Krisen, Katastrophen, Konflikte und Kriege
Das meistgebraucht Reizwort des Jahres 2010 ist wohl "Krise", bzw. alle Varianten der Zusammensetzung, die damit gebildet werden können: Wirtschaftskrise, Bankenkrise, Eurokrise, EU-Krise u.v.a.m. Noch vor etwa 1 Jahr hieß das meistdiskutierte Problem "Klimawandel", und alle blickten wie gebannt auf die drohenden Klimakatastrophen.
Neben den Krisen begleiten uns eine Reihe von Dauerkonflikten, deren Nichtlösung sich in die Länge zieht: Naher Osten, Irak, Iran, Afghanistan, Korea...
Es fehlt nicht an Anlässen, die diese Krisen und Kriege ausgelöst haben: Ungelöste politische Konflikte, unselige Kriege, Spannungen zwischen Kulturen und Religionen, Naturkatastrophen, maslose Gier, kriminelle Machenschaften u.v.a.m.
Auch im kirchlichen Umfeld gehen alle möglichen Krisen um. Die Konfrontation mit einer Vielzahl an Missbrauchsfällen hat uns schockiert und aus der Fassung gebracht. Sie haben die sich in den Kirchenbesuchszahlen und im Fehlen des Nachwuchses für kirchliche Ämter abzeichnende Krise noch beschleunigt.
Menschen mit Neigung zur Depression sollten gegenwärtig am besten keine Zeitung lesen und sich auch sonst im Medienkonsum zurückhalten. Doch auch jene, die im Gottesdienst Zuflucht suchen, werden zu dieser Kirchenjahreszeit mit Katastrophenmeldungen konfrontiert. Diese sind zwar schon 2000 Jahre alt und gehen auf noch ältere Wurzeln zurück, scheinen aber immer noch aktuell zu sein.
Es wäre zu einfach sich zu sagen: Wenn die angekündigten Katastrophen so lange nicht eingetroffen sind, können wir uns zurücklehnen und gelassen darauf warten, wie es mit unserem Erdball weitergeht. Ich sehe zwei gute Gründe, diese Texte ernsthaft zu bedenken und sie nicht vorschnell beiseite zu schieben.
Umdenken
Erstens halte ich die Menschen für lern- und veränderungsfähig, wenn auch nur in langsamen und zögerlichen Schritten. Wenn der Druck der Argumente groß genug ist, beginnen Menschen umzudenken. Die Diskussionen um Schadstoffe, die den Ozonschutzschirm zerstören, um die nur begrenzt zur Verfügung stehenden Rohstoffe, die Sensibilisierung in Umweltfragen zeigen erste Früchte. Offen bleibt, ob dieses Umdenken rasch genug um sich greift. Von lieb gewordenen Gewohnheiten und Verhaltensweisen nehmen die meisten Menschen nur schwer Abschied. Sie finden eine Unzahl von Argumenten alles zu lassen, wie es ist.
Als Christen hätten wir ja eine hilfreiche Tradition, die jährlich zweimal das Umdenken zum Programm macht. Die Advent- und Fastenzeit rufen uns zum Innehalten und zum Nachdenken über unsere Lebensweise. Leider geht dieser Ruf zur Umkehr meist im Lärm des Weihnachtsgeschäftes unter. Oft haben wir ihn auch verharmlost und auf Nebenfragen des spirituellen Lebens umgeleitet. Die guten Vorsätze, beim Beten andächtiger sein zu wollen und unanständige Gedanken verscheuchen zu wollen, setzen uns eher der Lächerlichkeit aus, als dass sie ein ernsthaftes Umdenken einleiten.
Spannender und wichtiger wären die Fragen, wie wir aus Schwertern Pflugscharen machen könnten. Konkret: Was können wir zum Frieden in der Welt beitragen, zur gerechteren Verteilung der Lebensgüter, zu einem verträglicheren Umgang mit zur Verfügung stehenden Rohstoffressourcen, zur nachhaltigen Entwicklung ärmerer Völker, zum Dialog der Kulturen und Religionen...
Diese Anliegen setzen geistige Wachheit und Wachsamkeit voraus. Die Mahnung dazu steht im Mittelpunkt des heutigen Evangeliums.
Aufschauen zum Menschensohn
Noch eine weitere Botschaft dieses biblischen Textes halte ich für die Gegenwart wichtig: Wenn all dies geschieht, heißt es im biblischen Text - und zweifelsfrei geschieht es schon seit 2000 Jahren und länger -, sollen wir auf das Zeichen des Menschensohnes achten, der auf den Wolken des Himmels kommt und die Seinen aus allen Himmelsrichtungen zusammenholt.
Zunächst wirkt diese Aussage auf mich wie ein "Deus ex machina" in einem antiken Schauspiel. Wenn Götter in das Handeln des Menschen eingreifen, ist das auf der Bühne nicht leicht darzustellen. In der Antike wurden sie durch die Bühnenmaschinerie gleichsam von oben eingeflogen. Selten passte diese andere Ebene der Wirklichkeit in menschliche Abläufe hinein. Nur große Künstler schafften es, dass dieses Zusammenspiel nicht künstlich aufgesetzt erschien und als Lösung der menschlichen Probleme nicht befriedigte. Die Rede von Gott und das Hoffen auf das Tun Gottes ist eben eine andere Dimension. Und leicht kann der Rückgriff auf diese andere Dimension als religiöse Vertröstung aufgefasst werden.
Wenn der Evangelist uns auffordert, auf den Menschensohn zu schauen, weist er damit über unsere menschlichen Möglichkeiten, die Welt zu gestalten, hinaus. Zunächst erinnert er uns daran, dass diese Welt, in der wir leben, zerbrechlich ist, in ihrem Bestand gefährdet ist und ein Ablaufdatum hat. Wer hört das schon gerne. Viel lieber hätten wir eine Ewigkeitsgarantie für diese Welt, in der wir es uns so gemütlich - für uns selbst wenigstens - eingerichtet haben. Aus der Sicht des Evangeliums erwarten wir die Rettung nicht von Menschen, weder von "starken Männern" oder Frauen, noch von den "Gutmenschen", d.h. von moralisch integren Persönlichkeiten. Retten kann uns nur Gott. Und das geschieht auf einer anderen Ebene.
Wer sich dessen bewusst wird, kann seine eigene Gier nach Leben, die ihn verführt, sich mehr zu nehmen, als sie oder er braucht, mehr als einem jeden Menschen zusteht, mäßigen. Er kann seine Angst, in der Krise den Kürzeren zu ziehen, aushalten, ohne in eine Torschlusspanik zu verfallen und zusammenzuraffen, was sich zusammenraffen lässt. Und er kann sich gelassen mit anderen Menschen guten Willens zusammensetzen und gemeinsam mit ihnen das Leben trotz aller Vorläufigkeit menschlich gestalten.
Der Advent ist für viele eine besondere Herausforderung an ihr Zeitmanagement geworden. So viel Gutes möchten wir tun. So viel Gutes wäre zu tun. Schauen wir auf den Menschensohn und haben wir den Mut, uns auf Wesentliches zu beschränken. Das wird uns gut tun, den Menschen, die mit uns leben, und auch dem Planeten, auf dem wir leben.