber nicht weniger den Menschen, die, ohne Christen zu sein, friedlich und gewaltfrei Konflikte zu lösen versuchen. Sicher eignet sich die Bergpredigt nicht als Grundgesetz oder als Staatsverfassung. Doch sie hat mit ihren Weisungen auch Geltung für den gesellschaftlichen und politischen Bereich. Da, wo Menschen eintreten für größere soziale Gerechtigkeit, wo sie versuchen, wirtschaftliche Unrechtsstrukturen zu überwinden. Wo Krieg herrscht, wo aufgerüstet wird, wo Terroristen von ihren Gewalttätigkeiten nicht lassen, erscheint der Einsatz für den Frieden manchmal hoffnungslos. Dennoch gibt es viele Menschen, die sich in den weltweiten Konflikten um friedliche Lösungen bemühen und die sich nicht entmutigen lassen, wenn sie Rückschläge erleben.
Gemeint ist ein unter uns Menschen äußerst ungewöhnliches Verhalten. Ein neuer, vom Geist und der Gesinnung Jesu bestimmter Umgang miteinander. Was Jesus da empfiehlt, müsste uns einleuchten. Wenn wir den Regelkreis von Unrecht tun und Unrecht heimzahlen unterbrechen würden, könnte das der Gewalt Einhalt gebieten. Im Machtkampf der Völker und politischer Gruppen nur schwer zu verwirklichen. Leichter jedoch dort, wo wir miteinander leben.
Eine Praxis der Entfeindung.
Etty Hillesum, eine Jüdin aus den Niederlanden, war in ihrer Familie völlig ungläubig erzogen worden. Sie fand aber dann zu einer tiefen Gottesbeziehung, die ihr die Kraft verlieh, das, was in fürchterlicher Weise auf sie zukam, durchzustehen. Sie wurde zunächst wie auch Edith Stein von den Nazis in das Übergangslager Westerbrock gebracht. Später wurde sie in Auschwitz vergast. In den schon vor ihrer Deportation und später in Westerbrock fortgesetzten Tagebüchern schrieb sie am 23. September 1942: "Ich sehe keinen anderen Weg, als dass jeder von uns Einkehr hält in sich selbst und all das dasjenige in sich ausrottet und vernichtet, was ihn zu der Überzeugung führt, andere vernichten zu müssen. Wir müssen durchdrungen sein von dem Gedanken, dass jeder Funken Hass, den wir zu der Welt hinzufügen, sie noch unwirtlicher macht, als die ohnehin schon ist." Sie hatte allen Hass gegenüber denen, die sie quälten, überwunden. In der Hoffnung, dass sie überlebt, schreibt sie: "Nach diesem Krieg wird außer einer Flut von Humanismus auch eine Flut des Hasses über die Welt gehen. Und dann wusste ich es wieder: Ich werde gegen diesen Hass zu Felde ziehen." Ohne Zweifel hätte sie hätte jeden Rachegedanken in ihrem Herzen ausgelöscht. Sie und viele andere, haben im Geiste Jesu eine Praxis der Gewaltlosigkeit und Entfeindung geübt.
Was wir tun können.
Wenn wir auf die Menschen schauen, die bei allem Hass vonseiten ihrer Feinde und Unterdrücker nicht auf Rache aus waren, so könnten sie uns ein Ansporn sein. Dass wir dort, wo wir miteinander leben, uns nach Kräften, im Maße unserer Möglichkeiten um Frieden und Versöhnung bemühen. Dass wir das Böse nicht mit Bösen vergelten. Dies wird uns indes nur gelingen, wenn wir auf den setzen, der sich mit seiner ganzen verschwenderischen Liebe für uns Menschen hingegeben hat. Martin Luther King, der für die Menschenrechte der schwarzen Bevölkerung in den USA unermüdlich gekämpft hat, ohne selber Gewalt anzuwenden, war der Überzeugung: "Wenn wir uns nicht auf Gott verlassen, scheitern alle unsere Bemühungen. Aber wenn sein Geist unser Leben verwandelt, finden wir Lösungen für unsere Schwierigkeiten."
Papst Paul VI. hat einmal gesagt, dass es uns nicht gelingt, in der großen Welt abzurüsten, wenn wir nicht in unserem Herzen damit beginnen. Wo wir da, wo wir leben, friedlich und versöhnlich miteinander umgehen, wo wir zum Frieden und zur Versöhnung bereit sind, da wird dies Auswirkung haben auf den politischen und gesellschaftlichen Bereich. Wir können das unermessliche Leid der Welt nicht auf uns laden. Doch wir können denen, die unter Terror und Ungerechtigkeit leiden, innerlich zugewandt sein mit unseren Gedanken, nicht zuletzt mit unseren Gebeten für sie. Ist nicht gerade die Zeit des Advents dazu angetan, dem in unserem Herzen Raum zu geben - vielleicht mehr als bisher.
Alfons Jestl (1998)