Anblicke - Ausblicke – Überblicke
Das Evangelium dieses Sonntags ist dasselbe, das auch am Fest der Verklärung des Herrn verkündet wird. Jesus und drei namentlich genannte Jünger (Petrus, Jakobus, Johannes) besteigen einen nicht näher bezeichneten Berg, ohne dass eine bestimmte Absicht hinter dieser Ersteigung eines Gipfels erkennbar wäre. Von einer Höhe aus genießt man, zumindest bei schönem Wetter, einen ungeahnten Blick auf eigentlich Bekanntes, das sich aber auf einmal unter einer anderen Blickweise, einer anderen Perspektive zeigt. Von einem Überblick spricht man, wenn man vieles gleichzeitig sehen oder Zusammenhänge erkennen kann, denen man sich sonst vielleicht erst mühsam, gleichsam Stück für Stück nähern müsste, um sie deutlich in den Blick zu bekommen.
Verklärung bedeutet etwas anderes als Klarsicht: Erstere wird jedenfalls als angenehm empfunden, erzeugt Begeisterung, Hingerissensein, letztere kann auch eine durchaus bittere Einsicht vermitteln. Etwa wenn ein Mensch Klarheit über seine finanzielle Aussichtslosigkeit oder gar über eine gefährliche Krankheit gewinnt. Da könnte man eigentlich sagen, die Klarheit widerfährt ihm, sie überfällt ihn gleichsam. - Verklärung, wie sie uns im Evangelium geschildert wird, ist ein anderer Zugang zu Wirklichkeiten. Wer Verklärtem begegnet, sieht zwar Vorhandenes, er unterliegt demnach keiner Einbildung, keiner Halluzination, er erlebt aber eine in bisher nicht gekanntes Licht getauchte Realität.
Das wird im Evangelium, gleichsam als Teil für das Ganze, in einem Bild über die Kleider Jesu ausgesagt: "Seine Kleider wurden strahlend weiß, so weiß, wie sie auf Erden kein Bleicher machen kann."
Hütten bauen
Es hat aber auf Seiten der Begleiter Jesu des Staunens noch kein Ende. Denn da tauchen auf einmal noch zwei vorher nicht vorhandene Männer (Moses und Elias) auf, die mit Jesus sprechen. Über Inhalt und Form dieses Gesprächs ist nichts bekannt, umso mehr aber über die Reaktion auf Seiten des Petrus, die wohl auch die Stimmungslage der beiden anderen Apostel wiedergibt. Es muss wohl ein Gefühl restloser Geborgenheit, einer Beheimatung, eines Glücklichseins gewesen sein, von dem Petrus ganz ergriffen war. So bietet er sich an, drei Hütten zu bauen, eine für Jesus, eine für Moses und die dritte für Elias. In seiner Impulsivität bedenkt er nicht, dass ja auch er und seine beiden Begleiter eine Hütte, oder jedenfalls eine Behausung benötigen würden. Oder hat er vielleicht gar nicht unüberlegt gesprochen? Hat er etwa nur das zum Ausdruck gebracht, was er empfunden hat, dass nämlich er und seine Begleiter nichts anderes mehr brauchen würden als die Gemeinschaft mit diesem Jesus, bei dem er, wie er meint, für immer restlose Geborgenheit erfahren wird. somit unwiderruflich daheim ist? Einem Verklärten scheint die Zukunft in allen möglichen rosigen Facetten, und -vielleicht hat Petrus gedacht: Wenn ich ganz daheim bin, brauche ich sonst kein zuhause mehr!
Abstieg vom Berg
Aber ist es bei diesem Zustand des restlosen Ergriffenseins geblieben? Haben die Verklärten etwa sofort angefangen, Hütten zu bauen? - Davon ist nicht die Rede; Jesus geht auch auf das Angebot des Petrus gar nicht ein. Jesus sieht im Gegenteil für sich etwas ganz anderes kommen, das sich - den Jüngern unverständlich - wie ein dumpfes unheilvolles Grollen in das Durchschimmern der Herrlichkeit Gottes mengt. Jesus spricht von Leid, das ihm widerfahren werde, aber auch von der Auferstehung der Toten. Das dürften sie allerdings überhört haben, weil ja zuerst der Tod, das Leid kommen müsste. Die Jünger, die Zeugen der Verklärung geworden sind, sehen sich auf einmal dem ganz Anderen, für sie Rätselhaften gegenüber. In den Zustand der scheinbar restlosen Glückseligkeit des Verklärtheitsein, den Petrus unbedingt festhalten, beheimaten, (einfangen?) will, fällt der Wermutstropfen, den Petrus radikal zurückweist. Man mag sich hier an ein Wort von Goethes Faust erinnern ("Werd' ich zum Augenblicke sagen, verweile doch, du bist so schön"). - Der durchscheinende Gottessohn ist zwar verklärt, bleibt aber dennoch unerklärbar, bleibt immer (auch) leidvolle Erfahrung.
Jesus und seine Begleiter mussten wieder in die Niederungen der Alltäglichkeit zurückkehren, sie haben weiterhin in ihren gewohnten Behausungen gelebt und waren den Belastungen des Alltags ausgesetzt. Die Kleidung Jesus wird nicht immer so wunderbar strahlend erscheinen, sie wird vielmehr blutbefleckt sein, und die Stimme aus der Höhe ("das ist mein geliebter Sohn"), die ist auch nicht mehr zu vernehmen.
Ein anderer Gott?
In Zusammenhang mit der Passion Jesu bekennt Petrus zwar (vollmundig wie er nun einmal ist), dass er notfalls für seinen geliebten Meister sogar sterben wolle (Mt 26,33-35). Aber kurze Zeit später hat sich das Blatt schon gewendet. Da gibt er nämlich vor, Jesus gar nicht zu kennen, er will angeblich mit ihm nie etwas zu tun gehabt haben (Mt 26,69-75). Das Ereignis auf dem Berg ist zu einer schönen Erinnerung geworden, Petrus und seine Begleiter haben längst andere Hütten gebaut, oder sind in vorher schon bewohnte Behausungen zurückgekehrt.
Petrus ist vom Erlebnis auf dem Berg geprägt. Nur diesen Gott will er kennen, den anderen, der von Leid und Tod spricht, den mag er nicht, den weist er von sich und macht ihm sogar Vorwürfe, so als habe er seine Aufgabe gar nicht richtig verstanden (Mk 8,32). Deshalb wird er auch von Jesus streng zurechtgewiesen: "Weg von mir, Satan, geh mir aus den Augen. Denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen" (Mk 8,33).
Petrus und die anderen Jünger haben nach der Verklärung auf dem Berg Klarheit für ihr späteres Leben gewonnen und sind Jesus auch in seinen gewaltsamen Tod gefolgt.
Nur wer auch für sich persönlich beide Formen von Begegnung mit dem immer Geheimnis bleibenden Gott auf sich zu nehmen vermag, mit dem verklärten wie auch mit dem leidenden Gottesknecht, der ist auf dem Weg, Jüngerschaft, Nachfolge Jesu in ihrer Gänze zu begreifen.
Alfons Jestl (2000)
Hans Hütter (1997)